Kiel. Verbandspräsident schließt es nicht aus. Verhältnis von Landwirten und Ampelkoalition zerrüttet. Viele Betriebe geben auf.

Sie waren laut, sie waren viele; und sie haben im vergangenen Winter in einer nie geahnten Mächtigkeit demonstriert. Meistens friedlich, aber einige Male haben Landwirte bei ihren Protesten auch die Grenzen überschritten. Wie an dem Januarabend, als einige von ihnen eine Fähre mit Robert Habeck an Bord in Schlüttsiel blockierten und den grünen Bundeswirtschaftsminister nicht an Land ließen. Drohen in den kommenden Monaten erneut Misthaufen auf Autobahnauffahrten, Demonstrationen oder Straßenblockaden wie im vergangenen Winter? Ausschließen will der schleswig-holsteinische Bauernpräsident Klaus-Peter Lucht das nicht. Allerdings dürfte die Wahrscheinlichkeit erneuter Bauernproteste nach dem Bruch der Ampelkoalition gesunken sein.

Bauern in Schleswig-Holstein: Verhältnis zur Ampel völlig zerrüttet

Die meisten der traditionell eher konservativen Landwirte werden dem Dreier-Bündnis nicht hinterher weinen. Das Verhältnis zwischen ihnen und der Ampel war völlig zerrüttet. Man habe der Bundesregierung reichlich Angebote für mehr Klimaschutz, Artenvielfalt und Tierwohl gemacht. Die seien allesamt ignoriert worden, sagte der schleswig-holsteinische Bauernpräsident dem Abendblatt. Deshalb sei die Kompromissbereitschaft der Landwirte aufgebraucht, so Lucht kurz vor dem Rauswurf Christian Lindners.

„Wir erwarten von der nächsten Regierung Vertrauen in unsere Arbeit“, ergänzte Lucht nach dem Aus von Rot-Grün-Gelb. Statt mit der aktuellen Regierung verhandeln die Bauern schon seit Monaten mit CDU und CSU auf Bundesebene sehr intensiv über eine künftige Agrarpolitik. Man benötige dringend klare Perspektiven, um wettbewerbsfähig zu bleiben, sagt Lucht. Der Verband fordert zügig Neuwahlen statt einer „Hängepartie“ zu Lasten der Wirtschaft und der Landwirtschaft.

Drohen diesen Winter wieder Bauernproteste? Nicht ausgeschlossen!

 „Es ist nicht unser Ziel, nochmals zu demonstrieren, aber ich schließe es auch nicht aus“, betont Lucht. Allerdings ist die Situation in diesem Winter nicht nur durch den Koalitionsbruch eine andere als zuletzt. Zwar ist die Ernte an der Westküste Schleswig-Holsteins „erbärmlich“ (Lucht) ausgefallen, aber in anderen Landesteilen war sie doch auskömmlich. Zudem profitieren die Milchbauern von der großen Nachfrage und den hohen Preisen. Und auf der politischen Seite fehlt bislang der Auslöser, der den schwelenden Ärger der Bauern eskalieren ließe. 

Im vergangenen Winter war es eine Nacht-und-Nebel-Aktion der Regierungsspitze, die die Proteste heraufbeschworen hatte. Um die neuen Milliardenlöcher im Etat zu schließen, die sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltsführung aufgetan hatten, beschloss die Ampel-Regierung, Landwirte zu belasten. Der sogenannte Agrardiesel sollte deutlich teurer werden, die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge wegfallen.

Protest der Landwirte
Hamburg im Dezember vergangenen Jahres: Ein Konvoi aus Traktoren steht nach einem Demonstrationszug auf der Glacischaussee. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Das war der Auslöser, aber die Probleme lagen vor einem Jahr viel tiefer. „Die Ampel, aber auch die Vorgängerregierungen, haben auf Vorgaben der EU nochmals eigene Regeln und Vorschriften draufgepackt. Wenn die EU Spielraum gelassen hat, hat die Bundesregierung eher mit Verschärfungen reagiert“, kritisiert Bauernpräsident Lucht. Das habe sich unter der Ampel nochmals verschlimmert. Als Beispiel nennt Lucht Vorschriften zu den Tierwohlställen. „In Deutschland stehen im Vergleich mit anderen Ländern die besten Schweineställe. Aber es reicht der Politik noch immer nicht. Einen ausreichenden finanziellen Ausgleich für mehr Tierwohl soll es aber nicht geben“, kritisiert Milchbauer Lucht.

