Großhansdorf. Großhansdorf: Umweltminister Tobias Goldschmidt diskutiert auf Einladung der Grünen mit Experten vom Thünen-Institut und der Landesforsten.
Die Deutschen haben seit jeher ein inniges Verhältnis zum Wald. Er gilt als besonderes Kulturgut, das in unterschiedlichen Facetten besungen und beschrieben wird. Kein Wunder, dass berühmte Märchen wie „Hänsel und Gretel“ oder „Rotkäppchen“ in Wäldern spielen. Und als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche lag, brauchte es ein starkes Symbol für den Wiederbeginn. Diesen verkörperte Gerda Johanna Werner. Sie ist die Frau auf der Rückseite der 50-Pfennig-Münze, die kniend liebevoll eine kleine Eiche pflanzt. Über zwei Milliarden Stück waren von der Einführung der D-Mark 1949 bis zu ihrer Ablösung durch den Euro im Umlauf. In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, welch ambivalente Rolle der Mensch den Wäldern verordnet hat: Sie sind Klimaopfer und Klimaretter zugleich. Auch wenn die Zeit vielfach „verschlafen“ worden ist, um nachhaltig dem Klimawandel entgegenzuwirken, so gibt es hierzulande zumindest den politischen Willen, umfassendes Know-how und die erforderlichen Budgets, um ein neues Kapitel „Waldgeschichte“ aufzuschlagen.
Auf Einladung des Grünen-Ortsvereins fand kürzlich im Sitzungssaal des Rathauses der Waldgemeinde Großhansdorf eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kann der Großhansdorfer Wald den Klimawandel überleben“? statt. Moderiert von der Grünen-Ortsvorsitzenden Sabine Rautenberg sprachen über biologischen Klimaschutz, Biodiversität und Kohlendioxid-Äquivalente: Umweltminister Tobias Goldschmidt, Bernd Degen, Leiter des Thünen-Instituts Großhansdorf, Udo Harriehausen und Katharina Mausolf, beide von der Abteilung Naturschutz der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten.
Provokanter Titel: Kann der Großhansdorfer Wald den Klimawandel überleben?
„Der Titel dieser Veranstaltung ist bewusst etwas provokant gewählt“, bekannte Sabine Rautenberg zu Beginn. Dabei hätte es derlei PR-Arbeit gar nicht bedurft: Für 45 Personen war anfangs nur bestuhlt worden, rund 70 Interessierte kamen. „In diesen Tagen rechnet die Politik wohl eher mit 35 Treckern vor der Tür als mit doppelt so vielen Menschen im Saal“, witzelte ein Besucher.
Die Podiumsgäste hatten für den zweistündigen „Öko-Crashkurs“ reichlich Zahlen, Daten und Fakten mitgebracht. „In den vergangenen Jahren haben wir in Verbindung mit dem Begriff ‚Klimaschutz‘ zumeist von Dekarbonisierung, also dem Vermeiden bzw. Einsparen von Kohlendioxid, gesprochen. Hier werden auch weiterhin große Kraftanstrengungen erforderlich sein“, erklärte Tobias Goldschmidt, der nach seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag 2012 nach Kiel wechselte, um sich dort in unterschiedlichen Funktionen der Energie-, Agrar- und Umweltpolitik zu widmen. „Etwa ein Viertel der Landesfläche liegt nur einen Meter über Normal-Null. Vom Klimawandel und dem weiteren Anstieg des Meeresspiegels wären wir hier unmittelbar betroffen. Unser Ziel ist, dass Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird“, so der 42-jährige.
Anschließend ging der Minister detailliert auf das Landesprogramm „Biologischer Klimaschutz“ ein: „Wir wollen bis 2030 Einsparungen von insgesamt 717.500 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr erzielen. Diesbezüglich gibt es drei große Handlungsbereiche: Wiedervernässung von Mooren, Umwandlung von Acker- in Grünland sowie Neuwaldbildung und Waldumbau“, berichtete der dreifache Vater. Allein in puncto Moorvernässung ließen sich rund 700.000 Tonnen CO2-Äquivalent jährlich einsparen. Diese Maßeinheit wird international zur Vereinheitlichung der Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase herangezogen. Als Basis fungiert Kohlendioxid.
