Ahrensburg. Wo die neue Kinderbeauftragte des Kreises Stormarn Kerstin Hinsch ihren Fokus setzen will. Und warum sie sich dieser Aufgabe stellt.

Laut Armutsatlas des Kinderschutzbundes 2022 sind etwa zehn Prozent aller rund 44.000 in Stormarn lebender Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahren von sogenannter „sozialstaatlicher Armut“ betroffen. Würde man jedoch alle Kinder berücksichtigen, die in einem Haushalt mit existenzsicherndem Leistungsbezug leben, wäre es gar jedes fünfte Kind. „In etlichen Städten und Gemeinden sind die Zahlen noch dramatischer, in einzelnen Kommunen an der Spitze gilt sogar jedes dritte Kind als arm“, sagt Carsten Reichentrog, Leiter des Fachbereichs Jugend und Schule der Kreisverwaltung. Gab es im Jahr 2019 noch 3736 Leistungsempfänger aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, so waren es Ende 2023 bereits 4212.

Arme Kinder sind oft von Ausgrenzung bedroht

„Als Kreisjugendamt sind wir hier weiter gefordert, gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern insbesondere für diese Kinder bestmögliche Teilhabechancen an außerschulischen und schulischen Bildungsangeboten zu ermöglichen“, so Reichentrog. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien seien häufig isoliert und von sozialer Ausgrenzung bedroht. „Wir müssen weiterhin entgegenwirken, dass Kinder aufgrund finanzieller Engpässe von vielen Aktivitäten ausgeschlossen sind und damit die soziale Teilhabe verwehrt wird“, betont der Fachmann.

Seit Kurzem hat er dafür eine engagierte Mitstreiterin: Kerstin Hinsch. Die 44 Jahre alte Zahnärztin ist neue Kinderbeauftragte des Kreises, nachdem dieser Posten vier Jahre unbesetzt geblieben war. „Wir sind froh, dass wir in Kerstin Hinsch eine beharrliche Kämpferin für Kinderrechte gewinnen konnten“, sagt Thomas Bellizzi (FDP), der dem Jugendhilfeausschuss des Kreistags vorsteht.

Hinsch sieht sich als Mittlerin zwischen Eltern und Kreispolitik

Hinsch sei alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Sie habe sich bereits als streitbare, aber stets konstruktive Co-Vorsitzende der Kreiselternvertretung Kitas und deren Vertreterin im Jugendhilfeausschuss einen Namen gemacht. „Sie bringt Enthusiasmus und Energie mit, Erfahrung und Emotionalität. All das wird ihr helfen, wichtige Themen zu forcieren und so Zählbares für die Kinder und ihre Eltern in Stormarn zu bewegen“, ist der Freidemokrat überzeugt.

Hinsch, die mit Ehemann und einem siebenjährigen Sohn in Tangstedt wohnt, hatte sich im Auswahlverfahren gegen ein halbes Dutzend Mitbewerber durchgesetzt. Nun will sie als Mittlerin zwischen Eltern, Kreispolitik und der Verwaltung viele heiße Eisen anpacken und den Finger in die Wunde legen, wo es notwendig ist.

Da sind noch viele „dicke Bretter“ zu bohren

„Ja, der Kreis steht in vielen Bereichen bereits gut da. Aber es gibt noch Defizite, der wir uns unbedingt annehmen müssen“, sagt die gebürtige Berlinerin. Sich ehrenamtlich zu engagieren, liege ihr praktisch im Blut. Großeltern und Eltern hätten ihr das vorgelebt als Trainer, Betreuer und Vorstandsmitglieder eines großen Rudervereins.

Auf dem Wasser habe sie auch gelernt, sich durchzubeißen, wenn es mal schwierig wird. „Ich kann sehr hartnäckig sein, wenn ich von einer Sache überzeugt bin“, sagt Hinsch über sich selbst. Ihr sei aber zugleich bewusst, dass da manchmal „echt dicke Bretter“ gebohrt werden müssten, was zumeist eine gewisse Kompromissbereitschaft bedinge.

