Ahrensburg. Forscher in Ahrensburg bauen Speck, Parmesan, Fischstäbchen und andere Produkte nach – für die Ernährung der Weltbevölkerung.

Ob Dampfnudeln in China, Tortillas in Mexiko oder Agege Bread in Nigeria – überall finden sich Zutaten, die in einem Technologie-Zentrum in Ahrensburg entwickelt, verfeinert und zur Marktreife geführt worden sind. Der Trend geht dabei immer mehr in Richtung vegan. Die mittelständische Stern-Wywiol Gruppe mit Hauptsitz in Hamburg hat sich von einem Start-up zum Global Player gemausert, der heute in der ersten Liga der Lebensmitteloptimierer mitspielt und sich dort selbst gegen multinationale Konzerne behauptet. „Die Herausforderungen für die Welternährung sind gewaltig, das ist unser Antrieb“, sagt Geschäftsführer Torsten Wywiol, Sohn des Firmengründers Volkmar Wywiol.

Im Jahr 2030 werden Prognosen zufolge mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Doch bereits heute leiden mehr als 690 Millionen Erdenbürger an Hunger. „Um die Menschheit in Zukunft mit ausreichend Nahrung versorgen zu können, braucht es neue, innovative Ansätze, um Lebensmittel im industriellen Maßstab produzieren zu können“, erklärt Torsten Wywiol.

Ernährung vegan: Speck ohne Fleisch „kaum noch vom Original zu unterscheiden“

Doch nicht nur die Menge ist wichtig, auch die Qualität. Fast zwei Milliarden Menschen gelten als übergewichtig. „Gesunde, kalorienarme und wohlschmeckende Nahrungsmittel werden daher noch mehr an Bedeutung gewinnen“, sagt Wywiol. Einen wichtigen Schlüssel sieht er dabei in der Abkehr von tierischen Produkten.

Eine Strategie, die nicht nur tierwohlgetrieben ist, sondern sich auch an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientiert. Mit Blick auf die globale Flächennutzung stehen laut Statista nur etwa drei Prozent der Erdoberfläche für den Ackerbau zur Verfügung. 71 Prozent entfallen auf Wasser (Ozeane, Seen, Flüsse), zwölf Prozent auf urbane Siedlungen, Wüsten, Gebirge und Ödland, acht Prozent auf Wald und sechs Prozent auf Weideland.

71 Prozent der Ackerflächen werden aktuell für Tierfutter genutzt

Momentan werden die zur Verfügung stehenden Ackerflächen laut Umweltbundesamt zu 71 Prozent genutzt, um Futtermittel für die Fleischproduktion anzubauen, 18 Prozent für Nahrungsmittel und 11 Prozent für Biokraftstoffe. Doch schon heute ist absehbar, dass insbesondere für die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 eine Ertragssteigerung um 60 Prozent notwendig wäre, um die Erdbevölkerung ernähren zu können.

„Angesichts dieser Zahlen und weltweit mehr als 1,5 Milliarden Rindern wird deutlich, dass es im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens, sowie des Umwelt- und Klimaschutzes darum gehen muss, die Flächen für die reine Fleischproduktion eher zu reduzieren, als sie zu vergrößern“, sagt Wywiol. Es sei praktisch ein Gebot der Vernunft, die pflanzliche Ernährung zu forcieren und deren Produkte zu optimieren.

Dutzende Baguettes und Weißbrote in Reih und Glied

Dafür hat die Stern-Wywiol Gruppe unter anderem das Stern-Technology Center am Rande des Ahrensburger Gewerbegebiets in mehreren Schritten ausgebaut. Umfasste es im Jahr 2003 gerade 1100 Quadratmeter, so sind es heute mehr als 4200. Hier arbeiten aktuell 350 Mitarbeiter und 120 Technologen aus 38 verschiedenen Nationen in hochmodernen Laboren.

Sieht aus wie ein klassischer Schinken, besteht aber ausschließlich aus pflanzlichen Zutaten.
Sieht aus wie ein klassischer Schinken, besteht aber ausschließlich aus pflanzlichen Zutaten. © HA | Ulbrich Studios

Im perfekt ausgestatteten Back-Labor liegen Dutzende Baguettes und Kastenbrote aufgereiht und werden stündlich analysiert. „Brot ist Leben und gehört in praktisch jeder Nation zur Esskultur“, sagt Dr. Matthias Moser, Chef der weltweiten Food Ingredients Division. Doch nicht in jedem Land stünden den Menschen ausreichende Getreidequalitäten zur Verfügung.

Enzyme und Mikronährstoffe optimieren Brot

Deshalb wird in den Ahrensburger Laboren untersucht, wie Brot durch die Kombination spezieller Komponenten in Teigmischungen unter Zugabe von Enzymen und Mikronährstoffen haltbarer, appetitlicher, stabiler und letztlich auch preiswerter gemacht werden kann ohne Qualitäts- und Geschmacksverlust.

