Lübeck. Pilotprojekt zur Klimaneutralität im Güterverkehr läuft seit vier Jahren. Leiter wehrt sich gegen „Unkenrufe“ – und hat neue Ideen.
Die Wissenschaft steckt voller Visionen - und die braucht es auch, um die Klimawende zu stemmen. Zum Lackmustest wird aber die Alltagstauglichkeit der Ideen und Entwicklungen: Lohnt sich eine neue, klimafreundliche Technologie? Ist sie praktikabel, nachhaltig, effizient? Und: Ist der Aufbau einer innovativen Infrastruktur das ganze Steuergeld überhaupt wert?
Um erstmal herauszufinden, ob die Technik überhaupt funktioniert, läuft auf der Autobahn 1 zwischen Reinbek und Lübeck seit rund vier Jahren der Feldversuch E-Highway Schleswig-Holstein (FESH). Das bedeutet: Speziell ausgestattete Hybrid-Lkw werden in entlang der Straße verlaufende Oberleitungen „eingehängt“ und mit Strom angetrieben. Am Donnerstag, 29. Februar, hat das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel (FuE) mit den Projektpartnern ihre Zwischenergebnisse vorgestellt. Bisher habe man belegen können, dass die Technologie funktioniere, sagte FuE-Sprecherin Anna Köhn dem Abendblatt. Es sei aber wichtig, dass das Pilotprojekt auch fortgeführt werde.
E-Highway Schleswig-Holstein: Lkw mit Oberleitungsstrom fahren seit vier Jahren
Die Teststrecke auf der A1 ist in beide Fahrtrichtungen jeweils fünf Kilometer lang. Die Forscher wollen herausfinden, ob die Technologie dazu beitragen kann, Klimaneutralität im Güterverkehr herzustellen. Außer in Schleswig-Holstein laufen zwei weitere Oberleitungs-Pilotprojekte in Hessen und Baden-Württemberg. Der Clou bei der Technologie: Durch den Energiebezug aus der Oberleitung kann die elektrische Reichweite der Lkw erheblich gesteigert werden. Sollte sich die Technologie bewähren, könnten Autobahnen abschnittsweise mit Oberleitungen ausgestattet werden, um dafür geeignete Lkw mit Energie für die klimaneutrale Fahrt zu versorgen.
Für das Projekt sind aktuell fünf teilelektrische Oberleitungs-Lkw einer Spedition im täglichen Einsatz. „In dem Projekt FESH konnte mit den eingesetzten Prototypenfahrzeugen gezeigt werden, dass bei elektrischer Fahrt bereits beim heutigen Strommix die CO2- Emissionen um ca. 50 Prozent gesenkt werden können. Mit zunehmendem Anteil an grünem Strom im Mix steigt das Potenzial in den kommenden Jahren noch deutlich an“, sagt Dr. Falk Richter, zuständig für die gesamtökologische Bewertung des Oberleitungssystems bei FESH.
Klimawende in Schleswig-Holstein: DHL schickt vollelektrischen Lkw auf die Teststrecke
Seit November 2023 ist – auch zu Vergleichszwecken – ein vollelektrischer Oberleitungs-Lkw der Deutschen Post (DHL) auf der Teststrecke im Einsatz. Zudem sei die inzwischen eingesetzte zweite Generation der Hybrid-Lkw deutlich effizienter. „Wir stellen fest, dass die Fahrzeuge nun insgesamt zuverlässig fahren und mit den gestiegenen Energiebezügen aus der Oberleitung auch bereits größere Oberleitungslücken überbrücken könnten“, so Klaus Lebert (Fachbereich Informatik und Elektrotechnik der Fachhochschule Kiel).
Bislang hätten die Prototypenfahrzeuge auf dem E-Highway rund 43.000 Kilometer verbunden mit der Oberleitung zurückgelegt. Keine Hinweise gebe es bisher darauf, dass sich der Oberleitungsverkehr negativ auf das Fahrverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer auswirke oder das Unfallrisiko erhöhe.
Die Projektpartner von FESH strebten nun eine Erweiterung des Projektes an. „Das System hat sicher keine große Lobby, aber ungeachtet aller Unkenrufe haben wir bereits gezeigt, dass Oberleitungen auf der Autobahn technisch und organisatorisch funktionieren und effizient und ökologisch sinnvoll sein können“, sagt Jan Bachmann, FESH-Projektleiter.
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„Jetzt möchten wir daran anknüpfen und das System herstellerunabhängig optimieren und in einem direkten Vergleich mit den viel diskutierten Alternativen - insbesondere Brennstoffzellen- und Batterie-LKW - in einer Gesamtsystembilanz evaluieren. Das würde in jedem Fall eine gesicherte Entscheidungsgrundlage schaffen – und womöglich den Kritikern zeigen, dass sich der Aufbau eines größeren Oberleitungsnetzes lohnt. Es kommt nun darauf an, dass die Politik zur Technologieoffenheit steht.“