Kiel/Norderwöhrden. Nachdem auch die Gemeinden zugestimmt haben, ist klar: Northvolt baut sein Batteriewerk in Dithmarschen. Daniel Günther: „Meilenstein“

Was man über Norderwöhrden wissen sollte, hat die kleine Gemeinde auf gerade einmal einer Seite zusammengetragen. Unter einem Foto von weidenden Schafen vor Windparkkulisse liest man auf der Homepage von 290 Einwohnern, zwei Hofläden, einer davon mit eigener Schlachterei, einer Hengststation, einer Fahrschule, 15 landwirtschaftlichen Betrieben inklusive Urlaub auf dem Bauernhof.

Das Leben in Norderwöhrden ist eher übersichtlich. Sieben der 290 Frauen und Männer aus dem Ort in Dithmarschen engagieren sich ehrenamtlich im Gemeinderat. Und vier dieser sieben haben jetzt eine Entscheidung getroffen, die Ministerpräsident Daniel Günther von einem „historischen Tag für Schleswig-Holstein“ schwärmen lässt. Am Montag hat der Gemeinderat nämlich Ja gesagt zum Bau einer Fabrik, die viele „mega“ nennen, mit ihren 3000 Arbeitsplätzen und der Investition von rund 4,5 Milliarden Euro durch den schwedischen Batteriehersteller Northvolt.

Wer mit dem Auto von Hamburg Richtung Husum fährt, kommt automatisch an Norderwöhrden vorbei – vermutlich ohne es wahrzunehmen. Dort, wo die Autobahn 23 endet und nahtlos in die B5 übergeht, dort wo auf scheinbar endlosen Äckern Windrad an Windrad steht, liegt die kleine Gemeinde, die es in dieser Woche in der Hand hatte, die EU-Wettbewerbskommission, einen schwedischen Weltkonzern, eine Bundes- und eine Landesregierung vorzuführen. Aber sie hat es gelassen und sich stattdessen für die Zukunftsinvestition entschieden. Aber: Wäre nur einer der Befürworter der Investition in der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung auf die Seite der Fabrikgegner umgeschwenkt, vermutlich wären alle Planungen, die politischen Bemühungen und die von Northvolt im Vorwege getätigten Investitionen von gut 100 Millionen Euro für die Katz gewesen.

Northvolt: Ein „Meilenstein“ für Schleswig-Holstein

So aber wird die Batteriezellenfabrik auf rund 110 Hektar im strukturschwachen Dithmarschen gebaut. Auf der Suche nach dem richtigen Standort hat Heide 140 Mitbewerber hinter sich gelassen, vor allem, weil es hier genügend grüne Energie gibt. 2026 sollen die ersten Elektroautos mit Batterien aus Dithmarschen fahren. Ist die Produktion hochgefahren, rechnet Northvolt – ein Anteilseigner an dem schwedischen Konzern ist VW – mit einer Jahresproduktion von rund einer Million Batterien. 3000 Menschen sollen dann in der Fabrik arbeiten, mit rund 3000 weiteren rechnet man bei Zulieferern und Dienstleitern.

Diese Dimension zeigt die Bedeutung des Werks für ganz Norddeutschland – sie zeigt aber auch, warum sich in der Bevölkerung die Bedenken halten. Nicht alle Beschäftigten werden sich mit ihren Familien eine Wohnung vor Ort suchen, werden dort einkaufen oder ihre Kinder in Kitas oder Schulen schicken. Viele werden pendeln, aber es wird trotzdem Tausende Einwohner neu nach Heide, Norderwöhrden oder in die Nachbargemeinde Lohe-Rickelshof ziehen.

Warum der örtliche Bürgermeister zugestimmt hat

Und so sieht Kai Tange, der Bürgermeister von Lohe-Rickelshof, „außergewöhnliche Herausforderungen“ auf seine Gemeinde zukommen. Doch für Tange überwiegen dennoch die „besonderen Entwicklungschancen für die gesamte Region“. Außerdem könne der „grüne Standort Dithmarschen“ einen Beitrag zur Klimawende leisten, wenn Batterien für E-Autos in Europa nicht in anderen Teilen der Welt produziert und unnötig transportiert werden müssen, sagt Tange.

Das sieht auch Ministerpräsident Daniel Günther so. Er spricht von der „europäischen Antwort auf den internationalen Wettbewerb im Automobilmarkt.“ Mit der Batteriefabrik in Schleswig-Holstein könnten Lieferketten geschlossen und Unabhängigkeit erreicht werden. Für die energieintensive Produktion der Batteriezellen soll ausschließlich grüner Windstrom verwendet werden. Weil der an der Westküste im Überfluss zur Verfügung steht, hatte sich Northvolt für den Standort entschieden. Und so ist für den Regierungschef der Bau des Werks dann auch nicht weniger als ein „Meilenstein auf dem Weg zu einem klimaneutralen Industrieland Schleswig-Holstein“.