„Dramatisch viele Betriebsschließungen“

In seinem Verband haben sich 75 Prozent der schleswig-holsteinischen Landwirte organisiert, das sind 12.000 Betriebe. Sie verdienen ihr Haupteinkommen mit Ackerbau und Viehzucht. Hinzu kommen Einnahmen aus der Windenergie, der Photovoltaik oder dem Tourismus. Daneben gibt es noch die „Freien Bauern“ als „Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland“.

Die Zahl der Viehhalter in Schleswig-Holstein geht zurück. Lucht nennt die Betriebsstilllegungen in der Schweinezucht „dramatisch“. 2013 gab es noch rund 1100 Unternehmen, die Schweine hielten, 400 Betriebe züchteten selbst. Jetzt existieren landesweit noch 510 Höfe, von denen nur noch 170 Schweine züchten, sagt der Bauernpräsident und CDU-Politiker, der vor zwei Jahren für die Union die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen im Agrarbereich mitgeführt hat. Sein Vorgänger als Bauernpräsident ist der heutige CDU-Landwirtschaftsminister Werner Schwarz – die CDU in Schleswig-Holstein definiert sich auch als Interessenvertretung für die Bauern.

Bauernpräsident: „Grünen geht es um Ideologie“

Laut Lucht ist die Entwicklung in der Milcherzeugung in Schleswig-Holstein „ähnlich schlimm“ wie bei den Schweinen. 2013 gab es noch 4652 Bauernhöfe, die Milch produzierten, 2023 waren es nur noch 2821. „Mit jedem Betrieb, der schließt, wandern junge Menschen aus den Dörfern ab“, sagt Lucht, der mit seinem ältesten Sohn und der Familie in Mörel bei Aukrug einen Milchviehbetrieb mit 200 Kühen bewirtschaftet und zudem Gras und Mais anbaut. 

Was den Tierhaltern Sorge bereite, sei der Strukturwandel. Normal wäre, dass pro Jahr zwei Prozent der Betriebe aufgeben. Nicht, weil sie pleitegehen, sondern weil die nächste Generation keine Lust mehr auf den Job hat, weil der Standort nicht gut genug ist, weil die staatlichen Vorgaben erdrückend sind oder das unternehmerische Risiko als zu hoch erscheint, sagt Lucht.  Den Hauptverantwortlichen für die Betriebsschließungen hat der Bauernverband in Noch-Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ausgemacht.

Den Grünen fehle der Blick für die ländlichen Räume und eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft. „Stattdessen geht es dem Ministerium um Ideologie und darum, die eigene grüne Wählerklientel zu bedienen. Dass wir Unternehmen sind, die Geld verdienen müssen, wird ignoriert“, behauptet Lucht.

Hunderttausende Gänse werden zur Plage an der Westküste

Lucht kritisiert die „Mikrosteuerung durch die Bundesregierung“. Die Ampel rede in jede Kleinigkeit hinein. Das empfinden die Bauern als Misstrauensvotum für einen ganzen Berufsstand. Daneben kritisieren die Landwirte die Bürokratie, unter der sie litten. „Die Dokumentationspflichten erdrücken uns und kosten uns Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Bauernpräsident Lucht. Er spricht von Wettbewerbsnachteilen aufgrund deutscher Alleingänge, einer ausschweifenden Bürokratie und überkomplexen Düngegesetzgebung. 

Während Lucht vor allem die Bundesregierung kritisiert, greift Sandra Redmann das schwarz-grüne Bündnis in Kiel an. „Die Landesregierung tut nicht genug für die Bauern“, kritisiert die Landwirtschaftsexpertin der schleswig-holsteinischen SPD-Fraktion. Der Dialog zwischen Politik, Bauern, Naturschutzverbänden und Tourismus hat sich verschlechtert“, sagt sie. Das liege auch an der Zerschlagung des alten gemeinsamen Ministeriums in ein neues CDU-Landwirtschaftsministerium und ein grünes Umweltministerium. Redmann hält diese Trennung für einen Fehler.