Waldfläche von elf auf zwölf Prozent erhöhen
Wälder übernehmen die Funktion von Multi-Talenten: Zum einen haben sie einen enorm hohen Freizeit- und Erholungswert und sind wichtige Jagdreviere, zum anderen dienen sie der Holzproduktion und energetischen Nutzung. Darüber hinaus wirken Bäume und Sträucher als CO2-Senken; aktuell werden rund 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in den schleswig-holsteinischen Wäldern gespeichert. Dabei belegt das nördlichste Bundesland den letzten Platz unter den Flächenstaaten. Derzeit beträgt der Waldanteil in den 15 Landkreisen und kreisfreien Städten lediglich elf Prozent (173.000 Hektar). 70 Prozent der Fläche entfallen auf Landwirtschaft, 14 Prozent auf Siedlung und Verkehr sowie fünf Prozent auf Gewässer. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt sind es 32 Prozent, also knapp ein Drittel, bewaldete Fläche. „Wir streben durch eine Neuwaldbildung von rund 15.700 Hektar eine Erhöhung auf zwölf Prozent an“, machte Tobias Goldschmidt deutlich.
Waldumgestaltung – mehr Laub- und weniger Nadelbäume
Wie dies im Detail aussehen könnte, skizzierten die drei Wissenschaftler: „Wir können es uns nicht mehr leisten, einfach abzuwarten, in welcher Weise die Natur im weiteren Verlauf den Klimawandel bewältigt, oder jahrzehntelang Experimente machen“, konstatierte Bernd Degen, der am renommierten Thünen-Institut den Bereich Forstgenetik leitet. „Die Option ist, eine vom Menschen gesteuerte Klimaanpassung der Wälder vorzunehmen. Hierzu zählt die Nutzung hochwertigen Saatgutes, auch aus anderen Regionen, und die gezielte Anlage von Mischwald, zum Beispiel Buchen unter einem Fichtenschirm.“ Dies würde signifikant zur Förderung der Widerstandsfähigkeit des Waldes beitragen.
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Den „Baum-Mix“ anno 2022 in Schleswig-Holstein präsentierten Udo Harriehausen und Katharina Mausolf als Protagonisten der Landesforsten, deren 32 Förstereien sich über eine Gesamtfläche von rund 50.000 Hektar erstrecken. Demnach liegen Buchen mit einem Anteil von 23 Prozent knapp vor Fichten/Tannen (22 Prozent) an der Spitze, gefolgt von Eichen (17 Prozent) und Lärchen (13 Prozent). In den kommenden 30 Jahren wird eine Umgestaltung – weniger Nadel- und mehr Laubbäume – angestrebt. So soll beispielsweise der Buchen-Anteil bis 2052 auf 32 Prozent steigen, während Fichten/Tannen auf 13 Prozent und Lärchen auf fünf Prozent sinken. Mit einer Ausnahme: Der Bestand an den überaus robusten und anspruchslosen Douglasien, ursprünglich in Nordamerika beheimatet und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Europa „eingewandert“, soll sich von vier auf neun Prozent binnen drei Jahrzehnten verdoppeln.
Ausgezeichneter Großhansdorfer Honig als Präsent
In Bezug auf die schnell wachsenden Nadelbäume, die bis zu 400 Jahre alt werden können, hat insbesondere der 190 Hektar umfassende Großhansdorfer Wald, der zur Försterei Lütjensee gehört, noch Nachholbedarf. Derzeit stehen in der Statistik der Waldgemeinde unter der Rubrik „Douglasie“ 0,4 Prozent. Wenngleich vielfach bereits Schäden, zum Beispiel durch gefräßige Insekten wie den Borkenkäfer sichtbar sind, scheint es um die Qualität des örtlichen Baumbestandes indes noch recht gut bestellt zu sein. Tobias Goldschmidt durfte als süßes Präsent nämlich ein Glas Waldhonig mit nach Hause nehmen. Dieses hatte ihm Hobby-Imker Matthias Sünnemann (61), ausgezeichnet für den besten Honig in Schleswig-Holstein 2023, am Ende der Veranstaltung überreicht.
„Wir sollten aufpassen, dass wir uns mit der zuweilen romantischen Sicht auf unsere Wälder bei der Bewältigung der Klimakrise nicht selbst im Wege stehen“, resümierte Goldschmidt. „Manchmal mutet es wie die Quadratur des Kreises an. Wir wollen und müssen den Wald schützen, doch wir brauchen ihn auch für die Holzproduktion.“