Kiel. Kieler Innenministerin Sütterlin-Waack über Angriffe auf Polizisten, psychisch kranke Täter und Nachwuchsprobleme bei der Polizei.
Deutschland müsse ein deutliches Signal setzen und Ausländer, die bei uns schwere Straftaten begangen haben, schneller abschieben. „Notfalls auch nach Afghanistan und nach Syrien.“ Diese Forderung erneuerte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack im Abendblatt-Interview. Mit Blick auf Messerangriffe wie zuletzt in Mannheim oder in Brokstedt sagte die CDU-Politikerin, dass man nicht mehr von Einzelfällen sprechen könne.
Sütterlin-Waack macht sich für eine bundeseinheitliche Regelung zu Messerverbotszonen stark. „Wenn wir ein Verbot durchsetzen, konsequent kontrollieren und dann auch sanktionieren, ist das keine Symbolpolitik. Damit könnten wir einige Taten verhindern. Und jede verhinderte Tat ist es wert.“
Sütterlin-Waack: Mannheim und Brokstedt sind keine Einzelfälle mehr
Frau Sütterlin-Waack, was haben die Bilder des in Mannheim von einem Afghanen hinterrücks ermordeten Polizisten bei Ihnen ausgelöst?
Abscheu und völliges Unverständnis. Das war auch schon im Januar 2022 so, als in Kusel eine Polizeibeamtin und ein Polizeibeamter erschossen wurden. Polizeibeamtinnen und -beamte arbeiten für uns, für unsere Sicherheit und das unter ganz harten Bedingungen. Dass ihnen die Arbeit schwer gemacht wird und sie manchmal sogar mit ihrer Gesundheit oder ihrem Leben bezahlen, ist furchtbar. Was mich stark berührt hat, ist die enorme Anteilnahme eines Großteils der Bevölkerung.
Es drängen sich Parallelen zwischen Mannheim und anderen Fällen wie dem tödlichen Messerangriff in Brokstedt auf. Täter, die aus Kriegs- oder Krisengebieten geflohen sind, die seit vielen Jahren bei uns leben – sich aber nicht integrieren, die teilweise mehrfach kriminell auffallen. Kann man noch von Einzelfällen sprechen?
Das kann man nicht mehr. Es ist kein Einzelfall mehr. Es gibt Parallelen zwischen Mannheim und Brokstedt. In beiden Fällen waren es Messerangriffe und Täter ohne deutsche Staatszugehörigkeit.
Der Widerstand der letzten Bundesländer gegen Messerverbote bröckelt
Welche Konsequenzen sind nach Mannheim nötig? Aufseiten der Polizei und aufseiten der Politik.
Eine ganze Menge. Die landesweite Polizeistatistik weist mit rund 16 Prozent Plus eine deutliche Zunahme an Messerangriffen aus. Schleswig-Holstein treibt weiter eine bundeseinheitliche Regelung zu Messerverbotszonen voran. Die Initiative hatten wir nach Brokstedt über die Innenministerkonferenz gestartet. Jetzt bröckelt der Widerstand der letzten Bundesländer: Auf der jüngsten Innenministerkonferenz, die war kurz nach dem tödlichen Angriff in Mannheim, gab es weitgehend Zustimmung zu einem Messerverbot. Auch muss die Videoüberwachung in Zügen und auf Bahnhöfen weiter ausgebaut werden. Und wir brauchen eine bundesweit einheitliche Erfassung ausländischer Mehrfach- und Intensivtäter, auf die die Polizei länderübergreifend Zugriff hat.
Bislang überwiegt der individuelle Schutz eines Straftäters vor politischer Verfolgung in seinem Heimatland die deutschen Sicherheitsinteressen. Die Folge: Trotz schwerster Straftaten werden Afghanen oder Syrer nicht abgeschoben.
Wir wollen das ändern und Menschen, die eine schwere Straftat begangen haben, schneller abschieben. Hier unternimmt der Bund jetzt Anstrengungen. Wir müssen ein deutliches Signal setzen und solche Menschen in ihre Heimatländer zurückschicken. Notfalls auch nach Afghanistan und nach Syrien. Allerdings liegt die Zuständigkeit für Abschiebungen nicht mehr bei uns im Ministerium, weshalb hier immer eine besonders enge Abstimmung mit den dafür zuständigen Ministerien erfolgen muss.
