Kiel. Zehn-Millionen-Investition: Schleswig-Holstein schafft nach und nach Elektroimpulsgeräte an. Zuerst sind Problemreviere an der Reihe.
Es ist nicht nur ein Problem von Großstadtpolizeien wie der in Hamburg – auch im ländlich geprägten Schleswig-Holstein steigt die Zahl der Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten von Jahr zu Jahr. Das Bundeslagebild des BKA weist für 2022 insgesamt 3.396 Straftaten gegen Beamte in Schleswig-Holstein aus.
Dabei wurden 456 Einsatzkräfte zwischen Flensburg und Lauenburg verletzt, sechs von ihnen schwer. Die Täter waren häufig betrunken oder hatten Drogen konsumiert. Auf diese Entwicklung reagiert das Innenministerium – und stattet die Einsatzkräfte jetzt nach und nach mit Distanz-Elektroimpulsgeräten („DEIG“) aus. Die Strompistolen sind besser bekannt unter dem alten Herstellernamen „Taser“. Schleswig-Holstein ist der Nachzügler unter den Länderpolizeien bei der Anschaffung der Waffen.
Schleswig-Holstein: Reaktion auf steigende Gewalt! Polizeibeamte bekommen Taser
Nach einem einjährigen Testlauf schreiben Polizei und Innenministerium den DEIG eine abschreckende und deeskalierende Wirkung zu. Das Gerät schließe eine Lücke zwischen Pfefferspray und dem Einsatzstock auf der einen und der Pistole auf der anderen Seite. Mit den DEIG verschaffe man der Polizei einen „größeren Handlungsspielraum in der Wahl der abgestuften Zwangsmittel“, sagt Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.
Die CDU-Politikerin, aber auch Niclas Dürbrook von der SPD, erinnerten am Freitag in der Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtages an die anfängliche Skepsis in Teilen der Polizei gegenüber dem neuen Einsatzmittel. Die habe sich in der Erprobungsphase in breite Zustimmung gewandelt.
Schleswig-Holstein will elektrische Waffen nach und nach anschaffen
Aus Sicht der Polizisten beim SEK, in Neumünster und in Ahrensburg, die den Einsatz der Waffe ein Jahr lang getestet haben, hilft die Strompistole, den „Störer“ auf Distanz zu halten und damit die Gefahren für Störer und Polizei zu minimieren. So formuliert es Torsten Jäger, der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP.
Nach dem Ende der Pilotierung werden die Polizeien im Land jetzt sukzessive mit den DEIG ausgestattet. Als Nächstes werden zehn Waffen – im zweiten oder dritten Quartal dieses Jahres – am Polizeirevier im Kieler Problemstadtteil Gaarden ausgerollt. Bis die Waffen auch in Dithmarschen oder Nordfriesland zur Verfügung stehen, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern: Nach Kiel-Gaarden sind zunächst städtische Polizeireviere mit Kriminalitätsschwerpunkten an der Reihe. Vereinfacht ist die Reihenfolge so: Je mehr Polizeibeamte angegriffen wurden, desto früher erhalten die Reviere diese Spezialwaffen. Der Opposition im Landtag geht das nicht schnell genug. Und so kritisierte SPD-Innenexperte Dürbrook die „sehr zögerliche Einführung“ und forderte mehr Tempo.
Land kalkuliert mit Kosten von zehn Millionen Euro
Um die DEIG flächendeckend im Land auszurollen, muss Schleswig-Holstein rund zehn Millionen Euro investieren. Dafür fehlt im Landeshaushalt aber das Geld, und so wird die Anschaffung über mehrere Jahre gestreckt.. Eine Strompistole kostet mehrere Tausend Euro (die Polizei spricht von einem „mittleren vierstelligen Betrag“). Hinzu kommt noch einmal pro Waffe derselbe Betrag für Geräte-, Anwender- und Administratoren-Lizenzen sowie für die IT. Hier ist eine spezielle Software nötig, um das „Ereignisprotokoll“ der Waffen auslesen zu können. Auch die Aus- und Fortbildung an der Waffe ist teuer: So kostet jeder (Trainings-)Schuss rund 50 Euro.
Die Handhabung dieser Waffe ist ähnlich einer Pistole. Es gibt einen Abzug. Wird der bedient, jagt eine Treibladung dann statt einer Patrone zwei Pfeile los. Über dünne Drähte wird dann für fünf Sekunden Strom in den Körper des Gegenübers geschickt, der dessen Muskeln verkrampfen lässt. Das führt (im Regelfall) zur sofortigen Handlungsunfähigkeit. In der einjährigen Testphase hatten Polizisten im städtischen Neumünster die Waffe 30-mal und im ländlichen Ahrensburg fünfmal gezogen. Das reichte in allen Fällen als Abschreckung, kein einziges Mal musste Strom verschossen werden.
Missachtung, fehlende Wertschätzung und Hass gegenüber Einsatzkräften
So lobt Innenstaatssekretärin Magdalena Finke, dass das „DEIG auch mit Blick auf stetig wachsende Zahlen von Gewalttaten gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte einen deeskalierenden Schutzfaktor“ für die eingesetzten Kräfte habe. Torsten Jäger, der Polizeigewerkschafter, hat als Ursache der Übergriffe auf Einsatzkräfte Missachtung, fehlende Wertschätzung und auch Hass ausgemacht, der sich gegenüber Polizisten oder Rettungskräften entlade. Jäger sieht neben der abschreckenden Wirkung noch einen weiteren Vorteil der Strompistolen: „Wir erwarten, dass das letzte und schärfste Einsatzmittel – der Schusswaffengebrauch mit seinen extremen Gefahren für Leib und Leben – weniger oft notwendig sein wird.“
Die GdP macht sich neben den DEIG noch für ein zweites Einsatzmittel stark: Schulterkameras. Bodycams stellten ein sehr geeignetes Mittel der Gefahrenabwehr dar, sagt Jäger. Sie dienten der Gewaltdeeskalation sowie dem Schutz der Bürger und der Polizisten, weil schon das Wissen um entstehendes Bildmaterial potenzielle Angreifer „häufig von der Gewalteskalation abbringt. Hier erwarten wir, dass es möglichst umgehend eine flächendeckende Ausstattung dieser körpernah getragenen Kameras gibt“, fordert Jäger vom Innenministerium.
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Skepsis gegenüber dem neuen Einsatzmittel DEIG kommt übrigens aus dem Regierungslager selbst. Während SPD, FDP und SSW die Anschaffung lobten, klang Jan Kürschner von den mitregierenden Grünen weniger begeistert. Für Menschen mit Vorerkrankungen sei der Einsatz nicht risikolos, warnte er. Zudem man müsse man noch besser verstehen, wie sich der Einsatz der Waffe auf das Einsatzgeschehen auswirke.