Hamburg. Das schwedische Unternehmen Northvolt plant in Dithmarschen ein neues Werk. Wie es dazu kam und was das dem Norden bringt.

Die Rede ist von der größten Industrieansiedlung in Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten – und von der soll auch Hamburg profitieren: Der schwedische Batteriehersteller Northvolt plant wie berichtet in Heide, nur 100 Kilometer nördlich von Hamburg, eine Fabrik, in der 3000 Mitarbeiter Auto­batterien herstellen sollen. In der ersten Maihälfte könnte das Projekt den nächsten entscheidenden Schritt nehmen. Wie es zu der Entscheidung der Schweden für den Standort kam und welche Rolle Hamburg dabei spielte, wird erst so allmählich klar.

Wer auf der Fahrt in den Norden die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal und den Geestrücken passiert hat, dem offenbart sich eine ungeheure Weite. Scheinbar unendlich geht der Blick über die spärlich bebauten Marschlande. Nichts als Äcker, Brachen, Windräder, bis dann die großen Gewächshäuser vor Heide auftauchen und gleich nebenan die Raffinerie bei Hemmingstedt. Ganz in der Nähe soll die Fabrik hochgezogen werden, für deren Bau Northvolt eine Absichtserklärung mit der Landesregierung und der Region Heide getroffen hat. Platz ist hier jedenfalls genug.

Erneuerbare Energien: Hamburg unterstützte Bewerbung

Schleswig-Holstein mit der traditionell strukturschwachen Westküste hat sich gegen starke Konkurrenz auch aus Bayern durchgesetzt: Weil hier genügend Grüner Strom zur Verfügung steht, aber auch, weil Hamburg die Bewerbung stark unterstützt hat. Die beiden Länder hatten sich in einem gemeinsamen Angang um die Ansiedlung bemüht. Unter der Zeile „Moin! A warm welcome to you and Välkommen!“ umgarnten die beiden Regierungschefs in einer Präsentation die begehrten Schweden.

Dass der Norden Deutschlands der Standort sei für die Energiewende und Nutzung der Windkraft, erklärten Peter Tschentscher (SPD) und Daniel Günther (CDU) auf Englisch. Geworben haben die Länder auch mit ihren Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Mit Drsy in Hamburg, den Hochschulen in der Hansestadt, in Heide, Flensburg und Kiel, mit dem Fraunhofer-Institut in Itzehoe oder beispielsweise dem Helmholtz-Zentrum in Geesthacht.

Metropolregion setzte sich gegen Konkurrenz durch

Bei dem zweitägigen Treffen im September inklusive eines Besuchs in der Elbphilharmonie stellten Hamburg und Schleswig-Holstein zudem den Schweden norddeutsche Vorzeigeprojekte zur Gewinnung grüner Energie vor und schwärmten von der „Drehscheibenfunktion der beiden Länder als Zugang von Skandinavien nach Kontinentaleuropa“.

Northvolt-Chef Peter Carlsson.
Northvolt-Chef Peter Carlsson. © Northvolt | Unbekannt

Und die Nordländer warben erfolgreich: Die Metropolregion soll sich, so heißt es, gegen ursprünglich 140 andere mögliche Standorte durchgesetzt haben. „Vor etwas mehr als einem Jahr“ habe Northvolt europaweit mit der Standortsuche begonnen, sagte kürzlich Unternehmenschef Peter Carlsson. Für die Wahl des Standortes Heide sprach aus Sicht der Schweden neben der günstigen Lage zwischen Nord- und Mitteleuropa der „Reichtum an sauberer Energie“. Erklärtes Ziel ist es nämlich, Batterien für ­E-Autos mit „dem geringsten ökologischen Fußabdruck in Kontinentaleuropa“ herzustellen. Heide mit seiner stark ausgebauten Windenergieproduktion sei der „Schlüssel zur Verwirklichung dieses Ziels“, sagte Carlsson.

Fachleute auch in Hamburg gesucht

Probleme, ausreichend Fachkräfte zu finden, die an der ländlich geprägten Westküste arbeiten wollen, sieht Carlsson nicht. Denn Arbeitskräfte für Heide dürfte Northvolt nicht nur an der Westküste suchen, sondern auch in Hamburg. Fachleute, die dann pendeln könnten, erst mit Werksbussen und Autos über die A 23, später, wenn die Marschbahn erst elektrifiziert ist und sich die Fahrtzeit auf eine Stunde verkürzt, auch mit der Bahn von Hamburg nach Heide.

