Kiel. Bau der Batteriefabrik an schleswig-holsteinischer Westküste zeigt: Die Infrastruktur ist marode. Kommunen fühlen sich alleingelassen.
Es hatte sich die ganz große Koalition eingefunden: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war gekommen, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Alle waren da, dazu Chefs von Firmen und Kammern, Vertreter der Kommunen, Abgeordnete. Sie allen feierten im März in Dithmarschen den Baustart eines Projektes, von dem sie sich eine bessere Zukunft der strukturschwachen Region versprechen.
Scholz und Habeck und Günther feierten sich damit auch selbst. Hatten sie doch mit fast einer Milliarde Euro Subventionen und Bürgschaften den schwedischen Tech-Konzern Northvolt nach Dithmarschen geholt – trotz leerer Kassen, eines für die Bundesregierung vernichtenden Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts und beinharter Konkurrenz aus Nordamerika. Scholz, Habeck und Günther ist mit der Ansiedlung der „Giga-Factory“, in der bis zu eine Million Batterien für Elektroautos jährlich produziert werden sollen, ein echter Coup gelungen. 4,5 Milliarden Euro investiert die Firma an der schleswig-holsteinischen Westküste, 3000 Arbeitsplätze sollen im Werk aufgebaut werden, mindestens dieselbe Zahl nochmals bei Zulieferern und Dienstleistern. Für Schleswig-Holstein – nicht nur an der Westküste – ist die Entscheidung der Schweden ein Glückstreffer. Das Land ist hoch verschuldet, beim Verdienst liegen die Menschen deutlich zurück, mehr als 90.000 Frauen und Männer sind ohne Job. Auch wenn hier die glücklichsten Deutschen leben – die Fakten sind ernüchternd.
Northvolt: Land und Bund verspielen Vertrauen
So ist die Infrastruktur in einem desolaten Zustand: Auf die Elektrifizierung der kompletten Strecke der viel befahrenen Marschbahn von Altona nach Sylt warten die Fahrgäste noch immer. Auf anderen Abschnitten im Land sollte die DB Eintrittskarten für die Museumsbahn verkaufen statt regulärer Tickets, spottete Landesverkehrsminister Claus Madsen. Brücken und Straßen sind in einem traurigen Zustand. Beim Weiterbau der A20 von Bad Segeberg an die Westküste tut sich genauso wenig wie beim sechsspurigen Ausbau der A23. Schleswig-Holstein ist abgehängt. Auch weil dem Land auf Bundesebene eine Lobby fehlt. Im Land gibt es kein Erkenntnisproblem, wohl aber ein Entscheidungsproblem.
Wie war der sonst so emotionsarme Olaf Scholz beim Baustart der Northvolt-Fabrik ins Schwärmen geraten. Vom vorbildlichen „Dithmarschen-Tempo“ hatte der Kanzler mit Blick auf die zügigen Verhandlungen, Entscheidungen und Genehmigungen gesprochen. Was Scholz nicht gemeint haben dürfte, ist das Dithmarschen-Schnecken-Tempo, das Bund und Land seither fahren.
Die Bahn ist hier auf Strecken von gestern unterwegs
Während das schwedische Unternehmen den Bau – trotz eigener Schwierigkeiten im Stammwerk in Nordschweden – weiter vorantreibt, bleiben die Bundes- und die Landesregierung hinter den selbst geschürten Erwartungen zurück. Ein Beispiel ist die 100 Jahre alte Hochdonner Bahnbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal. Der drohte wohl der Einsturz, würde Northvolt die Güterzüge mit Rohstoffen bzw. Autobatterien in der Dimension auf die Reise schicken, wie es den Schweden vorschwebt, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die eingleisigen und nicht elektrifizierten Alternativrouten sind auch nicht viel besser. Die Bahn ist hier auf Strecken von gestern unterwegs.
Und was unternimmt der Bund, um „Dithmarschen-Tempo“ auf die Strecke zu bekommen? Nichts Wahrnehmbares. Wer jetzt von der Bundesregierung und der Deutschen Bahn auch nicht mehr erwarten sollte: Das Land ist auch nicht schneller unterwegs.
Northvolt: Worauf die Kommunen händeringend warten
Darauf, dass ein professionelles Projektteam die Koordination aller Arbeiten an der Westküste übernimmt, warten die Kommunen genauso wie auf das vor vielen Monaten versprochene Förderprogramm des Landes. Der Bau von neuen Schulen, Kitas, Spiel- oder Sportplätzen, die Ausweisung neuer Baugebiete – alles schleppt sich hin.
Ein Projekt dieser Größenordnung überfordert die Kommunen und ihre zum Teil ehrenamtlichen Bürgermeister. Daniel Günther und sein Kabinett haben es zugelassen, dass sich an der Westküste der Eindruck verfestigt, alleingelassen worden zu sein. Die Rede ist davon, dass sich das Land aus der Verantwortung stehle. Sicher ist das subjektiv, vielleicht ist es auch unfair. Aber es ist die Wahrnehmung vor Ort.
Nach der Landtagswahl konnte sich Daniel Günther aussuchen, mit wem er regiert. Gerade einmal ein Sitz fehlt der CDU an der absoluten Mehrheit im Landtag. Warum Günther und die Union hier so viel besser abschneiden in Wahlen und Umfragen? Weil gut zwei Drittel der Schleswig-Holsteiner zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihm und seiner Arbeit sind. Weil sie sich ordentlich regiert fühlen.
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Wenn die Landesregierung es nicht rasch schafft, die Northvoltansiedlung wieder glaubhaft zu ihrem Aufbruch- und Zukunftsprojekt mit höchster Priorität zu machen, droht ihr ein Vertrauensverlust nicht nur im strukturschwachen Dithmarschen – sondern landesweit.