In Schleswig-Holstein sehen die Bauern ihre Interessen durch die CDU in der Landesregierung gut vertreten – nicht aber durch deren Koalitionspartner von den Grünen. Allen voran das Umweltministerium mache den Landwirten das Leben schwer, heißt es. Die Knickpflege sei deutlich zu reglementiert, die Dokumentationspflichten zu belastend, die Gänsepopulation zu groß.

FDP versucht Keil zwischen CDU und Grüne zu treiben

Das Land müsse viel mehr unternehmen, um die Gänsepopulation zu reduzieren, fordert Lucht. Hunderttausende Grau- und Nonnengänse fräßen das Futter der Nutztiere und verkoteten die Weide- und Ackerflächen. „Wir müssen in die Population eingreifen dürfen und nicht nur Tiere vergrämen oder ganz vereinzelt schießen“, fordert der Bauernpräsident. Nur weigere sich Umweltminister Tobias Goldschmidt, das zu tun, obwohl die Bestände überhandnähmen und nicht gefährdet seien. 

Der Angegriffene wehrt sich gegen die Vorwürfe. Er sei kein „Bremsklotz“, sondern ein „Kämpfer für unsere natürlichen Lebensgrundlagen“, sagte der Grüne kürzlich dem SHZ. Er müsse als Umweltminister alle Interessen berücksichtigen und nicht nur die der einzelnen Interessensgruppen. Die Kritik aus den Reihen der Bauern ist für ihn eine „Mischung aus Folklore und dem Versuch, große und teils hausgemachte Probleme der Landwirtschaft im Umwelt- und Naturschutz abzuladen“. Umweltpolitiker pflegten ein enges Verhältnis mit den Landwirten. „Gelegentliche Raufereien gehören dazu“, so Goldschmidt im SHZ-Interview.

Landesparteitag der Union forderte einen intensiveren Kampf gegen die Gänse

Gänse im größeren Stil bejagen, Problemwölfe leichter abschießen? SPD und FDP weisen genüsslich auf die Diskrepanz zwischen CDU-Reden und CDU-Handeln in Schleswig-Holstein hin. So forderte der Landesparteitag der Union in diesem Herbst einen intensiveren Kampf gegen die Gänse. „Die Abschussgenehmigungen wollen wir beschleunigen“, heißt es da. Genauso macht sich die CDU für die „Bejagung und eine Begrenzung der Wölfe“ stark. Gleichzeitig lehnt sie aber einen Antrag der FDP im Landtag für ein „Wolfsbestandsmanagement“ ab. Die Zahl der Wölfe zu „begrenzen“ lässt sich zwar auf einem Parteitag gut fordern, nur mit einem grünen Koalitionspartner in der Regierung halt nicht durchsetzen. Das wusste die FDP, als sie den Antrag stellte, um die Koalition vorzuführen.

„Union und Grüne haben ein unterschiedliches Verständnis, wie Naturschutz gewährleistet werden soll“, sagt die Expertin der CDU-Fraktion, Cornelia Schmachtenberg. Sie hält es für falsch, die Natur sich selbst zu überlassen, wie es die Grünen teilweise fordern. „Wir brauchen auch für den Naturschutz eine gewisse Bewirtschaftung oder Bejagung. So ist der Bruterfolg an der Westküste von Wiesenvögeln sehr gering, weil Marder und Ratten nicht bekämpft werden“, sagt Schmachtenberg.

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Die CDU-Fraktion im Kieler Landtag hatte sich Anfang des Jahres mit den demonstrierenden Landwirten solidarisiert – trotz der Straßenblockaden. „Ich hätte Verständnis, sollten die Landwirte auch im kommenden Winter demonstrieren. Auf EU- und auf Bundesebene ist nicht viel passiert. Und mit den Betroffenen wird auch nicht gesprochen“, sagt Cornelia Schmachtenberg.