Opposition fordert Hilfe des Landes für Kommunen

Günther versprach den Kommunen vor Ort Unterstützung beim Wohnungsbau, Kita- und Schulausbau. Hilfe aus Kiel ist der Opposition im Kieler Landtag wichtig. Schwarz-Grün dürfe die Gemeinden bei den „Herausforderungen dieses Mega-Projektes nicht allein lassen. Egal ob bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren, der Entwicklung der notwendigen Infrastruktur, dem Bau von genügend Wohnraum und Schulen oder dem Anwerben geeigneter Fachkräfte: Schwarz-Grün muss jetzt liefern!“, fordert die SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli. Ähnlich äußert sich FDP-Chef Oliver Kumbartzky. „Die Landesregierung muss bei dem Tempo mitgehen, das Dithmarschen und Northvolt vorgegeben haben. Damit Northvolt auch in der Umsetzung zum Erfolg wird, braucht es die Infrastruktur vor Ort.“

Der Bund und das Land Schleswig-Holstein haben die 4,5-Milliardeninvestition erst möglich gemacht. Ohne die Zuschüsse aus Steuergeldern hätte sich Northvolt gegen den Standort in Deutschland entschieden. So aber zahlen Bund und Land, genehmigt von der EU, zusammen rund 700 Millionen Euro Zuschüsse und bürgen für weitere 200 Millionen Euro an Krediten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte viele Monate lang um die Ansiedlung geworben – und trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Subvention im Dezember durchgesetzt.

Robert Habeck: Starkes Zeichen für die Demokratie

Der Grünen-Politiker zeigte sich nach der Zustimmung in Norderwöhrden auf NDR Info erleichtert. Für die Region sieht Habeck große Entwicklungschancen. „Das ist schon eine Ankerinvestition, die weite Teile der Westküste Schleswig-Holsteins stärken und attraktiver machen wird.“ Die Entscheidung sei auch ein starkes Zeichen für die Demokratie. Denn EU, Bund und Land haben das Bauprojekt unterstützt und vorangetrieben.

Auch in Hamburg wird der Fabrikbau rund 100 Kilometer nördlich sehr positiv bewertet. Profitieren von der „zukunftsweisenden Investition in eine grüne Technologie“ würden Dithmarschen, der „Speckgürtel“ und auch Hamburg, heißt es in der Handelskammer. Sie verweist auf die Northvolt-Unternehmenszentrale in der Speicherstadt, auf den Bau einer Fabrik der Schweden für Batterierecycling in Billbrook und auf die vermutlich vielen Berufspendler.   

Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard wertet den Aufbau des Northvolt-Standortes als „norddeutsche Gemeinschaftsleistung“. Die Verfügbarkeit von Flächen und die Nähe zur Energieproduktion an der Westküste fügten sich perfekt mit dem Unternehmenssitz in Hamburg als internationaler Metropole, Logistik- und Industriestandort zusammen. „Hier im Norden verfügen wir künftig durch die erneuerbaren Energie über einen unschätzbaren Standortvorteil“, so Leonhard. 

Northvolt: Land will beim Gleisanschluss unterstützen

Der Unternehmensverband Westküste hat seine Mitglieder zur Northvolt-Ansiedlung befragt. Danach glaubt jedes dritte Unternehmen an eine Verbesserung der regionalen Infrastruktur in Folge des Fabrikbaus. Ebenfalls etwa jedes dritte Unternehmen glaubt, sich jetzt neue Märkte und Geschäftsfelder für das eigene Unternehmen erschließen zu können. „Noch nie hatte die Region derartige Entwicklungschancen wie jetzt“, sagt Verbandsgeschäftsführer Ken Blöcker.  „Natürlich werden auch Mitarbeiter zu Northvolt abwandern. Wie stark dies aber tatsächlich geschehen wird, bleibt abzuwarten.“

Björn Ipsen ist der Hauptgeschäftsführer der IHK Schleswig-Holstein. Er sieht die Sorgen in Teilen der Wirtschaft vor „negativen Auswirkungen auf den ohnehin vom Arbeitskräftemangel geprägten Arbeitsmarkt. Dennoch überwiegen die enormen Entwicklungschancen dieser Ansiedlung für die Gemeinden, für Dithmarschen und ganz Schleswig-Holstein.“ Er spricht von einem „Leuchtturmprojekt der Energie- und Verkehrswende“. Neben Investitionen des Landes in Wohnungsbau, Stadtentwicklung, Schulen und Kitas fordert die IHK die „weitere infrastrukturelle Erschließung Schleswig-Holsteins – zum Beispiel durch den Weiterbau der A20“.

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen („Wir kommen mit der Entscheidung unserer Vision von einem grünen Industrieland einen epochalen Schritt näher“) will Northvolt helfen, eine „umweltfreundliche Logistikkette zu organisieren“. Das Land unterstütze das Unternehmen nicht nur bei der Suche nach Fachkräften, sondern auch bei der Realisierung eines eigenen Gleisanschlusses. Geplant ist eine stufenweise Fertigstellung der Schienenanbindung bis zum Jahr 2030. Parallel werde die Elektrifizierung der Marschbahn zwischen Hamburg und Sylt vorangetrieben, sagte Madsen. Das Land begleite zudem bei Heide eng den Umbau an der Bundesstraße 5 und an der B203.

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Der grüne Umweltminister Tobias Goldschmidt erinnert an den „konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien und unserer Stromnetze hier in Schleswig-Holstein. Northvolt will die grünste Batterie der Welt bauen – und hat sich für Heide entschieden, weil es hier erneuerbare Energie im Überfluss gibt. Die Energiewende ist der größte Standortvorteil Schleswig-Holsteins.“