Bargteheide. Caroline Schulze und ihre Familie haben in Bargteheide viele Spuren hinterlassen. Wie Frauen die Entwicklung der Stadt geprägt haben.
Es war ein langer Weg, bis sich Frauen die rechtliche Gleichstellung mit Männern erkämpft haben. Mit Blick auf Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie und bei ehrenamtlichen Hilfsleistungen dürften sich viele noch längst nicht am Ende dieses Weges sehen. Dabei haben Frauen in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen, wie wichtig und unverzichtbar sie für das gesellschaftliche Leben sind. Gerade zum internationalen Frauentag am 8. März wird oft an die besondere Rolle der Trümmerfrauen beim Wiederaufbau zerbombter deutscher Städte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Doch auch auf dem Land gibt es beeindruckende Beispiele, wie starke Frauen allen Widrigkeiten zum Trotz das Werden und Wachsen von Kommunen geprägt haben.
Als Caroline Studt im Oktober 1867 auf einem Bauernhof in Elmenhorst als Ältestes von 13 Kindern auf die Welt kommt, sind die Entwicklungschancen von Frauen noch sehr begrenzt. „Neben einer minimalen Schulbildung lag der Fokus eindeutig auf der Haushaltsführung und dem Kinderkriegen“, sagt Historikerin Ruth Kastner. Selbstständig arbeiten durften Frauen nur mit Zustimmung ihres Ehemanns. Dann verdienten sie ihr Geld in der Regel als Haus- und Kindermädchen, Köchin, Gastwirtin, Verkäuferin oder Schneiderin.
Von einer Bauerntochter zur Selfmade-Unternehmerin
So war es auch bei Caroline Studt. Wie viele andere Bauerntöchter wird auch sie frühzeitig im Nähen, Stricken und Sticken unterwiesen. Seinerzeit ist es durchaus üblich, dass Mädchen nicht nur ihre Hochzeitskleider selbst schneidern, sondern auch Teile der Aussteuer wie Bettwäsche, Handtücher und Tischdecken.
Vermutlich 1892 heiratet Caroline Studt den aus Mecklenburg eingewanderten Organisten und Lehrer Ferdinand Schulze. Jedenfalls kommt nur ein Jahr später Tochter Anna auf die Welt, eben nicht unehelich, sondern „in geordneten Verhältnissen“. Es folgen innerhalb von acht Jahren vier weitere Kinder.
1901 wird zum großen Schicksalsjahr für die Familie
Die Familie lebt zunächst in einer Dienstwohnung in Bergstedt, zieht aber noch vor der Jahrtausendwende nach Bargteheide. Dort beziehen die Schulzes ein Haus in der Lübecker Straße 12, an der nördlichen Ausfallstraße gen Elmenhorst, der heutigen B75.
1901 wird zum großen Schicksalsjahr für Caroline Schulze und die gesamte Familie. Erst wird Nesthäkchen Gertrud geboren, dann stirbt eines der vier Geschwister an der „Englischen Krankheit“ Rachitis, einer durch Vitamin-D-Mangel ausgelösten Knochenerkrankung. Anfang Dezember stirbt nach langer, schwerer Krankheit schließlich auch Ferdinand Schulze 35-jährig an Tuberkulose.
Im Alter von 34 Jahren mit vier Kindern allein
„Plötzlich musste meine Großmutter im Alter von 34 Jahren nicht nur vier kleine Kinder allein großziehen, sondern auch für den gesamten Lebensunterhalt der Familie sorgen, da ihr Mann nur eine sehr kleine Rente hinterlassen hatte“, erzählt Enkelin Luise Hemsen, die 1932 geborene Tochter von Gertrud Schulze.
Neben der Pflege ihres todkranken Mannes hat Caroline Schulze bereits Anfang September 1901 im Haus der Familie in der Lübecker Straße ein Wäschegeschäft mit angeschlossener Schneiderstube eröffnet, in der sie Kurse in Weißnäherei und -stickerei gibt. „Dabei wurde mit weißem Garn vor allem weißer Stoff gesäumt und bestickt, zumeist Baumwolle oder Leinen“, berichtet Luise Hemsen.
