Kiel. Kommunen in Dithmarschen und Opposition im Parlament kritisieren Daniel Günther: „Regierung ist abgetaucht.“ Staatskanzlei wehrt sich.
Die Euphorie schwindet. Nicht auf einen Schlag, aber nach und nach verdrängt Ernüchterung die ursprüngliche Begeisterung in Dithmarschen, wo der schwedische Konzern Northvolt eine 4,5-Milliarden-Euro-Wette auf die Zukunft eingegangen ist und eine Batteriefabrik für E-Autos baut. Zum einen stellte das Unternehmen nach Problemen im Stammwerk in Nordschweden seinen ambitionierten Zeitplan infrage.
Zum anderen wächst in Heide und Umgebung die Sorge, dass die schwarz-grüne Landesregierung ihre Versprechen nicht einhält. Vernünftige Bahnverbindungen Richtung Hamburg, Wohnungen für bis zu 3000 Mitarbeiter, die allein in der Fabrik arbeiten sollen, neue Schulen, Kitas und Sportplätze für deren Familien – der Ausbau der Infrastruktur stockt. Was hinter der Kritik steckt.
Northvolt bei Heide: die Fakten
Northvolt baut auf einem Acker nahe Heide eine „Giagafabrik“. 2026 sollen die Prototypen der Autobatterien fertig sein, 2029 soll die Anlage auf Hochtouren laufen. Bis zu einer Million Batterien will Northvolt pro Jahr in der strukturschwachen Region bauen. 3000 Arbeitsplätze sind im Werk geplant, Tausende weiterer Jobs sollen bei Dienstleistern und Zulieferern entstehen. Die Schweden und ihre Anteilseigner wie VW investieren hier 4,5 Milliarden Euro.
Heide hatte 140 Standorte ausgestochen, die Northvolt europaweit in den Blick genommen hatte. Die entscheidenden Vorteile an der Westküste: Subventionen und Ökostrom. Die Landesregierung und vor allem der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck haben 700 Millionen Euro Zuschuss und 200 Millionen Euro Garantien „lockergemacht“. Heißt: Der Steuerzahler finanziert rund 20 Prozent der Fabrik. Heides zweiter Vorteil: Autobatterien herzustellen, ist energieintensiv. Hier, an der Westküste Schleswig-Holsteins, gibt es regenerative Energie im Überfluss, auf die Northvolt setzt, hier drehen sich die Windräder nahezu rund um die Uhr.
Im Winter haben mit Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden, auf deren Gemarkungen die Fabrik hochgezogen wird, die entscheidenden Dörfer Ja gesagt zur Ansiedlung. Ohne die Zustimmung der Gemeindevertretungen wären alle Bemühungen umsonst gewesen. So viel Politprominenz wie dann im März hat die Region noch nicht gesehen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck, Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Northvolt-CEO Peter Carlsson setzten den ersten Bohrer auf einem Dithmarscher Acker in Gang.
Aktuell arbeiten in Heide rund 100 Menschen direkt für Northvolt. Hinzu kommen etwa 500 externe Planer, Gutachter, Architekten und Bauarbeiter. Northvolt hat zuletzt beim Landesamt für Umwelt beantragt, mit dem Bau der ersten rund 1200 Quadratmeter großen Fabrikhalle starten zu dürfen. Weil Wohnungen Mangelware sind und die Ausweisung neuer Baugebiete nicht vorankommt, hat das Unternehmen im nahe gelegenen Albersdorf einen Block mit 48 Ein-Zimmer-Apartments und Gemeinschaftsküche hergerichtet, wo die internationale Belegschaft wohnen kann, bis sie etwas Dauerhaftes gefunden hat.
Northvolt bei Heide: die Probleme
Olaf Scholz schwärmte beim feierlichen Baustart vom neuen „Dithmarschen-Tempo“ bei Vorbereitung, Genehmigung und staatlicher Subventionierung. Die Geschwindigkeit sei Maßstab für künftige Infrastrukturprojekte. Nur: So richtig hingehört hat offensichtlich niemand. Auf das Geld der Landesregierung (und die Förderrichtlinien) für den Bau von Schulen, Kitas und Sportplätzen warten die Kommunen noch immer. Auch ist das von Land und Kommunen geplante Projektbüro, das die Arbeiten voranbringen soll, noch längst nicht am Start. Schulen, Kitas, Baugebiete, ein neues großes Gewerbegebiet – alles schleppt sich vor sich hin. Von Scholz‘ Dithmarschen-Tempo ist nichts zu spüren.
Die Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium scheinen des Kanzlers Worte auch nicht beeindruckt zu haben. Jedenfalls gibt es kein Tempo beim Ausbau der maroden Gleise und Brücken Richtung Heide. Weder ist die Elektrifizierung der Marschbahn in diesem Jahrzehnt in Sicht, noch ein Ersatz für die Bahnbrücke bei Hochdonn über den Nord-Ostsee-Kanal. Das mehr als 100 Jahre alte Bauwerk kann nicht mal im Ansatz das Gewicht (bis zu 2560 Tonnen) und die Länge (bis zu 740 Meter) der Güterzüge aushalten, die Northvolt auf die Reise schicken will. Selbst wenn die Planung einer neuen Brücke in den nächsten Monaten beschlossen würde: Es wird viele Jahre dauern, bis ein Ersatzbauwerk steht.