Hier soll die Fabrik hin, aber noch sieht es am Standort bei Heide eher trist aus.
Hier soll die Fabrik hin, aber noch sieht es am Standort bei Heide eher trist aus. © dpa | Christian Charisius

Um die neue Batteriefabrik besser ans Bahnnetz anzubinden, plant Schleswig-Holstein die Elektrifizierung der Strecke Richtung Sylt jetzt selbst, wartet nicht länger auf den Bund. „Im Sommer könnten die Arbeiten starten“, sagte Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP). Das Land geht mit rund 3,6 Millionen Euro in Vorleistung. „Wir tragen zunächst allein das finanzielle Risiko“, so Buchholz. Ist die Marschbahn erst einmal elektrifiziert, fällt bei Fernzügen der nervige Lokwechsel in Itzehoe weg, die Fahrtzeit verkürzt sich deutlich.

„Entscheidung stärkt Hamburg als grünen Energiestandort“

Die Wirtschaftsförderer beider Länder, die Ministerien und Behörden in Hamburg und Schleswig-Holstein und die Regierungschefs haben nach Informationen des Abendblatts den Schweden die Ansiedlung gemeinsam schmackhaft gemacht. Argumente gab es genug: die hohe Lebensqualität in Hamburg, den Hamburger Hafen als Drehscheibe für die Anlieferung der Rohstoffe, den Flughafen, die zentrale Lage Norddeutschlands zwischen Skandinavien und den Märkten in Kern-Europa, die aus Sicht eines internationalen Konzerns doch eher kurze Anfahrt von Hamburg nach Heide.

Jetzt verzichtet Hamburg nicht aus Menschenfreundlichkeit auf die Jobs, die eine solche Fabrik bietet. In der Stadt gibt es schlicht zu wenig Flächen, und die, die da sind, haben einen vielfachen Wert von dem, was an der Westküste aufgerufen wird – und dort gibt es halt auch ausreichend grünen Strom. Hamburg setzt stark auf Folgeansiedlungen von Unternehmen. „Die Entscheidung stärkt Hamburg als grünen Energiestandort“, heißt es aus dem Senat. So profitieren beide Länder, wenn die Schweden ihre Fabrik im Norden bauen.

„Metropol­region ist immer Metropole und Region"

Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) sagt: „Metropol­region ist immer Metropole und Region. Wir freuen uns für Heide als Energie- und Industrieregion und auf all das, was in der Metropole Hamburg in Folge entstehen wird. Das ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft der Wirtschafts- und Innovationsregion Hamburg. Das Unternehmen passt mit seinen Ideen perfekt. Es geht um eine Vielzahl von neuen Arbeitsplätzen. Außerdem wertet ein solches Unternehmen den Standort auf und kann als Motor für weitere technologieorientierte Ansiedlungen dienen. Northvolt ist uns mehr als willkommen.“

Jan-Oliver Siebrand, Leiter des Geschäftsbereichs Nachhaltigkeit und Mobilität der Handelskammer Hamburg, ergänzt: „Die Ansiedlung der Batterie­fabrik von Northvolt in Heide stärkt Norddeutschlands führende Rolle bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Es zeigt, dass gerade die Metropolregion Hamburg durch ihre Windenergie für die Ansiedlung von Industrieunternehmen immer attraktiver wird.“

Terminal für Flüssigerdgas geplant

Neben Hamburg setzt auch die schleswig-holsteinische Landesregierung darauf, dass die Northvolt-Fabrik eine Sogwirkung entfalten und weitere Unternehmen zum Beispiel als Zulieferer entlang der Achse Heide–Hamburg anziehen wird. Für Wirtschaftsminister Buchholz „mausert sich die einst strukturschwache Region an der Westküste des Landes zum großen Hoffnungsträger für Schleswig-Holstein.“

Dort ist nicht nur die neue Batteriefabrik geplant: In Brunsbüttel entsteht ein Terminal für Flüssigerdgas (LNG) und eins für Ammoniak. Zudem sind diverse Wasserstoffprojekte am Start. „Die Energiewende hat den Standort interessant gemacht“, sagt der Wirtschaftsminister. Das Land rechne mit Tausenden neuer Arbeitsplätze und mit einem Technologiesprung, so Buchholz, der für die FDP als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl am 8. Mai antritt.