Neben Damenunterwäsche auch Herrenhemden genäht
In der kleinen Manufaktur werden neben Damenunterwäsche auch Herrenhemden mit feinen Biesen, Knopfleiste und Kragen genäht und oft mit einem Monogramm personalisiert. Wann immer es die Zeit zulässt, engagiert sich Caroline Schulze zudem in der Gemeinde und der unmittelbaren Nachbarschaft.
„Meine Großmutter war sehr sozial eingestellt“, berichtet Luise Hemsen. Caroline Schulze habe sich um kranke Nachbarn gekümmert und für diese gekocht, in der Kirche geholfen und für das Rote Kreuz gearbeitet. 1918 nimmt sie sogar ein weiteres Kind in ihren Haushalt auf, die fünfjährige Lilli von gegenüber. Deren Vater ist im Ersten Weltkrieg gefallen, die Mutter stirbt 1918 an Tuberkulose. Natürlich wird auch Lilli Näherin und bleibt den Schulzes ein Leben lang verbunden.
Das Geschäft vom Stadtrand ins Zentrum verlagert
1928 übernimmt Caroline Schulzes Sohn Gustav nach einer Lehre das Geschäft in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Er fährt mit seinem Motorrad und Seitenwagen über Land und verkauft die Ware auch als fliegender Händler. Weil 1930 die Raumkapazitäten in der Lübecker Straße nicht mehr ausreichen, verlagert er den Laden in die Rathausstraße 27.
Da Gustavs Ehe kinderlos bleibt, steigt nach dem Zweiten Weltkrieg Hans Helmke, der Sohn seiner ältesten Schwester Anna, in das Geschäft ein und baut es aus. Es heißt fortan Schulze-Helmke und macht sich einen Namen über die Stadtgrenzen hinaus. 1986 verkauft Hans Helmke schließlich das Haus, in dem heute die Haspa residiert.
Das Mutterkreuz der Nazis dankend abgelehnt
„Trotz der enormen Verantwortung und des herausfordernden Tagwerks habe ich meine Großmutter nie verzweifelt oder verbittert erlebt. Sie war eine starke, stolze Frau voller Durchsetzungskraft, aber auch Herzenswärme, Weisheit und Güte“, sagt Luise Hemsen. Diese Eigenschaften habe Caroline Schulze auch ihren Kindern und Enkelkindern vermittelt.
Die sie allesamt auch durch die harten Jahre während des Zweiten Weltkriegs gebracht hat. Dafür sollte sie von den Nazis irgendwann mit dem Mutterkreuz geehrt werden. Eine Ehrung, die sie dankend abgelehnt hat. „Das Ding können sie gleich wieder mitnehmen, ließ sie die Überbringer wissen, ohne jeglichen Anflug von Angst oder Reue“, erzählt Hemsen.
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Caroline Schulze und ihre Familie haben vielfältige Spuren in Bargteheides Stadtgeschichte hinterlassen. Auch die jüngste Tochter Gertrud ist eine selbstbewusste und zupackende Frau. Sie heiratet in die Kaufmannsfamilie Pöhlsen ein, die ein Lebensmittelgeschäft in der Jersbeker Straße aufgebaut haben. Das führt Gertrud oft allein, während ihr Mann Tierfutter in Hamburg vertreibt. „Mein Vater hat viele Jahre mit einem Pferdefuhrwerk erst den Zoologischen Garten in Hamburg, heute Planten un Blomen, und bis Anfang der 50er-Jahre den Tierpark Hagenbeck versorgt“, sagt Luise Hemsen.
„Als Bauerntochter zur Lehrersfrau und dann zur Selfmade-Unternehmerin, damit hat Caroline Schulze einen beeindruckenden Lebensweg vollzogen“, sagt Ruth Kastner. Als Vorsitzende des Vereins Geschichtswerkstatt Bargteheide würde sie sich wünschen, dass in den kommenden Jahren noch weitere Biografien von starken Frauen nachgezeichnet werden, die mit ihrem Wirken Bargteheide geprägt haben. Eine Kontaktaufnahme ist unter der Mailadresse geschichtswerkstatt-bargteheide@web.de jederzeit möglich.