„In die Frage der Abschiebungen kommt Bewegung“
Werden Sie diesen Konflikt mit ihrem grünen Koalitionspartner eingehen oder mit der neuen Flüchtlingsbeauftragten des Landes, die es „nicht menschenrechtskonform“ nennt, in Länder abzuschieben, wo Folter oder Schlimmeres drohe?
Ja. Natürlich kenne ich die europäische Menschenrechtskonvention, in der das steht. Trotzdem müssen wir prüfen, ob es nicht in den jeweiligen Ländern Regionen gibt, in die man abschieben kann, weil Menschen dort nicht bedroht sind von Folter oder Tod. Es ist auch die einhellige Meinung der Innenministerkonferenz, dass man genauer hinschauen und differenzieren muss.
In das Thema Abschiebung nach Syrien oder Afghanistan kommt jetzt tatsächlich Bewegung?
Ja. Diesen Eindruck habe ich, wenn es um Abschiebungen von Gefährdern oder Menschen geht, die Kapitalverbrechen begangen haben.
Warum werden so viele Polizisten im Einsatz angegriffen?
Kommen wir zurück zum Thema Angriffe auf Polizisten. Das Bundeslagebild wies für Schleswig-Holstein zuletzt 3400 Straftaten gegen Beamte aus. Dabei wurden 456 Einsatzkräfte verletzt. Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Wirklich erklären kann ich mir die Entwicklung nicht. Vielleicht ist es mangelnder Respekt vor Autoritäten wie der Polizei. Vielleicht ist es die Ablehnung des Gewaltmonopols, die zu den Angriffen auf Polizeibeamte führt. Wir bilden Polizeibeamte sehr intensiv darin aus, jeden Menschen zu achten und gleichzubehandeln. Sehr viele Beamte sind geschockt, wenn sie angegriffen werden, weil das genau ihrem Handeln zuwiderläuft. Ich kann die Ursachen nicht wirklich erklären. Aber wir können unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten so ausstatten, dass sie bei Angriffen möglichst keine schweren Verletzungen davontragen.
Sie haben für das SEK sowie die Polizeireviere in Ahrensburg und Neumünster Strompistolen (Taser) angeschafft. Als Nächstes wird die Polizei in Kiel damit ausgestattet. Und bis Mitte nächsten Jahres sollen Körperkameras (Bodycams) landesweit ausgerollt sein. Ist das Ihre Antwort auf die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte?
Selbstverständlich. Wir statten die Polizei mit passivem Schutz aus, also mit geeigneten Schutzwesten, mit Kameras oder Distanzelektroimpulsgeräten, die auch eine deeskalierende Wirkung haben. Ich mache mich aber auch, wie gesagt, für Messerverbotszonen so stark, weil es diese Waffe in jedem Supermarkt zu kaufen gibt.
Die Einsätze mit psychisch Kranken nehmen zu
Sie glauben, dass man durch ein Verbot einen hoch aggressiven oder geistig verwirrten Menschen davon abhalten kann, ein Messer mit sich zu führen oder einzusetzen?
Es wird wie bei jedem Verbot Menschen geben, die sich nicht daran halten. Aber wir würden mit einem Messerverbot ein klares Zeichen setzen. Wenn wir ein Verbot durchsetzen, konsequent kontrollieren und dann auch sanktionieren, ist das keine Symbolpolitik. Damit könnten wir einige Taten verhindern. Und jede verhinderte Tat ist es wert.
Die Polizei hat zunehmend mit Menschen zu tun, die nicht steuerbar, geistig verwirrt oder psychisch schwer gestört und gewalttätig sind. Erst vor Kurzem hat sie in Schleswig einen Mann niedergeschossen, der sie angegriffen hatte. Der 34-Jährige hatte einige Tage zuvor erst versucht, mit einer Spitzhacke auf eine Passantin einzuschlagen.
