Bad Oldesloe/Glinde. Inflation, Energiekrise und hohe Mietkosten: Beratungsstellen sind aktuell wichtiger denn je. Doch auch denen geht das Geld aus.

Für viele Menschen waren die vergangenen Jahre finanziell alles andere als einfach. Die Corona-Krise verbannte Abertausende in die Kurzarbeit, sorgte nicht nur bei Unternehmern und Selbstständigen für dramatische wirtschaftliche Einbußen. Doch auch als sich die pandemische Lage entspannte, war finanziell keine Erleichterung in Sicht.

Das Jahr 2022 brachte die größte Preissteigerung, die das wiedervereinigte Deutschland bislang erlebt hat. Inflation und Energiekrise führten zu immens gesteigerten Lebenshaltungskosten. Nebenbei steigen die Mietpreise weiter. Diese und weitere Gründe führen dazu, dass immer mehr Menschen Hilfe bei Schuldnerberatungen suchen. Sie scheinen aktuell wichtiger denn je zu sein.

Droht den Schuldnerberatungen in Stormarn die Pleite?

Doch genau denen droht auch das Geld auszugehen. Die Diakonie Schleswig-Holstein, die Träger von 18 Schuldnerberatungsstellen ist, schlägt in einem öffentlichen Brandbrief Alarm. Darin fordert der Wohlfahrtsverband dringend mehr Geld vom Land. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass Beratungsstellen ihre Angebote und Öffnungszeiten einschränken oder sogar komplett schließen müssten“, so die Diakonie.

Hintergrund sei die hohe Zahl an Ratsuchenden bei zugleich steigenden Betriebs- und Personalkosten. Die Inflation macht auch vor Schuldnerberatungen nicht Halt. Außerdem sorgen Tariferhöhungen für Kostensteigerungen. „Die Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein arbeiten am Limit“, sagt Landespastor und Diakonievorstand Heiko Naß.

Lage bei den Beratungsstellen in Glinde und Bad Oldesloe ist dramatisch

Dass die Lage auch in Stormarn prekär ist, bestätigen auf Nachfrage unserer Redaktion auch die Verantwortlichen der beiden Schuldnerberatungen in Bad Oldesloe und Glinde. „Was die Diakonie anprangert, können wir inhaltlich komplett unterschreiben“, sagt Ute Lehmann, Leiterin der Schuldnerberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bad Oldesloe.

„Die Personal- und Betriebskosten sind erheblich gestiegen“, so Lehmann. Was die Finanzierung angehe, gebe es aktuell viele Fragezeichen. Geld für die Beratungsstellen kommt unter anderem vom Kreis Stormarn. Aber: „Der Sozial- und Gesundheitsausschuss hat im vergangenen Jahr unsere Haushaltsmittel teilweise mit einem Sperrvermerk versehen“, sagt die Beratungsstellenleiterin.

Finanzierung im laufenden Jahr ist noch nicht gesichert

So lässt es sich auch im Protokoll der Sitzung vom 14. November nachlesen: „Der Erhöhungsbetrag in Höhe von 30.000 Euro wird mit einem Sperrvermerk versehen“, heißt es in der Niederschrift. Ein Sperrvermerk ist ein Haushaltsvermerk, der bestimmt, dass eine bestimmte Ausgabe so lange nicht getätigt werden darf, bis eine bestimmte Voraussetzung vorliegt. Hinzu komme, dass das Land Schleswig-Holstein als weiterer wichtiger Geldgeber noch nicht über die Förderung dieses Jahres entschieden habe. Lehmann: „Das ist eine extrem unsichere Situation für einen Träger, der fortlaufende Kosten zu bedienen hat.“

Die Lage sei deshalb enorm angespannt. „Ich bin jetzt seit 37 Jahren hier tätig und ich habe lange nicht mehr so eine Situation erlebt“, so Lehmann. Gerade in einer Situation, in der Schuldnerberatung so dringlich nötig sei, sei das mehr als problematisch. Die Anzahl der Anfragen in Bad Oldesloe sei hoch. 2023 gab es 421 Anfragen, das decke sich etwa mit den Zahlen der Vorjahre.