Chance für Beschleunigung der Mobilitätswende

So baut die Raffinerie in Hemmingstedt eine Anlage, um mit grünem Strom Wasserstoff zu erzeugen. Kombiniert mit CO2 aus dem Zementwerk Lägerdorf bei Itzehoe sollen daraus Methanol und andere synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. Buchholz nennt das ein „Jahrhundertprojekt. So bringt die Energiewende an der Westküste zugleich eine industrielle Wende“, sagte er.

Ministerpräsident Günther lobte zuletzt die Unterstützung des Bundes für das geplante LNG-Terminal für verflüssigtes Erdgas in Brunsbüttel. Mit Wasserstoff und grünen Batterien (aus Heide) würde die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert und die Mobilitätswende beschleunigt, sagte Günther.

Bei Northvolt sind erste Stellen ausgeschrieben

Bislang sind die Northvolt-Pläne zum Bau der Fabrik für Lithium-Ionen-Batterien Absichtserklärungen. „Das ist noch nicht ganz in trockenen Tüchern“, sagte Buchholz mit Blick auf die Höhe der Investition von vier Milliarden Euro. Aber in den Landes­regierungen und offensichtlich auch beim Bund werden keine Zweifel laut. Northvolt-Chef Peter Carlsson nannte die endgültige Investitionsentscheidung denn auch „eine Sache von Monaten“.

Das Unternehmen hat bereits online erste Stellen ausgeschrieben. Die Produktion soll 2025 starten. Die geplante Kapazität in Heide gibt das Unternehmen mit jährlich 60 Gigawattstunden für etwa eine Million E-Fahrzeuge an. Ein wichtiger Partner von Northvolt ist Volkswagen mit einer 20-prozentigen Beteiligung, als weitere Kunden werden unter anderem BMW sowie Volvo genannt. Parallel will Northvolt eine Anlage zum Recycling von Altbatterien ausrangierter E-Autos bauen. Wo die Fabrik entsteht, ob in Heide oder vielleicht auch im Hamburger Hafen, ist offen.

Unterstützung auch von der Bundesregierung

Der schleswig-holsteinischen Landesregierung passen die unlängst bekannt gemachten Pläne der Schweden perfekt in den Kalender: In wenigen Wochen wählen die Menschen im Norden ein neues Landesparlament. Und so waren es der CDU-Ministerpräsident (Günther) und der FDP-Wirtschaftsminister (Buchholz), die das Projekt kürzlich gemeinsam vorstellten und lobten.

Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, vor seinem Wechsel in die Bundespolitik Umweltminister in Schleswig-Holstein, nannte die Northvolt-Entscheidung „ein starkes Signal“ für sein Heimatland. „Es zeigt sich auch: Erneuerbare Energien vor Ort sind inzwischen ein entscheidender Standortfaktor. Wer viel Erneuerbare ausbaut, hat sehr gute Karten.“ Habeck kündigte Fördermittel aus dem Programm „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) an. „Northvolts Produktion wird konkret dazu beitragen, die Lieferketten für Elektromobilität in Deutschland und Europa zu stärken“, sagte der Minister aus Flensburg. „Deshalb wird auch die Bundesregierung das Projekt substanziell unterstützen.“

Erneuerbare Energien: Fördersumme noch unbekannt

Das Projekt kommt Schritt für Schritt voran: Nach Abendblatt-Informationen hat sich Northvolt-CEO Carlsson für einen weiteren Besuch in Deutschland angesagt. In der ersten Maihälfte soll dann unter anderem ein Termin bei Wirtschaftsminister Habeck geplant sein. Über Details hüllt man sich in Schweigen, aber vermutlich holt sich Carlsson dann auch seinen offiziellen Förderbescheid bei Habeck ab.

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Wie viel Geld es aus dem IPCEI-Programm gibt, ist noch ein Geheimnis. Aber es dürfte nochmals deutlich mehr sein als die Fördersumme, die Finanzministerin Monika Heinold angekündigt hat: Allein Schleswig-Holstein will bis zu 50 Millionen Euro zuschießen. Die Bedeutung der neuen Batteriefabrik reicht weit über den Norden hinaus. Die deutsche Autoindustrie will insgesamt unabhängiger von bisher dominanten Zulieferern aus Asien werden.