Was bleibt, ist Plan B. Das ist der umständliche Abtransport der Autobatterien per Bahn über Neumünster und alte Grünentaler Hochbrücke oder über Husum und Lübeck. Nur: Auch diese – eingleisigen und nicht elektrifizierten – Strecken taugen bestenfalls eingeschränkt. Eine Krisensitzung, zu der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete kürzlich die zuständigen Ministerien zusammenholen wollten, ging ergebnislos zu Ende. Nach Abendblatt-Informationen fehlte das entscheidende Bundesverkehrsministerium …
Zudem hat Northvolt selbst für reichlich Verunsicherung gesorgt: In mehreren schwedischen Medien kursierten Berichte, wonach es in der Belegschaft im Werk Northvolt 1 im nordschwedischen Skellefteå drei Todesfälle gegeben hat. Auch hinkt das Unternehmen bei der Produktion in Skellefteå den eigenen Ansprüchen sowie den Erwartungen der Investoren hinterher. Das Werk ist immer noch nicht fertig. Und dann schwächelt aktuell auch noch der Verkauf von E-Autos. So hatte zuletzt BMW einen Auftrag über rund zwei Milliarden Euro storniert.
Das Problem: Northvolt ist ein junges Unternehmen, hat in Schweden erst vor wenigen Jahren bei null angefangen. Und das bei einer hochkomplexen Materie. Es gibt kein Werk, das als Schablone dienen könnte, es gibt keine Fehler, die anderswo schon einmal gemacht wurden, es gibt keine Beschäftigten, die man in einem anderen Werk „in die Lehre“ schicken könnte. Der Übergang von der Produktion der Nullnummer in die industrielle Massenfertigung ist offensichtlich komplizierter als angenommen. Das musste Northvolt-CEO Carlsson kürzlich eingestehen. Was die Northvolt-Verantwortlichen optimistisch stimmt: Heide ist anders als Skellefteå kein Neuland mehr. Hier wollen sie aus den Fehlern lernen, die in Schweden gemacht wurden. Die ersten Ingenieure, die für Dithmarschen angeheuert wurden, werden gerade in einem 12- bis 18-monatigen Crashkurs in Nordschweden fit gemacht. Der jetzt nach Heide geholte Werkleiter war zuvor monatelang in Skellefteå dabei.
Northvoltansiedlung: die Vorwürfe gegen die Landesregierung
Ministerpräsident Daniel Günther wurde zuletzt im Frühjahr in Dithmarschen gesehen. Seither herrscht Funkstille, klagen die Standortgemeinden. Ihr Vorwurf: Das Land tut nicht genug für die Region. „Die Landesregierung ist abgetaucht“, sagt Kai Tange, der ehrenamtliche Bürgermeister von Lohe-Rickelshof. So warteten die Gemeinden seit acht Monaten auf die zugesagten Förderrichtlinien und das Projektbüro, das die Arbeiten koordinieren und vorantreiben soll. „Aber nichts tut sich“, so Tange. Deshalb stockten auch die Investitionen vor Ort.
Die Kommunen sorgt die Haushaltsmisere des Landes. Schleswig-Holsteins Kassen sind leer, zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft in diesem Jahr eine Lücke von 1,5 Milliarden Euro, die die schwarz-grüne Landesregierung mit Notkrediten stopft. Weil selbst das nicht reicht, zapft das Finanzministerium die Versorgungsrücklagen an. Trotzdem muss auch massiv gespart werden. In diesem Jahr 100 Millionen Euro, in den kommenden jeweils 200 Millionen. Geld, das dann für den Ausbau der Infrastruktur an der Westküste fehlt?, fragen die Kommunen.
Northvolts Nachbargemeinden hatten zeitnah mit zinslosen Darlehen des Landes gerechnet. Um welche Größenordnungen es geht, zeigt das Beispiel Lohe-Rickelshof. Die Gemeinde mit 2000 Einwohnern will den Bau von 600 neuen Häusern ermöglichen. Bürgermeister Tange rechnet mit 1200 neuen Einwohnern: heißt, es braucht neue Straßen, eine größere Kita, eine Erweiterung der Schule, Einkaufsmöglichkeiten, Sport- und Spielplätze. Die Dimension zeigt auch: Kleine Kommunen wie Lohe-Rickelshof, bis zum Vertragsabschluss noch umgarnt vom Land, brauchen dessen Unterstützung.
