Heide. Schwedischer Konzern Northvolt investiert 4,5 Milliarden Euro in Batteriefabrik und schafft 3000 Jobs. Wie das die Region verändert.
In Dithmarschen ist alles anders. Anderenorts wird ein Band zerschnitten, mit dem Spaten in den Boden gestochen, eine Flasche zerschellt. In Dithmarschen wird beim Startschuss geboßelt. Und weil Northvolt dazugehören und ein guter Nachbar sein will, drücken sie auch Bundeskanzler Olaf Scholz die ein Pfund schwere Kugel zum Weitwurf in die Hand. Genau wie Robert Habeck, Ministerpräsident Daniel Günther, der schwedischen Botschafterin Veronika Wand-Danielsson oder Firmenchef Peter Carlsson. Unter dem Gehupe und Getute von Bauern – nicht vor Begeisterung, sondern weil sie’s der Politik mal wieder zeigen können – eröffnen sie so offiziell den Bau einer der größten Batteriefabriken für E-Autos überhaupt.
Der Konzern hatte am Montag zur Grundsteinlegung auf einen Acker bei Heide eingeladen. Das Tempo, das die Schweden an der schleswig-holsteinischen Westküste vorlegen, ist außergewöhnlich. Es ist noch keine drei Jahre her, dass die Firma die ersten Gespräche mit der Landesregierung suchte. Die Idee: Northvolt will von 2026 an bis zu einer Million Autobatterien pro Jahr in der bislang strukturschwachen Region bauen. 3000 Arbeitsplätze sollen im Werk entstehen, Tausende weiterer Jobs bei Dienstleistern und Zulieferern. 4,5 Milliarden Euro investieren die Schweden – und ihr Anteilseigner VW – in den Aufbau der Fabrik.
Northvolt: Bau der Fabrik in Heide hat begonnen
Doch warum Heide? Northvolt wirbt damit, eine „grüne Batterie“ bauen zu wollen, und der Energieaufwand ist enorm. Hier, an der Westküste Schleswig-Holsteins, gibt es regenerative Energie im Überfluss, hier drehen sich die Windräder nahezu rund um die Uhr. Und sollten sie sich mal nicht drehen, liegt es meist an der zu geringen Nachfrage nach Strom, sodass die Turbinen abgeriegelt werden müssen.
Der zweite Grund, der für den Standort Heide spricht: Die Bundesrepublik und das Bundesland locken Northvolt, genehmigt von der EU, mit rund 700 Millionen Euro Zuschuss und Garantien von noch einmal rund 200 Millionen Euro. Heißt: Der Steuerzahler finanziert immerhin rund 20 Prozent des Fabrikbaus. Von der Investition, so versprechen es sich Scholz, Habeck und Günther, soll nicht nur die Region profitieren. Und so betont der Bundeskanzler in der Scheune eines Bauernhofes in der Nähe die strategische Bedeutung von Investitionen wie der von Northvolt „für unser Land und für Europa“.
Baustart in Heide: Was sich der Bundeskanzler von Northvolt verspricht
Deutschland sei und bleibe ein starkes Industrieland, so Scholz. „Und die Herstellung guter Autos bleibt auch über den Verbrennermotor hinaus Rückgrat unserer Industrie. Dafür brauchen wir Batteriezellen made in Germany. Deshalb ist es eine gute Nachricht für unser ganzes Land, dass hier im Norden künftig klimafreundlich produzierte Batteriezellen für eine Million Autos im Jahr entstehen“, sagte der Bundeskanzler.
Scholz sprach von einem „selbst gemachten Standortvorteil“ für Schleswig-Holstein. Frühzeitig auf den Ausbau der Windenergie gesetzt zu haben, sei die „genau richtige Entscheidung“ gewesen. Während er sonst gern vom „Deutschland-Tempo“ in Zusammenhang mit neuen Infrastrukturmaßnahmen spreche, konstatiere er hier eine „Dithmarschen-Geschwindigkeit“, lobte der SPD-Politiker den schnellen Genehmigungsprozess. Mit Investitionen wie der von Northvolt sichere sich Deutschland „Wertschöpfung und technische Souveränität“, sagte Scholz mit Blick auf den Umbau der Wirtschaft.
Ohne das Engagement Robert Habecks für die Ansiedlung (und die Subventionen) wäre Northvolt weitergezogen und hätte das Werk vermutlich in den USA gebaut. Der Politiker der Grünen lobte am Rande der Veranstaltung, dass mit dem Bau der Fabrik die „Transformation hin zur Klimaneutralität und Wachstum Hand in Hand“ ginge. Für Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zeigt Northvolt beispielhaft, dass der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft und der Ausbau der erneuerbaren Energien ein „echter Gewinn“ für Schleswig-Holstein seien. Günther sprach von einer „der größten Industrieansiedlungen in der Geschichte unseres Landes, die die Industriestruktur in der gesamten Bundesrepublik nachhaltig prägen wird“.
