Glinde. Grüne scheitern mit ihrem Antrag auf die Unkenntlichmachung des Begriffs. Trotzdem wird sich nun etwas ändern.

Rassistisch und diskriminierend oder nicht? Das ist hier die Frage. Die Grünen sagen Ja. Sie stören sich am sogenannten Buchdenkmal im Wohngebiet Alte Wache in Glinde, das an die Geschichte des Heereszeugamtes erinnert und mit acht silbernen Tafeln bestückt ist. In zwei von ihnen ist der Begriff „Negerdorf“ eingraviert.

„Negerdorf“ in Glinde behält Namen

Diesen Namen trug ein angrenzendes Quartier aus sieben Reetdachhäusern mit 24 Wohnungen, seit 2015 lautet die offizielle Bezeichnung Siedlung Oher Weg. Die Partei möchte das Wort unkenntlich machen. Das lehnten CDU, SPD und FDP im jüngsten Kulturausschuss ab. Sie sehen die Sache im historischen Kontext. Dafür fand ein Gegenantrag der Christdemokraten eine Mehrheit.

Die Verwaltung ist nun beauftragt, eine Tafel zu entwerfen, auf der erklärt wird, wie sich das Gebäudeensemble seinerzeit im Volksmund als „Negerdorf“ etabliert hat. Der Name ist übrigens in Akten aufgeführt, wurde 1961 durch das Landesbauamt Lübeck übernommen. Den Textvorschlag aus dem Rathaus muss die Politik dann absegnen.

Denkmal am Wanderweg wurde 2013 eingeweiht

„Ich bin zutiefst geschockt und teilweise sprachlos gewesen. Andere Parteien haben sich herausgeredet und immer von Geschichte gesprochen“, sagt Grünen-Vertreter Michael Neschki über die Diskussionen im Kulturausschuss. „Ich bin seit 14 Jahren mit einer Frau zusammen, die keine weiße Hautfarbe hat. Ihr sind die Tränen gekommen beim Erblicken des Begriffs.“

Das Denkmal am Wanderweg wurde 2013 eingeweiht. Die Idee hatte der frühere Bauamtsleiter Frank Thiemann. Das Projekt wurde mit den Parteien abgestimmt, eine Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus allen Fraktionen eingerichtet. „Im Kulturausschuss gab es damals bei der Sprachregelung keine Gegenstimme“, sagt der Vorsitzende Matthias Sacher (CDU). Die jetzt von den Grünen angeprangerte Bezeichnung wurde bewusst in Anführungszeichen gesetzt.

In zwei Tafeln des Buchdenkmals ist das Wort „Negerdorf“ graviert. 
In zwei Tafeln des Buchdenkmals ist das Wort „Negerdorf“ graviert.  © René Soukup

Sacher verweist darauf, dass das Wort „Negerdorf“ auch in Chroniken der Stadt steht und meint, es werde auf Sicht keine Rolle mehr spielen bei Gesprächen. Lediglich einige Alt-Glinder würden den Begriff heute noch verwenden. Die junge Generation klammert der Christdemokrat aus.

Er sagt: „Ich bekam Briefe von Bürgern, die fragten, ob wir nicht andere Probleme haben.“ Monika Kaemmer von der FDP begründet ihr Votum so: „Ich halte nichts davon, Geschichte verschwinden zu lassen. Wir müssen sie sensibel darstellen in einer multikulturellen Gesellschaft und immer wieder überarbeiten. Deshalb ist eine weitere erklärende Tafel hilfreich.“

Sozialdemokrat Wolfgang Westphal: „Es ist doch allen bewusst, dass es sich um die historische Bezeichnung eines Ortes handelt. Wir können Geschichte nicht verleugnen.“

Der Parteienstreit schwelt seit zwei Monaten. Im Hauptausschuss am 6. Dezember vergangenen Jahres brachten die Grünen einen Antrag ein mit dem Ziel, die Tafeln sofort abzunehmen und erst wieder anzubringen, wenn das Wort „Negerdorf“ durch die novellierte Sprachregelung ersetzt ist. CDU und SPD verwiesen die Angelegenheit in den Kulturausschuss im Februar.

Für die Grünen war das nicht akzeptabel, sie sahen dringenden Handlungsbedarf und preschten wiederum in der Stadtvertretung am 15. Dezember vor. Ihre Forderung: Der Begriff soll unkenntlich gemacht werden. Die Aufnahme des Antrags in die Tagesordnung wurde abgelehnt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach ärgerte sich über die von Grünen verlangte namentliche Abstimmung, sagte: „Es ging nur darum, uns zu brandmarken.“

„Negerdorf“: Baugenossenschaft ist Eigentümer der Gebäude

Die drittstärkste Kraft in der Stadt veröffentlichte wiederum im Nachgang eine Mitteilung. „Wir vermissen das klare Zeichen der Glinder Parteien, die sich immer deutlich gegen Rechts gestellt haben, sich genauso deutlich gegen jede Form des Rassismus und der Diskriminierung zu stellen“, heißt es darin. Ein treibender Akteur bei den Grünen ist Wolf Tank, der im jüngsten Kulturausschuss fehlte. Über den jetzt eingeschlagenen Weg sagt der Rentner: „Das ist aus meiner Sicht nicht angemessen.“

Die Reetdachhäuser wurden 1936 für Offiziere und Beamte gebaut. In jenem Jahr gründeten die Nationalsozialisten das Heereszeugamt für die X. Armee und das Kurbelwellenwerk. Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnten in den Gebäuden auch Flüchtlingsfamilien und Heimatvertriebene, 1969 zogen Bedienstete der Bundeswehr ein, die im Gerätehausdepot tätig waren. Dieses existiert nicht mehr.

Seit 2003 steht das Ensemble unter Denkmalschutz. Eigentümer ist inzwischen die Baugenossenschaft freier Gewerkschafter eG (BGFG). Es gibt Spekulationen, wie die Siedlung zum Namen „Negerdorf“ gekommen ist. Eine Variante: Das Ensemble wirkt wie abgeschlossen und erinnert an einen „Neger-Kral“, eine kreisförmige Siedlung, wie sie in Afrika verbreitet war.