Das ist ein Riesenproblem für die Polizei und für die Justiz in den Vollzugsanstalten. Die Einsätze mit psychisch Kranken nehmen zu. Ich kenne einen anderen Fall aus Schleswig, wo ein Mann mit einer Glasscherbe in der Hand einen Mitarbeiter des Sozialzentrums gesucht hat. Der war an dem Tag glücklicherweise zu Hause. Der sozialpsychiatrische Dienst hat den Mann mit der Scherbe eingewiesen, aber drei Tage später war er wieder draußen. Das ist, wenn man so will, die Schattenseite unseres Rechtssystems. Wir haben eine Arbeitsgruppe von Expertinnen und Experten aus dem Innen-, Sozial- und Justizministerium eingerichtet, die eine rechtssichere Lösung für den Umgang mit solchen Menschen sucht.
Laut Antworten Ihres Ministeriums auf parlamentarische Anfragen der SPD sind die Schießanlagen in einem miesen Zustand, und das Einsatztraining für Polizisten fällt regelmäßig aus, weil keine Zeit dafür da ist. Vernachlässigen Sie die Polizei?
Nein. Aber es stimmt: Die Raumschießanlagen sind in keinem guten Zustand. Wir haben mit dem Finanzministerium inzwischen eine gute finanzielle Lösung hinbekommen. Die Anlage in Albersdorf wird gebaut und durch uns angemietet, die anderen ertüchtigen wir nach und nach. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Da sind wir dran und kümmern uns. Das ist leider so. Das fällt in die Arbeitszeit, und die könnten sie sinnvoller nutzen. Bis das so weit ist, nutzen die Polizistinnen und Polizisten für das Training der Mitteldistanzwaffe HK 437 u. a. Schießanlagen der Bundeswehr. Das weitere Schießtraining kann überwiegend auf den polizeieigenen Schießanlagen stattfinden.
Was die Künstliche Intelligenz leisten kann
Wir wechseln das Thema. Firmen schränken die Öffnungs- und Arbeitszeiten zum Teil massiv ein, weil sie kein Personal mehr finden. Das ist sicher kein Modell für die Polizei. Aber auch die Polizei merkt, wie schwierig es heute schon ist, geeignete Bewerber zu finden. Was droht, wenn die Boomer in diesen Jahren endgültig ausscheiden?
Mit der Pensionierung geht viel Erfahrung verloren. Aber die Polizei bekommt neue, hochmotivierte und top ausgebildete junge Beamte dazu, viele davon mit Migrationsgeschichte. Wir haben immer noch genügend Bewerberinnen und Bewerber, weil Polizistin oder Polizist ein sehr reizvoller Beruf ist. Wir stellen über Bedarf ein. Zum einen, weil wir in den vergangenen Jahren um 800 Stellen aufgestockt haben, zum anderen, weil bis zu jeder Fünfte die Ausbildung abbricht, durchfällt oder nicht übernommen wird.
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland arbeiten, nimmt weiter ab. Diese Entwicklung wird perspektivisch auch die Polizei treffen. Welche Aufgaben kann Künstliche Intelligenz übernehmen, um die Polizei zu entlasten? Ihr LKA setzt heute schon KI in der Bekämpfung der Kinderpornografie zur Sichtung und Auswertung sichergestellter Fotos und Filme ein.
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Der Einsatz von KI ist bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern auf jeden Fall eine Entlastung. Sie dient insbesondere dazu, den immer größer werdenden Datenmengen Herr zu werden. Es dient auch der psychischen Entlastung der Ermittlerinnen und Ermittler, die tagtäglich die unmenschlichen Inhalte betrachten müssen. Aber: Elementar für dieses Themenfeld ist, dass KI lediglich ein einzelner Baustein des gesamten Arbeitsablaufs darstellt und stets nur als Assistenz dient. Das „Hilfsmittel KI“ kann nicht die Arbeit der Ermittlerinnen und Ermittler ersetzen. Weitere Projekte sind in der Planung oder Entwicklung. So beschäftigt sich die neue Abteilung für Cybercrime und Zentrale digitale Kompetenzen im LKA mit den technischen und rechtlichen Herausforderungen.
Frau Sütterlin-Waack, vor Kurzem ist mit Monika Heinold die langjährige Finanzministerin Schleswig-Holsteins zurückgetreten. Sie sind noch ein paar Monate älter. Wie lange kann Daniel Günther noch auf Sie als Innenministerin zählen?
Ich bin gerne Innenministerin. Ein Aufhören steht jetzt nicht zur Debatte.