Auch Heides Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzeit (SPD) kritisiert den Umgang des Landes mit den Menschen in der Region. So habe die Regierung in Kiel im Januar einen Entwurf seiner Förderrichtlinien geschickt. Nur: Auf die Anregungen, Nachfragen und Änderungswünsche Heides habe das Land monatelang nicht reagiert, sagte Schmidt-Gutzeit der „Dithmarscher Landeszeitung“. „Wir wissen nicht, wie wir planen sollen, wie wir das finanziell stemmen können, die Infrastruktur ohne Hilfe des Landes zu erweitern.“
Nicht nur den Gemeinden, auch den Wirtschaftsverbänden ist das Tempo bei der Regionalentwicklung zu langsam. „Das marode Schienennetz droht die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu behindern“, erklärten die Industrie- und Handelskammer Flensburg, der Unternehmensverband Unterelbe-Westküste und die Kreishandwerkerschaft Dithmarschen gemeinsam. Neben den Gleisanlagen, Brücken und Straßen müsse aber auch die soziale Infrastruktur – Wohnraum, Kitas und Schulen – zügig ausgebaut werden. Dabei bräuchten die Kommunen die Hilfe des Landes.
Aus Sicht des ehemaligen Landesverkehrsministers Bernd Buchholz fehlt es am Engagement des Landes nicht nur in Dithmarschen – sondern auch in Berlin. Wenn man Verbesserungen im Schienenverkehr erreichen wolle, müsse man der Deutschen Bahn Druck machen. Es brauche eine gewisse Penetranz, Energie und Durchsetzungsstärke. „Es wäre schön, wenn sich der Ministerpräsident mit derselben Energie um die Ansiedlung von Northvolt kümmern würde, wie es seine Amtskollegen – zum Beispiel Rainer Haseloff in Sachsen-Anhalt – bei großen Industrieansiedlungen tun“, kritisiert der FDP-Politiker.
Um die Infrastruktur in Dithmarschen aufzubauen, brauche es einen versierten Industriemanager, fordert Buchholz. „Das Projekt ist viel zu groß, um mit Bordmitteln heranzugehen.“ Die komplette Projektsteuerung müsse aus einer Hand kommen „Aber das Land entwickelt keine Dynamik.“ Passiert sei nach monatelangen Beratungen nichts: Finanzmittel seien nicht bereitgestellt, und auch das Projektbüro gebe es noch nicht, kritisieren FDP-Mann Buchholz und der SPD-Wirtschaftspolitiker Kianusch Stender.
Northvolt bei Heide: Das sagt die Landesregierung
Daniel Günthers Staatskanzleichef Dirk Schrödter lässt die Kritik nicht gelten. Er spricht von einer Projektstruktur, die mit allen Beteiligten besprochen sei. So tage alle vier bis sechs Wochen eine Steuerungsgruppe unter seiner Leitung, so Schrödter. Die werde es auch weiterhin geben. Darin arbeiteten Gemeinden, Kreis und Amt sowie die zuständigen Ministerien „außerordentlich gut“ zusammen. Allerdings, räumt Schrödter ein, trete das Projekt jetzt in eine neue Phase, da es zunehmend um Fragen der „regionalen Entwicklung“ gehe.
Inzwischen, nach monatelangem Hin und Her, haben sich Land und Kommunen auf die Finanzierung dieses Projektbüros geeinigt. Demnach zahlt das Land drei Jahre lang jährlich zwei Millionen Euro für Personal, Sachkosten und Gutachter. „Weitergehenden Forderungen der Region nach finanzieller Unterstützung … konnte zuletzt mit Blick auf die aktuelle Haushaltssituation“ aber nicht nachgekommen werden, informiert Staatskanzleichef Schrödter in einem Brief an den Wirtschaftsausschuss des Landtages.
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Wann aber der Projektträger die Arbeit aufnimmt, ist noch völlig offen. Im Raum steht – als eine Option – eine europaweite Ausschreibung der Aufgaben. Die wäre, so Schrödter, „gut vorzubereiten“. Da feststehende Fristen zu beachten seien, könne die Entscheidung für eine europaweite Vergabe durchaus weitere drei bis fünf Monate kosten.
Auch auf das Förderprogramm, aus dem Schulen, Kitas, Spiel- oder Sportplätze finanziert werden sollen, müssen die Kommunen weiter warten. Damit ist frühestens im vierten Quartal zu rechnen. Bislang existiert nur ein „Entwurf“ der Richtlinie. Der sieht vor, dass sich die Kommunen nach einem festgelegten Schlüssel Geld vom Land besorgen können. 200 Millionen Euro stellt das Land insgesamt zur Verfügung.
Nur: Anders als Northvolt kassieren die Kommunen keine Subventionen vom Land, sondern sie können dort „zinsvergünstigte Darlehen“ mit einer Laufzeit von 20 Jahren aufnehmen. Die ersten zehn Jahre kostet sie das nichts, in den nächsten zehn Jahren müssen die Dörfer aber nicht nur den Kredit tilgen, sondern auch Zinsen zahlen. Hinzu kommt eine jährliche Verwaltungsgebühr.