Betreuungssituation führt bei vielen Eltern zu Stress

„Ein Lichtblick“ sei in jedem Fall, dass der Kreis durch seine Offensive für eine vergütete, praxisintegrierte Ausbildung von Erziehern und sozialpädagogischen Assistenten viel dazu beigetragen habe, die angespannte Personalsituation in den Kitas mittelfristig zu entschärfen. Andererseits sehe sie im erweiterten Anspruch einer Nachmittagsbetreuung an Offenen Ganztagsschulen das „nächste schwarze Loch“ heraufziehen.

„Kinder fallen ja nicht vom Himmel. Wer Geburtenraten lesen kann, ist klar im Vorteil und weiß, welche räumlichen und personellen Kapazitäten in den nächsten Jahren zu schaffen sind“, formuliert sie forsch. Derzeit müssten sich hingegen Eltern immer öfter fragen, ob sie ihren Job mit Kindern überhaupt noch nachgehen können.

Rasant steigende Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen

Sorgen bereiten der neuen Kinderbeauftragten auch die deutlich steigenden Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen. Waren es 2021 noch 251, so wurden 2023 bereits 455 registriert. Viele Meldungen hielten einer eingehenden Prüfung zwar nicht stand, die Tendenz verstetigt sich aber. So ist die Zahl der notwendigen Inobhutnahmen 2023 im Vergleich zu 2022 um rund 15 Prozent gestiegen.

Das Jugendamt spricht von einem landesweiten Trend, der sich im laufenden Jahr weiter fortsetzen werde. „Er ist auf den Anstieg der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zurückzuführen und vermutlich auf die Zeit der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden, hochgradigen Belastungsfaktoren in den Familien“, sagt Sabrina Krannich, Jugendhilfeplanerin der Kreisverwaltung. Insgesamt würden die sozialen Problemlagen aufgrund immer knapper werdender Ressourcen in Familien aber weiter steigen.

474 Kinder und Jugendliche brauchen einen Schulbegleiter

„Das trifft auch auf den Bedarf an Schulbegleitungen zu“, weiß Kerstin Hinsch. Aktuell benötigen 474 Kinder und Jugendliche im Kreis Stormarn eine Begleitperson, 82 mehr als noch im Vorjahr. 62 Kinder, die ebenfalls einen persönlichen Helfer bräuchten, waren Anfang April aber noch immer unversorgt. Leistungserbringer seien zwar ständig auf der Suche nach geeigneten Begleitern, personell aber ausgelastet, heißt es aus der Kreisverwaltung. Nicht viel anders stellt sich die Situation bei der Frühförderung und der Eingliederungshilfe dar.

Einen starken Fokus will Kerstin Hinsch zudem auf eine stärkere Beachtung der Kinderrechte legen. „Das ist kein Akt der Barmherzigkeit, sondern eine unabdingbare Notwendigkeit“, sagt die Kinderbeauftragte. In jedem Kind, das heute gehört, geschützt und gefördert werde, wachse ein verantwortungsvoller Erwachsener von morgen heran.

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Das Bewusstsein dafür will sie unter anderem durch einen kreisweiten Kreativwettbewerb in Kitas, in der Tagespflege und an Schulen schärfen. Dabei sollen Kinder und Jugendliche ihre Rechte künstlerisch-kreativ interpretieren. Das könne in Form von Zeichnungen und Gedichten geschehen, wie auch als Musical oder selbst ausgedachtem Spiel.

Der offizielle Start des Projekts ist für den Weltkindertag im September vorgesehen. Die besten Arbeiten sollen dann im Juni 2025 im Kinderrechtepark Bad Oldesloe, einer Initiative des Kinderschutzbundes und der Kreisstadt, präsentiert und ausgezeichnet werden. Kontakt mit Kerstin Hinsch kann per E-Mail an kinderbeauftragte@kreis-stormarn.de aufgenommen werden.