Northvolt: Das Nadelöhr ist eine 100 Jahre alte Bahnbrücke
Wer als junger, gut ausgebildeter Mensch wegen des Jobs Dithmarschen verlassen habe, für den werde es Zeit, zurückzukehren, warb Northvolt-Chef Peter Carlsson um Arbeitskräfte. Der Schwede hat das Unternehmen erst vor sieben Jahren gegründet. Carlsson mahnte in seiner Begrüßung Investitionen in die Infrastruktur an.
Wenn es in Dithmarschen – neben Wind – etwas im Überfluss gibt, dann ist es Platz, neues Bauland auszuweisen. Mit Wohnungen und Häusern für 3000 neue Facharbeiter und ihre Familien ist es aber nicht getan. Es braucht neue Schulen, Kitas, Straßen, eine bessere Bahnverbindung nach Hamburg. Hier sind Land und Bund gefordert. Die Autobahn 23 von Hamburg nach Heide ist zweispurig und ständig verstopft, die Bahnstrecke ist noch nicht einmal elektrifiziert, und die Bahnbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal ist zwar eine Augenweide, stammt aber aus einer Zeit, als Dampflokomotiven ein paar Waggons hinter sich herzogen.
Abtransport der Batterien mit Lastwagen ist keine Alternative
Ist der Betrieb in der Batteriefabrik erst einmal hochgefahren, will Northvolt Güterzüge mit bis zu 740 Meter Länge und 2560 Tonnen Last auf die Strecke schicken. Nur: Auf der gut 100 Jahre alten Eisenbahnbrücke bei Hochdonn – zuständig für sie ist nicht die Bahn, sondern das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt – dürfen nur Güterzüge mit einem maximalen Gesamtgewicht von 995 Tonnen fahren. Und länger als 181 Meter dürfen die Züge auch nicht sein.
Das stellt Northvolt, Land und Bund vor ein großes logistisches Problem. Wie soll man die Batterien dorthin bringen, wo sie gebraucht werden, zum Beispiel zu VW in Wolfsburg. Lastwagen will niemand einsetzen, die alternative Bahnstrecke über Neumünster ist eingleisig und ebenfalls nicht elektrifiziert, ein Brückenneubau ist nicht in Sicht, und die alte Brücke lässt sich nicht ertüchtigen. So steht jetzt im Raum, den voll beladenen Zug vor der Brücke zu stoppen, die Wagen im Zweierpaar abzukoppeln und nach Itzehoe zu fahren, sie dort zu parken, bis die restlichen Wagenpaare nach und nach eingetroffen sind. Das ist vermutlich nicht das, was Scholz mit Deutschlandtempo und „Dithmarschen-Geschwindigkeit“ meint.
Northvolt: Was auf die Menschen in der Region zukommt
Heide, Norderwöhrden, Lohe-Rickelshof – die Kleinstadt und die Dörfer dicht bei der Fabrik „verlassen sich darauf, nicht im Lkw-Verkehr zu ersticken“, fordert beispielsweise der einzige SSW-Abgeordnete im Bundestag, Stefan Seidler, Unterstützung von Bundeskanzler und Ministerpräsident. Zudem sei das Bahnnetz in Hamburg schon „jetzt ein Flaschenhals, wo häufig nichts mehr geht. Wir werden mit dem Bundesverkehrsminister darüber sprechen müssen, wie der Knoten Hamburg sowohl den zusätzlichen Güterverkehr als auch attraktiven Fern- und Regionalverkehr aus dem Norden aufnehmen kann. Das schulden wir den Leuten aus dem nördlichen Landesteil“, so Seidler.
Immerhin 79 Prozent der Menschen finden nach einer nicht repräsentativen Umfrage des NDR den Bau der Batteriefabrik, der die gesamte Region radikal verändern wird, „gut oder eher gut“. Sie erwarten neue Jobs, ein höheres Steueraufkommen und die Verbesserung des Bahnverkehrs an der Westküste bis runter nach Hamburg. Die Zustimmung überwiegt klar, aber die Sorgen sind in der Region nicht zu überhören: Wirbt Northvolt den örtlichen Unternehmen die Handwerker ab? Bleiben die Mieten bei dem erwarteten Zuzug bezahlbar? Gibt es genügend Personal für die Kitas? Wie sehr verändert die Fabrik das Landschaftsbild? Wie groß wird die Lärmbelästigung?
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Kai Tange, der Bürgermeister von Lohe-Rickelshof, sieht „außergewöhnliche Herausforderungen“ auf seine Gemeinde zukommen. Doch für ihn überwiegen die „besonderen Entwicklungschancen für die gesamte Region“. Außerdem könne der „grüne Standort Dithmarschen“ einen Beitrag zur Klimawende leisten, wenn Batterien für E-Autos in Europa nicht in anderen Teilen der Welt produziert und unnötig transportiert werden müssen, sagt Tange.
Christofer Haux, der Deutschlandchef von Northvolt, weiß um die Sorgen der Dithmarscher. „Wir werden den Menschen in der Bauphase sehr viel abverlangen“, sagt er. „Aber wir wollen gute Nachbarn sein.“