Wentorf. Wentorfs Schulen stehen vor einer großen Herausforderung. Viele Kinder können kein Deutsch sprechen. Wie sie nun integriert werden.

Der kleine Junge hält Ordnungsamtsleiter Sascha Kröger demonstrativ ein Smartphone hin: „Darf ich etwas trinken?“ steht dort unter einem Satz in kyrillischen Buchstaben. „Na klar!“, antwortet er und führt den kleinen Ukrainer zu den Saft- und Wasserflaschen. Seine Frau Susann Kröger, im Rathaus zuständig für Wentorfs Schulen, lacht auf und sagt: „Was würden wir bloß ohne die Handys machen!“ Sie hatte die Idee zu den Willkommensnachmittagen für die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die in Wentorf Zuflucht vor dem Krieg gefunden haben.

„Das war eine Blitzidee, die wir mit den Schulleitungen weiterentwickelt haben“, erzählt Susann Kröger. Am Dienstag und am Mittwoch waren alle ukrainischen Familien eingeladen, in die ehemalige Hauptschule zu kommen, um ihre künftigen Lehrer und einige Schulkameraden kennenzulernen.

40 Kinder mit Familien waren beim ersten Nachmittag in Wentorf

Die Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule hatten Spenden gesammelt, um jedem Kind und jedem Jugendlichen ein kleines Geschenk zu überreichen: einen bunten Ordner und Farbstifte. Gleichzeitig wurden ihre Sprachkenntnisse und ihr Schulniveau abgefragt.

„Jetzt sind wir gefragt, selbst ein Angebot zu machen.“ Dirk Petersen, Bürgermeister in Wentorf, zum Thema Deutschlernen der Kinder.
„Jetzt sind wir gefragt, selbst ein Angebot zu machen.“ Dirk Petersen, Bürgermeister in Wentorf, zum Thema Deutschlernen der Kinder. © Wentorf bei Hamburg | Wentorf bei Hamburg

Zur Begrüßung ist auch Bürgermeister Dirk Petersen gekommen. 40 Kinder mit ihren Familien waren für den ersten Nachmittag angemeldet, berichtet er. Sie sind zwischen sechs und 17 Jahren alt. Etwa 100 Geflüchtete hätten sich bisher im Rathaus registrieren lassen, meist seien es junge Frauen mit ihren Kindern. Die Klassen der DaZ-Zentren in Geesthacht und Schwarzenbek seien bereits voll.

„Jetzt sind wir gefragt, selbst ein Angebot zu schaffen“, sagt Petersen. Gewöhnlich lernen Kinder mit Migrationshintergrund erst für ein halbes Jahr in diesen Zentren für Deutsch als Zweitsprache (DaZ), um ihnen die Integration zu erleichtern.

Schüler aus der Ukraine besuchen nach Osterferien die regulären Schulen

„Das geht jetzt nicht“, stellt Diana Junghans, kommissarische Leiterin der Gemeinschaftsschule, fest. Die Schüler aus der Ukraine werden nach den Osterferien die regulären Schulen besuchen. Sie ist froh, dass in ihrem Kollegium zwei russische Muttersprachler, Wladimir Danilow und Johann Kronewid sind, die jetzt eine wertvolle Hilfe sind.

„Das wird uns helfen, die Schülerinnen und Schüler besser in den Unterricht zu integrieren“, sagt die Pädagogin. „Und die meisten sprechen auch ganz gut Englisch, sie lernen die Sprache bereits in der Grundschule.“ Besondere Unterstützung brauche ein 17-Jähriger, der in der Ukraine gerade kurz vor dem Abschluss zur Hochschulreife stand. „Es ist schrecklich“, erklärt Diana Junghans. Im ukrainischen Schulsystem schließe sich an die Sekundarstufe ab der neunten bis zur zwölften Klasse die Oberstufe an. Auch dort kommen die Kinder mit sechs Jahren in die Schule.

Grundschüler müssen noch mehr zusammenrücken

In einem zweiten Raum begrüßt Sonja Henke, Leiterin der Grundschule, ihre künftigen Schulkinder aus der Ukraine. „Wir haben heute eigentlich nur zehn erwartet, aber es sind deutlich mehr“, erzählt sie. Ihre bislang 450 Grundschulkinder werden künftig in dem ohnehin schon engen Gebäude noch mehr zusammenrücken müssen.

„Wege entstehen beim Gehen“, kommentiert sie die Frage nach diesem Pro­blem achselzuckend. Der Empfang der neuen Mitschüler müsse nicht groß vorbereitet werden. „Das ist der Vorteil bei den Grundschulkindern: Sie sind unheimlich offen und neugierig und freuen sich immer auf neue Kinder.“

Die ehrenamtliche Helferin Christine Friedrich unterstützt unterdessen Iryna Demeniuk und ihre achtjährige Tochter Sofiia dabei, den Aufnahmebogen auszufüllen. Auch bei ihnen ist das Smartphone der Übersetzer. Das Mädchen langweilt sich ein bisschen, sein Kopf sinkt auf die Tischplatte.

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„Alle wollen arbeiten und fragen: Was können wir tun?“

Die gleichaltrige Karina kann auf ihrem Stuhl kaum still sitzen. „Sie ist unglaublich aufgeregt und freut sich schon sehr auf die Schule“, erzählt ihre Gastgeberin Simone Lummitsch. Auf Russisch fragt sie noch einmal nach. „Da!“, bejaht die Achtjährige auf die Frage, ob sie sich freue. Auch Lummitsch unterstützt Karinas Mutter Valeria Miro­shychenko beim Ausfüllen der Formulare. Sie hat den Vorteil, dass sie russische Literatur studiert hat.

„Unser Haus ist groß genug, wir haben die beiden gern aufgenommen“, sagt die Wentorferin. Die Ukrainerin lehnt dankbar ihren Kopf an Lummitsch’ Schulter, die beiden verstehen sich. Über eine Freundin hat sie sogar einen Teilzeitjob in einem Steuerberatungsbüro für die Ukrainerin gefunden. „Das ist der Grundtenor, alle wollen arbeiten und fragen: ‘Was können wir tun?’“, erzählt Lummitsch.