Brunsbüttel. Seit Wochen jagen Ermittler unbekannte Flugobjekte über einem Chemie-Park an der deutschen Westküste. Welchen Problemen sie dabei begegnen.
Haben sie Waffen an Bord? Spionagekameras? Sabotage-Technik? Seit mittlerweile vier Wochen überfliegen nachts mutmaßlich militärische Drohnen einen Industriepark an der schleswig-holsteinischen Westküste. Welche Gefahr geht von den Drohnen aus? Wer steckt dahinter?
Es gibt vieles, was die Polizeieinheiten aus mehreren Bundesländern, Spezialisten aus dem schleswig-holsteinischen Landeskriminalamt und Staatsschützer der Staatsanwaltschaft Flensburg, die die Drohnen und ihre Piloten jagen, nicht wissen. Sicher sind sie allerdings: Die mehr als 100 Kilometer pro Stunde flinken Drohnen gibt es nicht im Laden zu kaufen. Sie sind offensichtlich fürs Militär entwickelt und gebaut. Und so vermuten Experten einen Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Der Verfassungsschutz warnt schon seit Längerem vor russischer Spionage und möglicher Sabotage.
AKW Brunsbüttel: „In dieser intensiven Form erstmalig aufgetretenes Phänomen“
Das (stillgelegte) Atomkraftwerk Brunsbüttel steht im 2000 Hektar großen ChemCoast Park, das schwimmende LNG-Terminal hat hier festgemacht, hier wird Rohöl gelagert und Sondermüll verbrannt, hier produziert die chemische Industrie Ammoniak, Spritzusätze oder Rohstoffe für Düngemittel.
Werkschützer im größten Chemiepark Schleswig-Holsteins hatten am 8. August erstmals die mutmaßlichen Überwachungsflüge geortet – trotz der Überflugverbote für größere Teilen des Geländes. Bis zu vier Flugobjekte machten sie im August nachts über Brunsbüttel aus. „Dieses Phänomen ist nach unserem Kenntnisstand in dieser intensiven Form bislang in Schleswig-Holstein erstmalig aufgetreten“, sagte Staatssekretärin Magdalena Finke aus dem Kieler Innenministerium in dieser Woche vor dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtages.
Russische Drohnen über Brunsbüttel? Allerhand Behören alarmiert
Der Werkschutz schaltete nach den ersten Sichtungen die örtliche Polizei ein. Zivilfahnder, Staatsschützer im Landeskriminalamt und bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Flensburg wurden genauso in die Ermittlungen eingebunden wie das Bundeskriminalamt, Drohnen-Jäger anderer Bundesländer und das „Nationale Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Lauftraum“. Das „Zentrum Luftoperationen“ steht zudem in engem Kontakt mit den Landesbehörden.
Die Fachdienststelle der Flensburger Staatsanwaltschaft um deren Leiterin Stephanie Gropp ermittelt wegen einer „strafbaren Agententätigkeit zu Sabotagezwecken“. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft. Der zweite Ermittlungsansatz lautet „Verstoß gegen das Luftverkehrsgesetz“. Hier drohen bis zu zwei Jahre Haft.
Militärische Drohnen sind Ermittlern haushoch überlegen
Was die Fahnder erreicht haben: Die Drohnenüberflüge sind seltener geworden – aber keineswegs hören sie auf. Was Polizei und Politik Sorgen bereitet: Die offensichtlich militärischen Flugobjekte, die weder zu identifizieren, noch einzufangen sind, sind den staatlichen Abfangdrohnen in Tempo, Wendigkeit und Flugzeit haushoch überlegen. „Wir haben alle im Bundesgebiet verfügbare Technik eingesetzt“, sagte Staatssekretärin Finke. Vergeblich, denn die fremden Drohnen sind „schnell und zeigen ungewöhnliche Flugmuster“, so die CDU-Politikerin. Viel mehr sagte sie nicht – der Vorgang ist als „geheim“ eingestuft.
Lediglich ein paar Trittbrettfahrer und deren handelsübliche Drohnen haben die Fahnder in den vergangenen Wochen bei dem aufwendigen Einsatz aus dem Verkehr ziehen können. Und sie konnten einige vermeintliche Drohnenflüge nach Sichtung der Radarbilder als Bedrohung ausschließen – hier hatten Werkschützer oder Anwohner Flugzeuge, Hubschrauber oder Satelliten mit Drohnen verwechselt.
Drohnen auch unweit des Hamburger Hafens gesichtet
Die tatsächlichen Drohnen kreisten zuletzt überwiegend über dem Chemiepark an der schleswig-holsteinischen Westküste, wurden aber auch schon über Stade gesichtet. Von hier ist es nicht weit bis zum Hamburger Hafen. Auch in Stade haben sich wie in Brunsbüttel Chemieunternehmen angesiedelt, auch hier steht ein ehemaliges Atomkraftwerk.
