Heide/Hamburg. Schwedischer Konzern ist finanziell angeschlagen. CEO tritt zurück. Schutz nach Chapter 11 in den USA beantragt. Der Rettungsplan.
Die schlechten Nachrichten hatten sich zuletzt gehäuft. Jetzt hat der finanziell angeschlagene schwedische Batteriezellenhersteller Northvolt die Reißleine gezogen. Firmengründer Peter Carlsson trat am Freitag als CEO zurück. Einen Tag zuvor hatte der Konzern, der in Heide an der schleswig-holsteinischen Westküste eine Batteriefabrik für Elektroautos baut, Gläubigerschutz nach dem sogenannten Chapter 11 des US-Insolvenzschutzes beantragt. Damit soll bis Ende 2025 die Sanierung des angeschlagenen Konzerns gelingen.
Die gute Nachricht: Der Bau der Fabrik in Dithmarschen gehe weiter, wenn auch der Zeitplan gestreckt werde. Das sagte der Deutschlandchef von Northvolt, Christofer Haux, am Donnerstagabend. Statt in zwei, will Northvolt erst in drei Jahren dort die ersten Autobatterien bauen. Aber: „Heide ist und bleibt der Grundpfeiler in unseren Expansionsplänen, so der Northvolt-Manager.
Batteriezellenhersteller Northvolt: Expansionspläne waren zu ambitioniert
Diese Expansionspläne waren zu ambitioniert. Experten sagen auch, Northvolt wollte zu viel auf einmal. Statt Komponenten zuzukaufen, setzte der Konzern auf Eigenentwicklungen bei hohen Investitionen. Allein für das Werk in Heide kalkuliert der Konzern mit Kosten von 4,5 Milliarden Euro.
Das Problem des schnellen Wachstums und der hohen Ausgaben: Northvolt hängt im Kerngeschäft dem eigenen Zeitplan klar hinterher. Ein Auftrag von BMW über rund zwei Milliarden Euro ging so schon verloren. Die konzerninternen Probleme werden durch den schwächelnden der Markt für Elektroautos – und damit für Batterien „made in Europe“ – verstärkt. Christofer Haux umschreibt es so: „Die europäische Batteriezellindustrie befindet sich insgesamt in einer herausfordernden Lage.“
In der Folge musste der Konzern zunächst die Erweiterung seiner Fabrik im schwedischen Skelleftea stoppen und die Entlassung von rund 1600 Mitarbeitern ankündigen. Im Oktober meldete dann ein Tochterunternehmen (Northvolt Ett Expansion AB) Insolvenz an. Northvolt hatte die Firma gegründet, um die ambitionierten Wachstumspläne voranzutreiben. Nach einer Bestandsanalyse hatte sich der Konzern aber entschieden, sich auf sein Kerngeschäft, den Bau der Autobatterien, zu konzentrieren und einen Sanierer ins Haus geholt.
Scania steigt mit 100 Millionen Euro bei Northvolt ein
Jetzt hat Northvolt für seine Muttergesellschaft Gläubigerschutz nach Chapter 11 beantragt. Das Verfahren unter gerichtlicher Aufsicht sei nicht vergleichbar mit einer Insolvenz, wie man sie in Deutschland kenne, sagte Haux in einer Videokonferenz. Im Vordergrund stehe hier, Zeit für eine Umstrukturierung des Unternehmens und neue Geldgeber zu gewinnen. Ziel sei es, das Unternehmen bei laufendem Betrieb „widerstandsfähiger und langfristig profitabel zu machen“. Die Interessen der Gläubiger stehen hingegen in einem Chapter-11-Verfahren eher hintenan. Ein erster neuer Geldgeber ist schon gefunden: Scania glaubt offensichtlich an die Zukunft des Unternehmens und steigt mit 100 Millionen Euro bei Northvolt ein.
In Heide baut Northvolt Germany, eine Tochtergesellschaft von Northvolt AB. Die Firma werde unabhängig von der Muttergesellschaft finanziert und sei nicht Teil des Chapter 11-Verfahrens, hieß es am Abend. Bundes- und Landesregierung hatten den Schweden die Ansiedlung in Heide mit Zuschüssen von mehr als 700 Millionen Euro schmackhaft gemacht. Hinzu kommen mögliche Garantien über weitere 202 Millionen Euro.
Das Geld hat Northvolt noch nicht abgerufen. „Northvolt Germany ist sich seiner Verantwortung für die bereitgestellten Fördermittel bewusst. Es wurden bisher keine Fördermittel in Anspruch genommen. Northvolt Germany wird, solange die Restrukturierung der Muttergesellschaft andauert, auch weiterhin keine Mittel abrufen“, versichert das Unternehmen.
3000 Menschen sollen später einmal im Werk in Heide arbeiten
Der Bau der Fabrik in Heide läuft weiter. Aktuell arbeiten rund 130 Männer und Frauen in Dithmarschen und in Hamburg für Northvolt. 2027, wenn die ersten Batteriezellen produziert werden sollen, sollen es rund 1000 Beschäftigte in Norddeutschland sein. Ist das Werk voll ausgebaut, plane Northvolt wie ursprünglich versprochen mit 3000 Mitarbeitern. Die Hoffnung an der strukturschwachen Westküste ist, dass zudem rund 3000 weitere Jobs bei Dienstleistern und Zulieferern entstehen werden.
Northvolt galt hinsichtlich der Batterieproduktion für E-Autos lange Zeit als großer Hoffnungsträger der europäischen Automobilindustrie. Der größte Anteilseigner des Herstellers ist der deutsche Autobauer Volkswagen. Zu den Eigentümern gehören auch die US-Investmentbank Goldman Sachs und BMW. Ohne Peter Carlsson gäbe es den Konzern nicht. Der Schwede ist einer von zwei Gründern und leitete das Unternehmen seit dem Start im Jahr 2016.
„Heute beginnt für Northvolt und auch für mich persönlich eine wichtige neue Phase. Der Antrag auf Insolvenz nach Chapter 11 gibt dem Unternehmen eine Zeitspanne, in der es sich neu organisieren, den Betrieb hochfahren und gleichzeitig Verpflichtungen gegenüber Kunden und Lieferanten erfüllen und sich langfristig aufstellen kann. Daher ist es für mich ein guter Zeitpunkt, die Geschäfte an die nächste Führungsgeneration zu übergeben“, teilte Carlsson am Freitag mit. Der Verwaltungsrat des Unternehmens ist schon auf der Suche nach einem Nachfolger. Carlsson bleibt als Leitender Berater aber weiter Mitglied des Vorstands.
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Anders als beim prestigeträchtigen Baustart im März, überließ es Ministerpräsident Daniel Günther jetzt seinem Staatskanzleichef, sich zum US-Insolvenzverfahren zu äußern. Dirk Schrödter sieht Chancen für einen Restrukturierungsplan. Es sei bedauerlich, dass noch keine gesicherte Finanzierung für den Mutterkonzern in Schweden gelungen sei, sagte der CDU-Politiker. Gut sei aber, jetzt Klarheit zu haben. Das Land sehe die Notwendigkeit für den Aufbau einer souveränen Batteriezellproduktion für Deutschland und Europa. „Es ist gut, dass die Bauarbeiten in Heide weiterlaufen und konkrete Aussagen zum Zeitplan getroffen wurden“, sagte Schrödter.