Bargteheide. Waldorfschule in Bargteheide lädt für 3. Februar zum Tag der offenen Tür. Warum der Förderverein acht Millionen Euro investiert hat.
Wer von Ahrensburg kommend Bargteheide auf dem Westring umfährt, entdeckt schon bald rechter Hand einen Bau, der so gar nicht in die Landschaft zu passen scheint. Der zwei- und dreigeschossige Komplex beeindruckt vor allem durch das luftig-leicht erscheinende Tragwerk des zwölf Meter hohen Kerngebäudes, dessen Dach zum Haupteingang hin abfällt wie eine Sprungschanze. Doch in dem architektonischen Juwel residiert nicht etwa eine hippe Softwarefirma, ein Geldinstitut oder eine Krankenkasse. Der innovative Bau ist das Domizil der Freien Waldorfschule Bargteheide, der einzigen im Kreis Stormarn.
Symbiose aus architektonischer Finesse und hoher Funktionalität
Wer neugierig ist, ob sich die spektakuläre Kubatur des markanten Neubaus auch im Innenleben fortsetzt, sollte sich an diesem Sonnabend, 3. Februar, auf den Weg zur Alten Landstraße 89 F begeben. Denn dann öffnet die Waldorfschule ihre Pforten zum Tag der offenen Tür. „Von 10 bis 14 Uhr können sich die Besucher nach Herzenslust umsehen und sich dabei auch einen lebendigen Eindruck vom pädagogischen Konzept unserer Einrichtung verschaffen“, sagt Cathrin Mordass vom Leitungsteam der Schule.
Bereits die Haupthalle vermittelt eine unerwartete Großzügigkeit und Weitläufigkeit, die in der hinlänglich bekannten Architektur staatlicher Schulen ihresgleichen sucht. Sie steht zugleich für die gelungene Symbiose aus architektonischer Finesse und hoher Funktionalität.
Herzstück ist eine beeindruckende Tribünentreppe
Auf 3271 Quadratmetern Nutzfläche entfalten sich hier als „Herzstück“ des Ensembles eine beeindruckende Tribünentreppe und ebenerdig eine 68 Quadratmeter große Bühne, die als Aula, Pausenhalle und Mensa genutzt werden kann. Drumherum ordnen sich elf Klassenzimmer, vier Gruppenräume, zwei Fachklassenbereiche und vier weitere Fachräume, von denen Musik- und Eurythmieraum im Obergeschoss ein Stück in die Haupthalle ragen.
Der leitende Architekt Georg Feyerabend vom Lübecker Büro efs architekten sprach bei der offiziellen Einweihung am 15. September 2023 zwar bescheiden von einer „wertigen Schule mit hochwertigen Materialien“. Tatsächlich ist ihm aber ein imposanter Entwurf gelungen.
Eine organische und lebendige Raumgestaltung
„Ich glaube, er hat sich hier, in absolut positivem Sinne, mal richtig ausgetobt und gezeigt, wie attraktiv Schularchitektur sein kann“, sagt Myriam Schwarz, die Vorstandsvorsitzende des Betreibervereins. Verwirklicht worden sei eine organische und damit überaus lebendige Raumgestaltung. Dazu gehöre etwa, wo immer möglich, außen wie innen auf starre rechte Winkel zu verzichten.
Acht Millionen Euro hat der Förderverein dafür aufgebracht, über eine Anschubfinanzierung durch die Waldorf-Stiftung, einen Bankkredit, zahlreiche Spenden, Leih- und Schenkgemeinschaften sowie Elternbeiträge. „Es ist gut angelegtes Geld, um das pädagogische Waldorf-Konzept in einem Ort des sich Zuhausefühlens umsetzen zu können“, urteilt Peer Friese, einziger Lehrer im fünfköpfigen Vorstand des Betreibervereins.
