Ahrensburg/Norderoog. Naturschützer vom Ahrensburger Verein Jordsand beobachten mit Sorge das Hochwasser, das Teile der Halligen überflutet hat.

Tausende kleine Vögel sind ertrunken oder unterkühlt: Damit sind die schlimmsten Befürchtungen der Naturschützer vom Ahrensburger Verein Jordsand eingetreten. Ein für den Frühsommer extremes Hochwasser hat große Teile der Halligen an der Nordseeküste überflutet. Dabei wurden wenige Tage alte Küken und noch nicht ausgebrütete Eier weggespült. Betroffen war auch die nur zehn Hektar große Insel Norderoog, die dem Verein gehört. Dort brüten jährlich mehr als 10.000 See- und Küstenvögel.

Für Menschen war die Flut am Sonntag, 9. Juni, mit einer Höhe von bis zu einem Meter über dem mittleren Hochwasser nicht gefährlich. Dramatisch sei die Situation hingegen für den Nachwuchs der Küstenvögel auf den kleinen Halligen und in den Vorländern gewesen. „Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter sein können“, sagt Veit Hennig, Vorsitzender des im Ahrensburger Haus der Natur ansässigen Vereins Jordsand. „Die meisten Brutvögel hatten schon kleine Küken oder sie waren kurz vor dem Schlupf. Ob so spät in der Brutzeit eine Ersatzbrut begonnen werden kann und erfolgreich sein wird, ist äußerst fraglich.“

Überflutung reicht von der Elbmündung bis nach Nordfriesland

Von der Elbmündung bis nach Nordfriesland waren Vorländereien und Salzmarschen länger als eine Stunde überflutet. In Nordfriesland stand das Wasser auf der Hallig Südfall bis an die Warft heran. Die Halligen Süderoog, Nordstrandischmoor und Norderoog wurden zu sehr großen Teilen überspült. Auch auf Hallig Gröde waren wichtige Brutkolonien von dem Land unter betroffen.

Nele Waltering, seit Anfang April Vogelwartin des Vereins Jordsand und einziger Mensch auf der Hallig Norderoog, bangte um den Nachwuchs der einzigen schleswig-holsteinischen Brutkolonie der Brandseeschwalben. Diese waren am Ende nur in Teilen betroffen. Der Wasserstand von 65 Zentimetern über dem mittleren Hochwasser reichte jedoch aus, um Lachmöwen, Flussseeschwalben und Austernfischer in große Not zu bringen. Die Hallig war weit über die Hälfte überschwemmt.

„Es tut sehr weh“, sagt die Vogelwartin auf Norderoog

„Es tut sehr weh, mit ansehen zu müssen, wie diese Vögel auf einen Schlag alles verlieren“, sagt Nele Waltering. „Ich habe ihre Balz und Brut in den vergangenen Wochen verfolgt und musste nun hilflos zusehen, wie die Flut Eier und Küken mit sich reißt.“ Die gerade schlüpfenden Küken der Küstenseeschwalben haben glücklicherweise überlebt: Ihre Kolonie liegt etwas höher nahe den Pfahlbauten auf Norderoog, in denen die Vogelwartin wohnt.

Große Teile der Hallig Norderoog standen unter Wasser.
Große Teile der Hallig Norderoog standen unter Wasser. © Verein Jordsand | Nele Waltering

Auch in Dithmarschen standen bis in die Elbmündung hinein die großen Kolonien der Küstenvögel wie Säbelschnäbler oder Lachmöwe fast zwei Stunden unter Wasser. Im hamburgischen Wattenmeer waren vor allem die Vorländer der Insel Neuwerk betroffen.

Häufigkeit der „Kükenfluten“ nimmt seit einigen Jahren signifikant zu

Am Sonntag war eine sogenannte Springtide: Genau drei Tage nach Neumond läuft dann das Wasser höher auf und sinkt stärker ab. Zwischen einem Tiefdruckgebiet über Skandinavien und der Rückseite eines Hochdruckgebiets über Polen brausten Schauerböen von Westen mit einer Stärke von sechs bis acht sowie in Spitzen sogar mehr als neun Beaufort heran. Das sind mehr als 75 Kilometer pro Stunde.

Vogelwartin Nele Waltering musste hilflos zusehen, wie das Wasser Eier und Küken mit sich riss.
Vogelwartin Nele Waltering musste hilflos zusehen, wie das Wasser Eier und Küken mit sich riss. © Elisabeth Kirchhoff | Elisabeth Kirchhoff

Die Kombination von Meeresspiegelanstieg und Starkwind-Wetterlagen mitten in der Brutzeit hat es laut Forschern auch schon früher gegeben. Die Häufigkeit solcher „Kükenfluten“ nimmt aber gerade im Juni seit einigen Jahren signifikant zu. Die Wetterlagen haben sich durch den Klimawandel stark verändert, so die Experten vom Verein Jordsand. Heftiger Wind aus Westen oder starke Hitzeperioden mit lang anhaltendem Ostwind machten den Tieren im Wattenmeer von Muscheln bis zu den Vögeln sehr zu schaffen.

Projekt „Klimahallig Norderoog“ zeigt die Auswirkungen des Klimawandels

Erst wenige Tage vor dem verheerenden Hochwasser hatte der Verein Jordsand das vom Land Schleswig-Holstein geförderte Projekt „Klimahallig Norderoog“ gestartet. Es soll die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf das sensible Ökosystem Wattenmeer veranschaulichen und die Öffentlichkeit darüber informieren. „Ich hoffe natürlich, dass Norderoog dieses Jahr von einer Kükenflut verschont bleibt“, sagte Projektleiterin Marlene Wynants zum Start. Ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung.

Auch interessant

Die für Besucher gesperrte Nordseeinsel, die nur etwa 620 Meter lang und bis zu 180 Meter breit ist, kann mithilfe von drei Webcams virtuell erkundet werden. Auf der Internetseite www.klimahallig.de sind auch die Küstenseeschwalben und die Hauptkolonie der Brandseeschwalben rund um die Uhr zu beobachten. Dazu gibt es aktuelle Informationen und eine interaktive Karte. Geplant sind außerdem digitale Angebote wie Online-Veranstaltungen mit Liveschalten.

Das Gelege einer Lachmöwe treibt im Wasser.
Das Gelege einer Lachmöwe treibt im Wasser. © Verein Jordsand | Nele Waltering

Der Verein Jordsand hatte Norderoog 1909 für 12.000 Gold­mark gekauft. Die Hallig liegt 25 Kilometer vor der Küste in der Kernzone des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Bis 1970 war die Fläche von 21 auf 7,8 Hektar geschrumpft. Durch umfangreiche Befestigungs- und Uferschutzmaßnahmen konnte die Insel seitdem mit etwa zehn Hektar gesichert werden. Im Westen beobachten die Naturschützer seit einigen Jahren ein interessantes Phänomen: Der vorgelagerte Norderoogsand rückt immer näher an die Hallig heran.