Die Beratungsstellen in Stormarn arbeiten am Limit

Das Telefon der Beratungsstelle steht kaum still, die Menschen rennen ihr die Türen ein. „Wir haben eine Warteliste, weil wir mit dem vorhandenen Personal nicht hinterherkommen“, so Lehmann. Im Schnitt warten Klienten zwei Monate auf einen Termin. Wenn im Akutfall Wohnungslosigkeit oder Energiesperrung drohen, bieten die Berater innerhalb von drei Tagen einen Notfalltermin an.

Diese Anfragen werden auch immer komplexer. „Die Menschen sind hochbelastet. Oft kommt es zu Sprachproblemen“, so Lehmann. „Meine Erfahrung ist auch, dass andere Beratungsdienste und Ämter ihren Beratungspflichten nicht mehr nachkommen.“ Die Möglichkeiten, im Jobcenter oder Finanzamt persönlich vorzusprechen und Dinge zu klären, nehme laut Lehmann immer weiter ab. „Deshalb kommt es immer häufiger vor, dass Menschen ihre Ansprüche nicht wahrnehmen, weil sie darüber keine Kenntnis haben.“

Bandbreite reicht von Bürgergeldempfängern zu Menschen mit hohem Einkommen

Den typischen Klienten gebe es nicht. „Wir haben die gesamte Bandbreite von Bürgergeldempfängern bis hin zu Menschen mit sehr hohem Nettoeinkommen“, so Lehmann. Mehr geworden seien in den vergangenen Jahren Schulden durch Onlineshopping. Lehmann: „Das liegt daran, dass die Menschen unheimlich viel im Internet bestellen, mit einem Klick Geld ausgeben und den Überblick verlieren.“

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Von ähnlichen Problemen – hohe Kosten bei großer Arbeitsbelastung – berichtet auch Tina Rehder, Schuldnerberaterin bei der Beratungsstelle der Sönke-Nissen-Park Stiftung in Glinde. „Die Situation ist mehr als angespannt“, sagt sie. „Die Zahl der Ratsuchenden ist deutlich gestiegen.“ Etwa 350 Anfragen erreichen die Schuldnerberatung pro Jahr.

Die Zahl der nicht wahrgenommenen Termine ist zurückgegangen

Aufgefallen sei, dass die Zahl der nicht wahrgenommenen Termine, „die sich eigentlich durch das Leben eines Schuldnerberaters ziehen“, deutlich zurückgegangen sei. Sprich: „Die Menschen wollen unbedingt etwas gegen ihre Situation tun“, so Rehder. Auch das Thema ältere Menschen und Schulden reiße nicht ab. Komplexe Anfragen und Sprachbarrieren seien auch in Glinde an der Tagesordnung. Rehder: „Sprachprobleme führen auch dazu, dass Menschen Dinge unterschreiben, die sie nicht wirklich verstanden haben.“

Auch in Glinde arbeiten die Schuldnerberater am Limit, auch dort drohe das Geld auszugehen. Rehder: „Die Budgets von Kreis und Land sind limitiert und werden nicht den real gestiegenen Kosten angepasst. So entsteht eine Schere, die immer weiter auseinandergeht.“ Dass die Finanzierung vom Land für 2024 noch nicht gesichert sei, treibe die Beratungsstelle ebenfalls um. Die Diakonie Schleswig-Holstein fordert, dass das Budget so angehoben wird, dass die Kostensteigerungen durch Inflation und Tariferhöhungen ausgeglichen werden.

Tina Rehder und Ute Lehmann sind sich in ihrer Forderung jedenfalls einig: „Wir brauchen eine gesicherte Finanzierung“, so Lehmann. „Von einer Ausweitung will ich gar nicht sprechen, obwohl man die Beratungsstellen eigentlich auch personell verstärken müsste. Aber das Minimum ist, dass man das, was man über Jahrzehnte aufgebaut hat, nicht weiter kaputt macht. Das wäre fatal.“