Reinbek. Rechtsradikaler Brandanschlag vor 30 Jahren: Vereine setzen sich im Schloss Reinbek mit Gewalt und alltäglichem Rassismus auseinander.

Im November 2022 jähren sich die rechtsradikalen Brandanschläge in Mölln, bei denen drei Menschen ums Leben kamen, zum 30. Mal. Aus diesem Anlass planen verschiedene Künstler der beiden Stormarner Künstlervereine „STormarnART“ und „seven art“ ein gemeinsames Projekt unter dem Arbeitstitel „Perspektivwechsel“, dem sich inzwischen weitere Kunstschaffende aus dem Herzogtum Lauenburg, Hamburg und Niedersachsen angeschlossen haben. „Wir wollen den Opfern eine Stimme geben, die eine Gedenkkultur auf Augenhöhe mit den Betroffenen schafft“, sagt Initiatorin Janis Walzel.

Fotos von Yeliz Arslan (v.l.), Bahide Arslan und Ayse Yilmaz standen bei einer Gedenkfeier 2017 vor dem ehemaligen Wohnhaus.
Fotos von Yeliz Arslan (v.l.), Bahide Arslan und Ayse Yilmaz standen bei einer Gedenkfeier 2017 vor dem ehemaligen Wohnhaus. © picture alliance / Daniel Bockwoldt/dpa | Daniel Bockwoldt

Kürzlich ist es zu einem ersten Gedankenaustausch der beteiligten Künstler im Schloss Reinbek gekommen, wo die Ergebnisse des Projekts in der Zeit vom 15. Mai bis 19. Juni 2022 erstmals in einer Ausstellung und weiteren Formaten gezeigt werden sollen. „Wir sind dem Kulturzentrum Reinbek sehr dankbar, dass es unserer Idee im Schloss Reinbek Raum und Zeit geben will, um die Ergebnisse unserer Auseinandersetzung mit dem wichtigen Thema Alltagsrassismus und rechte Gewalt zeigen zu können“, so Walzel.

Noch ist unklar, ob das Projekt auch in Mölln laufen kann

Die Künstlerin aus Trittau und ihre Mitstreiter, zu denen neben vielen Malern auch zwei Filmemacher, ein Keramiker, zwei Autoren und eine Sopranistin gehören, würden das Projekt gern auch dort präsentieren, wo die Brandanschläge vor 30 Jahren geschehen sind. „Der Stadthauptmannshof in Mölln wäre wegen seiner räumlichen Möglichkeiten zum Beispiel ein idealer Ort“, so Walzel.

Auch die Bahide-Arslan-Straße erinnert heute an den Brandanschlag 1992.
Auch die Bahide-Arslan-Straße erinnert heute an den Brandanschlag 1992. © Ibrahim Arslan | Ibrahim Arslan

Nach einer ersten Anfrage im Juni 2020 hab man sie aber erst an die Stadtverwaltung verwiesen, wo Bürgermeister Jan Wiegels (CDU) Unterstützung avisierte. Eine erneute Anfrage im Stadthauptmannshof wurde aber mit Hinweis darauf abgewiesen, im Jahr 2022 stünden keine Zeitfenster zur Verfügung.

Seitdem steht sie zwar weiterhin mit der Stadtverwaltung, dem Möllner Museum und dem Verein Miteinander Leben in Kontakt. Noch gibt es aber keine verbindliche Aussage, wie sich das Projekt der Initiative in das Gedenkprogramm der Stadt integrieren lässt.

Projekt soll Geschichte der Opfer in den Fokus rücken

Ganz andere Erfahrungen machten die Künstler in Reinbek, wo der Vorstoß der Initiative sofort auf ein positives Echo gestoßen ist. „Mich hat die Vorgehensweise bei diesem gemeinschaftlichen Kunstprojekt sehr angesprochen“, sagt Elke Güldenstein, die Leiterin des Kulturzentrums. Es sei spannend, den schöpferischen Prozess von Beginn an begleiten zu können. „Die künstlerische Auseinandersetzung mit Rassismus und rechter Gewalt und der Perspektivwechsel, der die Geschichte der Opfer in den Fokus rückt, könnte auch unserer Arbeit im Schloss neue Impulse vermitteln“, so Güldenstein.

Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags 1992 in Mölln.
Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags 1992 in Mölln. © Ibrahim Arslan | Sabrina Richmann

Für Inspiration und Identifikation hat beim ersten Treffen der Künstler Ibrahim Arslan, einer der Überlebenden der Brandanschläge in Mölln, gesorgt. Er hatte als Siebenjähriger bei dem Übergriff am 23. November 1992 Schwester Yeliz, Cousine Ayse und Großmutter Bahide verloren. „Die Sichtweise der Gesellschaft auf solche Taten muss sich ebenso ändern, wie der Umgang mit Tätern und Opfern“, forderte Arslan.

Ibrahim Arslan überlebte, weil seine Großmutter ihn rettete. Sie starb

Das beurteilen die Künstler ebenso. Sichtlich betroffen folgten sie seinen Schilderungen der traumatischen Nacht. Die er nur deshalb überlebte, weil ihn seine Großmutter Bahide in nasse Tücher hüllte, die sich selbst aber nicht mehr retten konnte. „Opfer und Überlebende sind keine Statisten, sie sind Hauptzeugen des Geschehens und müssen deshalb gehört werden“, sagt der Zeitzeuge, der mit seiner Familie inzwischen in Hamburg lebt und arbeitet.

„Der Basiskontakt mit unmittelbar Betroffenen schafft erst jene Emotionalität, aus der substanzielle Werke zum Thema und durch sie letztlich Bewusstseinsveränderung entstehen können“, sagte Hardy Fürstenau, Begründer der Künstlervereinigung „STormarnART“, in der angeregten Diskussion nach Arslans Impulsvortrag.

Am Sonntag gibt es wieder die Möllner Rede im Exil

Finn Zielsdorf, der mit 19 Jahren jüngste Künstler in der Runde, sieht das Ziel des Projekts vor allem darin, eine Idee zu vermitteln, wie die Gesellschaft mit solchen rechtsradikalen Übergriffen und Erscheinungsformen des Alltagsrassismus umgehen sollte. „Wichtig ist aber auch, den bisherigen Umgang mit solchen Geschehnissen und die institutionellen Reaktionen kritisch zu hinterfragen“, so Zielsdorf.

Laut Ibrahim Arslan sei es nun an den Künstlern, die Menschen mit ihren Werken zum Umdenken anzuregen und ihnen einen Blick auf die Tragweite rechtsradikalen Terrors und strukturellen Rassismus’ zu eröffnen. In diesem Sinne lädt er selbst seit 2013 zur Möllner Rede im Exil ein. „Es war meine Reaktion darauf, dass die Angehörigen der betroffenen Familien in Mölln nicht so eingebunden worden sind, wie es angemessen wäre“, erklärt der 36-Jährige.

Die nächste Rede im Exil hält Ibrahim Arslan am Sonntag, 7. November, um 12 Uhr im Schauspielhaus Kiel und kann auch über einen Livestream verfolgt werden.