„Der Verdacht, russische Drohnen würden Industrie-, Chemie- und Atomanlagen in Schleswig-Holstein potenziell bedrohen, wiegt schwer. Seit Monaten warnen wir vor der Skrupellosigkeit russischer Spionage- und Sabotageaktionen in Deutschland und der EU“, schrieb der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz auf dem Mitteilungsdienst X. Der grüne Politiker ist Vorsitzender des für die Geheimdienste zuständigen Kontrollgremiums im Bundestag.
Drohnen „Orlan-10“ von zivilen Schiffen in der Nordsee gestartet?
Bei den Drohnen könnte es sich laut „Bild“ um unbemannte „Orlan-10“ handeln. Die stammen aus Russland, haben eine Reichweite von 500 bis 600 Kilometern und könnten von vermeintlich zivilen Schiffen in der Nordsee aus gestartet und gesteuert worden sein. Abfangen können die deutschen Drohnenjäger die unbekannten Flugobjekte nicht – aber warum bringen sie sie nicht zum Absturz? „Wir dürfen bei der Abwägung eines solchen Einsatzes nicht außer Acht lassen, welche Folgen und vor allem welche Schäden eine abstürzende Drohne verursachen kann und dass diese zum derzeitigen Zeitpunkt nicht verantwortbar sind“, sagte Innenstaatssekretärin Finke.
Schleswig-Holstein zieht Konsequenzen aus den Attacken: „Wir wollen die länderübergreifende Zusammenarbeit zur Drohnenabwehr verbessern“, sagt CDU-Politikerin Finke. Die Idee ist, eine gemeinsame Abwehr gegen die hybride Bedrohung und Kriegsführung aufzubauen, um die sogenannte kritische Infrastruktur besser vor Sabotage und Spionage schützen zu können.
Ausweitung der Flugverbotszone ist nicht unproblematisch
Polizei und Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein gehen laut Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack und Justizministerin Kerstin von der Decken dem Thema mit größter Sorgfalt nach. „Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder haben schon vor Längerem vor Spionage und Sabotage gewarnt. Dies gilt weiterhin“, sagte Sütterlin-Waack. „Wir gehen in Schleswig-Holstein selbstverständlich jedem Spionage- und Sabotageverdacht nach und sind sehr wachsam.“ 19 Drohnen-„Vorfälle“ wurden in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr registriert, fast 200 Anzeigen gab es insgesamt in den vergangenen Jahren.
Aktuell ist das Land mit den Unternehmen an der Küste im Gespräch, die Flugverbotszone auszuweiten. Noch gibt es über dem Chemiepark in Brunsbüttel einige weiße Flecken, so Staatssekretärin Finke. Das Problem dabei ist, dass die Firmen selbst Drohnen für ihren Werkschutz einsetzen. Bei ausgeweiteten Verbotszonen müssten auch sie ihre Flugobjekte am Boden lassen.
Polizei mit der Abwehr militärischer Drohnen „technisch überfordert“
Schleswig-Holstein hat erst im Laufe des Jahres begonnen, Drohnenabwehr für die Landespolizei anzuschaffen. Der Einkauf ist noch nicht beendet. Mit dieser Technik kann die Polizei herkömmliche Drohnen detektieren und abwehren. Auch helfen sich die Bundesländer wie jetzt im Fall Brunsbüttel mit Technik aus. Nur: Zur Abwehr militärischer Drohnen reicht das Equipment nicht.
„Damit ist eine Landespolizei technisch überfordert. Das kann kein Bundesland leisten“, sagt FDP-Innenexperte Bernd Buchholz. Er sieht den Bund in der Verantwortung, sich auf diese neuartigen Bedrohungslagen einzustellen.
Bedrohung auch für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein
Das sieht auch der Vorsitzende des Kieler Innen- und Rechtsausschusses so: „Den Schutz vor militärischen Drohnen kann die Landespolizei allein nicht leisten“, sagt Jan Kürschner von den Grünen.
Er warnt vor ausländischen Akteuren, die die kritische Infrastruktur ins Visier nähmen und gleichzeitig Unsicherheit in der Bevölkerung streuten. Das sei von Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein. „Je weiter die Energiewende voranschreitet und je dezentraler die Energieerzeugung wird, desto schwieriger wird es, diese zu sichern. Daher ist die Gewährleistung des Schutzes dieser Infrastruktur eine Kernaufgabe staatlicher Sicherheitsvorsorge“, sagt Kürschner.
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Niclas Dürbrook von der SPD ist „extrem beunruhigt. Dass die Flüge nun seit beinahe einem Monat andauern, zeigt, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Die Sicherheitsbehörden in Land und Bund müssen so aufgestellt sein, dass man auch gegen verhältnismäßig neue Bedrohungen wie Drohnen konsequent vorgehen kann.“