Eurythmie ist fester Bestandteil des pädagogischen Konzepts
Dass dieses Konzept als fester Bestandteil auch die Eurythmie einschließt, was anderenorts immer wieder für klischeehafte Belustigung sorgt, ficht die Waldorfschüler längst nicht mehr an. „Ja, alle können ihren Namen tanzen“, bestätigt Cathrin Mordass. Eurythmie sei aber weit mehr als das. „Die anthroposophische Bewegungskunst, also die choreografische Verbildlichung von Buchstaben, Musik und ganzen Texten, erweitert die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten, schult das Orientierungsvermögen und verstärkt die qualitative Erlebnisfähigkeit von Sprache und Musik“, erklärt die Pädagogin.
Unlängst habe ihr ein ehemaliger Schüler berichtet, bei einem Bewerbungsgespräch darauf angesprochen worden zu sein. Grinsend habe der Personalchef nach dem Lesen der Zeugnisse angemerkt, als Absolvent einer Waldorfschule könne er doch sicher auch… „Weiter kam er allerdings nicht. Kann ich, sagte unser ehemaliger Schüler, tanzte selbstbewusst seinen Namen und wurde eingestellt“, berichtet Mordass, sichtlich amüsiert.
Ab Klasse 9 in jedem Schuljahr ein Praktikum
Ein anderer großer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung haptischer Fähigkeiten. So sind neben Eurythmie auch Fächer wie Handarbeit (Häkeln, Stricken, Sticken, Spinnen, Weben), Werken, Gartenbau und Kunst integraler Bestandteil des Lehrplans bis in die Oberstufe. Dafür gibt es spezielle Fachräume, ein Atelier zum Malen und Modellieren, eine perfekt ausgestattete Tischlerwerkstatt mit Kreissäge, Bandsäge, Fräse, Kantenschleifer, Elektrohobel und einer modernen Absaugeinrichtung, sowie einen großen Schulgarten.
„Um handwerkliche Fertigkeiten zu schulen, gibt es in jedem Schuljahr zudem ein Praktikum“, sagt Mordass. Die neunte Klasse startet mit einem dreiwöchigen Landbaupraktikum auf einem Bauernhof, der nach Möglichkeit ein Bio- oder Demeterhof sein sollte. „Dort leben und arbeiten die Schüler mit den Bauernfamilien, erleben die Naturkreisläufe hautnah und machen sich mit Ackerbau und Viehhaltung vertraut“, erklärt Mordass.
Auf der Hallig Hooge wir zwei Wochen lang kartiert
Für die zehnte Klasse steht dann erst ein Betriebspraktikum, zumeist in einem produzierenden oder einem Handwerksbetrieb, auf dem Programm. Im anderen Halbjahr geht es dann zwei Wochen auf die Hallig Hooge in der Nordsee zur Landvermessung und Kartierung, ein praktisches Lehrstück in angewandter Mathematik.
Für die Elftklässler schließt sich ein verpflichtendes Sozialpraktikum an, das in einem Altenpflegeheim, einem Krankenhaus, einem Kindergarten oder eine Sozialstation absolviert werden kann, auch und am besten im Ausland. Und die zwölfte Klasse begibt sich seit einigen Jahren auf eine zehn- bis 14-tägige Kunstreise, um dort für ihre Jahresarbeit zu recherchieren. Bevorzugte Ziele sind hier Griechenland und Italien.
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„Der mittlere Schulabschluss steht bei uns erst nach der zwölften Klasse an, so haben die Schüler mehr Zeit für ein gutes Zeugnis“, erklärt Cathrin Mordass. Anschließend bestehe die Möglichkeit sich in der 13. Klasse aufs Abitur vorzubereiten. Noten gibt es übrigens erst ab Klasse 11. Davor erhalten die Schüler in jedem Schuljahr ein Berichtszeugnis.
Gegenwärtig zählt die Waldorfschule 185 Schüler und 24 Lehrkräfte, Tendenz steigend. Es gilt längst als offenes Geheimnis, dass auch Lehrer staatlicher Schulen ihre Sprösslinge gern auf Waldorfschulen schicken. „Mit unserem Neubau hätten wir jetzt die räumlichen Kapazitäten, um bis zu 250 Schüler unterrichten zu können“, sagt Myriam Schwarz. Perspektivisch soll auch der Waldorf-Kindergarten auf das 13 Hektar große Grundstück an der Alten Landstraße ziehen.