Große Brotschau im Back-Labor.
Große Brotschau im Back-Labor. © HA | MARCO MOOG

„Unser Erfolgsmodell basiert auf einem speziellen Verständnis für die Rohstoffe und der daraus resultierenden Anwendungsforschung“, erläutert Moser. So beschäftige man sich in einem weiteren Labor ausschließlich mit Pasta. Mehr als 350 Sorten sollen weltweit existieren. Doch immer weniger basieren auf dem klassischem Hartweizenmehl Durum.

500.000 Euro teurer Pasta-Trockenschrank im Labor

„Die nachgefragten Durum-Mengen sind am Markt schlicht nicht verfügbar“, berichtet Moser. Das sei aber auch gar nicht zwingend nötig: „Durch den Einsatz niedrigdosierter Enzyme kann die Struktur des Teigs aus Standardweizen so beeinflusst werden, dass das Geschmackserlebnis kaum getrübt wird.“ Für den Fertigungsprozess steht in dem Labor unter anderem ein 500.000 Euro teurer Trockenschrank der italienischen Maschinenschmiede Fava, über den nicht einmal die Pasta-Premiummarke Barilla verfügt.

Im Pasta-Labor untersucht Jana Russnak mehrere Nudelproben.
Im Pasta-Labor untersucht Jana Russnak mehrere Nudelproben. © HA | Julia Fabiny-Schindel

Ähnliche Erfolge verzeichnen die Lebensmitteltechniker der Stern-Wywiol Gruppe auch bei neuen Rezepturen für den allseits beliebten Ketchup, der von vielen Verbrauchern als Begleiter zu Pasta und Fleischgerichten geschätzt wird. „Tomaten braucht es für eine leckere rote Soße nicht zwingend, Papaya oder Banane eignen sich als Basis auch“, weiß Moser.

Ernährung vegan: längst schmackhafter als Tofu

Längst können die Experten bei Stern-Wywiol auch Parmesan, Bacon, Hotdogs, Chickennuggets und Burger-Patties als vegane Produkte auf Basis pflanzlicher Proteine „nachbauen“. Die sehen zwar noch immer aus, wie man sie kennt. Nur sind keine tierischen Proteine enthalten, was lange Zeit Standard war. Inzwischen haben Erbsen, Bohnen, Linsen und Getreide Fleisch und Fisch als Basiszutat abgelöst und sind dank fein abgestimmter Würzmischungen deutlich schmackhafter als Tofu.

„Ich behaupte, dass Verbraucher die Originale von unseren alternativen Kreationen geschmacklich so gut wie nicht mehr unterscheiden können“, sagt Josef Widemann, Produktentwickler Fleischalternativen bei Stern-Wywiol. Das gelte im Übrigen auch für pflanzlich basierte Weißwürste und Leberkäs, von denen er als nativer Niederbayer nun wirklich etwas verstehe.

Stern-Wywiol: 13 Tochterunternehmen und 19 Auslandsniederlassungen

Inzwischen ist es den Ahrensburger Spezialisten sogar gelungen, die feine Marmorierung von Schinken nachzuahmen, ebenso wie die Lamellenstruktur der Fischstäbchen. „Die multisensorische Wahrnehmung ist für die Akzeptanz beim Kunden ebenso essenziell wie das gewohnte Aussehen“, weiß Torsten Wywiol. Dass bereits 70 Prozent aller Speisenangebote in Uni-Mensen vegan seien, beweise seiner Ansicht nach, dass die neuen Produkte ankommen.

Mittels eines Laserschranks wird das Volumen eines Brotes gemessen.
Mittels eines Laserschranks wird das Volumen eines Brotes gemessen. © HA | MARCO MOOG

Funktionssysteme und All-in-One-Produkte wie etwa Milchpulver, die in 13 deutschen Tochterfirmen entstehen, stellen mit zwei Dritteln des Jahresumsatzes von 760 Millionen Euro die Hauptsäule des Unternehmens dar. Das restliche Drittel entfällt auf Futterzusätze und Kosmetikprodukte.

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Um das Know-how der Stern-Wywiol Gruppe auf die lokalen Erfordernisse in anderen Teilen der Welt zu adaptieren, gibt es inzwischen 19 Auslandsniederlassungen mit fast 2000 Beschäftigten. So wurden zuletzt neue Standorte in Südafrika und Kenia eröffnet. „Mit unseren mehr als 1400 Rezepturen stecken unsere Erzeugnisse in einem großen Teil der deutschlandweit pflanzlich hergestellten veganen Produkte und jedem siebten Mehl. Damit sind wir als anerkannter Innovationstreiber ein wichtiger Partner für Lebensmittelproduzenten weltweit“, sagt Torsten Wywiol.

Das beeindruckte unlängst auch Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen bei seinem Besuch in Ahrensburg. „Es ist beeindruckend zu sehen, mit welcher Innovationskraft Ideen und neue Technologien aus Schleswig-Holstein in die Welt getragen werden“, sagte Madsen. Das werde das Land weiter unterstützen, um mehr Menschen für das wichtige Zukunftsthema Ernährung zu begeistern.