Kiel. Konzern baut in Heide „Gigafactory“. Eine Million Batterien soll jährlich produziert werden. Nur: Wie werden sie abtransportiert?
- In Dithmarschen will Northvolt seine „Gigafactory“ bauen – 3000 neue Jobs sollen entstehen
- Doch eine Fabrik dieser Größenordnung benötigt auch eine ähnlich große Infrastruktur
- Und genau da macht eine bereits berühmte Bahnbrücke Probleme...
Über diese Brücke spottete monatelang halb Norddeutschland: Das war, als das Oberlandesgericht Schleswig die Bahn im „Fäkalienprozess“ 1995 dazu verdonnerte, in Zügen über den Nord-Ostsee-Kanal bei Hochdonn nur noch Wagen mit geschlossenen Toilettensystemen einzusetzen oder zumindest den Fahrgästen die Benutzung der Plumpsklos per Durchsage zu verbieten. Geklagt hatte ein Betroffener, dessen Haus unter der Brücke steht. Großer Schiet ist die Brücke immer noch – jetzt aber in erster Linie für Northvolt, den schwedischen Batteriekonzern, der bei Heide eine sogenannte Megafabrik bauen will.
Bis zu einer Million Batterien für E-Autos will Northvolt in seinem Werk in Dithmarschen pro Jahr produzieren. Viereinhalb Milliarden Euro investiert das skandinavische Unternehmen – VW ist einer der großen Investoren – in der strukturschwachen Region. Bis zu 3000 Menschen sollen hier einmal direkt arbeiten, weitere rund 3000 Jobs werden bei Zulieferfirmen und Dienstleistern erwartet. Und so sprechen die Schweden selbst von einer „Gigafactory“.
Northvolt: Das Brücken-Dilemma am Nord-Ostsee-Kanal
Heide hat vor allem aus ökologischen Gründen alle anderen möglichen Standorte aus dem Rennen geworfen. Denn hier gibt es für die energieintensive Batteriezellenproduktion Windstrom im Überfluss. Umweltschonend soll aber nicht nur die Herstellung laufen, sondern auch die Anlieferung der einzelnen Komponenten und der Abtransport der fertigen Batterien. Und hier kommt die Bahn ins Spiel, zumal die großen Autofabriken – wie VW in Wolfsburg – über eigene Gleisanschlüsse verfügen.
Um welche Dimension es sich bei der Fabrik handelt, steht im Verkehrsgutachten zur Bauleitplanung. Hierin werden täglich rund 2950 Pkw-Fahrten und bis zu 900 Lkw-Fahrten angenommen. „Allerdings soll ... ein Großteil der für die Produktion notwendigen Verkehre über die Schiene abgewickelt werden. Die Abwicklung über die Straße ist zwar möglich und zulässig, entspricht aber nicht den ökonomischen und ökologischen Zielvorstellungen der Northvolt Drei Project GmbH“, schreibt das zuständige Kieler Wirtschaftsministerium. „Für Northvolt hat eine nachhaltige Schienenlogistik oberste Priorität. Wir stehen zu den Planungen in engem Kontakt mit der Landes- und Bundesregierung“, informiert Unternehmenssprecher Martin Höfelmann.
Northvolt: „Eine Gigafactory braucht Giga-Infrastruktur.“
Sobald die Fabrik auf Hochtouren läuft, ist mit rund zehn voll beladenen großen Güterzügen zu rechnen – täglich. Und damit sind wir wieder beim Anfang: Das hält die gut 100 Jahre alte Eisenbahnbrücke bei Hochdonn nicht einmal ansatzweise aus. Und so heißt es in Kreisen, die mit dem Ansiedlungsvorhaben vertraut sind, dass die Auflastung einer Brücke aus der fossilen Kaiserzeit nicht der Maßstab für die Zukunftsindustrie des 21. Jahrhunderts sein könne. „Eine Gigafactory braucht Giga-Infrastruktur.“
Nur: Wo soll diese Giga-Infrastruktur herkommen? Arbeiter zogen die Hochdonner Hochbrücke zwischen 1913 und 1920 hoch. Sieben Jahre dürften heute nicht einmal ansatzweise auch nur für die Phase genügen, in der eine neue Brücke oder ein Tunnel unter dem Nord-Ostsee-Kanal geplant, genehmigt und (vermutlich) beklagt wird. Danach zöge sich der Bau weitere Jahre hin. Und so bleiben nur Überlegungen, die allesamt Notlösungen sind: Die Brücke könnte saniert und verstärkt werden. „Aber auch danach können nur solche Züge über die Brücke fahren, die es auch bisher können“, sagte Detlef Wittmüß vom zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamt dem SHZ. Und das reicht bei Weitem nicht.
Deutsche Bahn: Elektrifizierung der Strecke dauert noch Jahre
Auch ein Tempolimit beinahe von Schrittgeschwindigkeit oder eine Art Einbahnstraßenregelung geistern in den Gedankenspielen herum. Alternativ gäbe es die Möglichkeit, die Züge mit der Autobatteriefracht von Heide über Neumünster auf die Reise zu schicken. Nur: Diese Strecke ist eingleisig und nicht elektrifiziert. Auch wenn für 70 Millionen Euro zwei zusätzliche Ausweichbuchten auf dieser Strecke gebaut würden, sodass sich Züge begegnen können, auch wenn Hybridlokomotiven mit Akkus und Dieselmotoren eingesetzt würden, worüber mit der Bahn durchaus gesprochen wird, auch wenn eine zu enge Kurve bei Neumünster entschärft würde – es bliebe eine „kreative Lösung“ und keine „Gigalösung“. Im SHZ, der als Erster über das Dilemma berichtet hatte, nennt Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen die Situation „überaus ärgerlich“.
Wie lange es dauert, eine neue große Lösung zu planen, genehmigen und dann zu bauen, zeigt auch die dringend benötigte Elektrifizierung der Marschbahn, zu der die Brücke bei Hochdonn gehört. Derzeit läuft die Ausschreibung der Planungsleistungen. Die Vergabe ist für dieses Frühjahr geplant. Der Abschluss der Vorplanungen ist für Mitte 2026 vorgesehen. Danach wird das Projekt an die DB InfraGO übergeben. Heißt: Anfang der 2030er-Jahre könnten, wenn es gut läuft, erstmals E-Züge auf der alten, dann aber elektrifizierten Strecke fahren.
Gigafactory in Heide: Gemeinden wurden Investitionen in Infrastruktur zugesagt
Ziel ist, diese Strecke nicht nur zu elektrifizieren, sondern im nächsten Schritt auch zu verkürzen. Noch macht die Bahn hier einen Schlenker über Glückstadt. An diesem Dienstag wird es in einem Gespräch zwischen der Landesplanung im Kieler Innenministerium und den Fachleuten im Wirtschafts- und Verkehrsministerium um diese „Abkürzung“ von rund 15 Kilometern gehen.
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Während des Baus der Fabrik bei Heide rechnen die Fachleute mit deutlich mehr Schwerlastverkehr. Die Autobahn 23 bekommt Richtung Norden deshalb eine neue, temporäre Abfahrt, es wird aber auch zu örtlichen Umleitungen und Sperrungen kommen. Im späteren Betrieb soll das Northvolt-Gelände über zwei Zufahrten von der B203 erreicht werden – und über den eigenen Gleisanschluss. Das wurde den Gemeinden, die der Ansiedlung zustimmen mussten, verbindlich zugesagt. Nur wohin die Züge von hier fahren, kann zurzeit niemand sagen.