Glinde/Hallig Hooge. Seit dem Spätsommer unterrichtet Anja Ley aus Glinde an der Zwergenschule in der Nordsee. Ihr Leben hat sich seitdem stark verändert.
Es war ein buchstäblich stürmischer Start, den Anja Ley bei ihrem Umzug auf die Hallig Hooge erlebt hat. Am 9. August begann für die Lehrerin aus Glinde, die zuvor an einer Grundschule in Hamburg-Billstedt unterrichtet hatte, ein neues Leben. Gemeinsam mit ihrem Mann Knut Ley und ihrem Labrador zog die 58-Jährige auf die kleine Hallig im nordfriesischen Wattenmeer.
Dort ist sie seit dem Spätsommer Lehrerin der inseleigenen Zwergenschule. Elf Schüler aus sieben Klassenstufen besuchen die Schule aktuell. Knapp fünf Monate sind seitdem vergangen. Was seit dem Umzug passiert ist, ob sie sich gut eingelebt hat und warum sie zunächst mit skeptischen Blicken beäugt wurde, hat Anja Ley im Gespräch mit unserer Redaktion verraten.
Das Leben hat sich auf die Hallig Hooge stark verändert
„Mein Leben hat sich natürlich dramatisch dadurch verändert, dass es von der belebten Großstadt auf eine ruhige Hallig ging“, sagt Ley. Am Tag des Umzuges Anfang August seien sie und ihr Mann stürmisch begrüßt worden. „Es war richtiger Sturm, als wir ankamen“, so Ley. „Unsere Umzugsfirma hat das erstklassig gemeistert, obwohl es mehr als kompliziert war.“ Zeitdruck hatten die Helfer nämlich auch, mussten sie doch rechtzeitig die Fähre zum Festland bekommen.
Nachdem diese Hürde genommen war, begann Leys Berufsleben auf der Hallig Hooge mit der Einschulung eines Erstklässlers. „Das war eine total romantische Angelegenheit.“ In der St.-Johannis-Kirche auf der Kirchwarft der Hallig Hooge wurde Gottesdienst gefeiert. Ley: „Dann ist die Schulgemeinschaft mit einer Kutsche zur Schule gefahren worden. Das war ein sehr schönes erstes Event.“
Alle Schüler waren neugierig, wie die Neue wohl ist
Danach ging der Alltag in der kleinen Schule so richtig los. „Alle waren neugierig, wie die Neue wohl ist“, sagt Anja Ley. Auch über ein bisschen Schmerz über den Weggang der alten Lehrerin habe Ley hinwegtrösten müssen. Mittlerweile seien sie und die Schüler richtig zusammengewachsen, haben im November die erste gemeinsame Klassenfahrt unternommen. Die überwiegende Zahl der Schüler komme aus zugezogenen Familien, drei von ihnen seien gebürtig von der Hallig Hooge.
Und: „Ich bin als Lehrerin zum Glück nicht allein“, sagt Ley. „Ich habe immer Unterstützung von wechselnden Kollegen mit befristeten Verträgen, die jeweils für ungefähr sechs Monate bleiben.“ Das seien zum Beispiel Lehrämtler mit abgeschlossenem Studium, die auf den Beginn ihres Referendariats warteten. Außerdem sei eine Freiwilligendienstlerin mit an Bord. „Dadurch, dass so viele Klassenstufen zeitgleich unterrichtet werden, könnte ich das allein gar nicht leisten.“
Mit der Unterrichtsvorbereitung verbringt Anja Ley viel Zeit
„Die Unterrichtsvorbereitung ist intensiv. Ich verbringe sehr viel Zeit damit“, so Ley. Nicht nur müsse jeder Schüler je nach Klassenstufe und Lernstand unterschiedlich beschult werden. Da sie zuvor an einer Grundschule unterrichtet habe, müsse sie sich in den Unterricht für die älteren Schüler ganz neu reinfuchsen, Material neu erarbeiten. Sie unterrichtet in der Zwergenschule Deutsch, Mathematik, Kunst und Philosophie, die übrigen Fächer übernimmt der Kollege.
Obwohl sie viel zu tun habe, spüre sie den Stress der Großstadt, dem sie bewusst entfliehen wollte, heute nicht mehr. „An meiner vorherigen Schule waren 400 Schüler“, so Ley. „Da kam ständig jemand und wollte etwas von mir, ich konnte kaum eine Minute durchatmen. Zudem herrschte dort natürlich ständig ein hoher Lärmpegel.“
Auf der Zwergenschule kann Anja Ley auf jeden einzelnen Schüler eingehen
Auf der kleinen Schule gehe es ruhiger zu. Ley: „Außerdem herrscht ein intensiveres Miteinander, genau das hatte ich mir gewünscht. Ich kann echte Beziehungsarbeit machen und viel besser auf die einzelnen Schüler eingehen.“ Wuselig und chaotisch sei es natürlich auch manchmal, solange alle noch in der Findungsphase sind. „Aber es herrscht eine schöne Schulgemeinschaft. Es macht mir große Freude und ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagt die Lehrerin.
Eingezogen sind Anja Ley, Mann und Hund in eine Lehrerwohnung direkt im Schulgebäude. „Ich brauche nur eine Tür aufmachen und bin in der Schule – kürzester Arbeitsweg aller Zeiten“, so die Lehrerin. Der Labradorwelpe, den sich das Paar extra für die Hallig angeschafft hatte, sei mittlerweile groß und stark. „Wir machen stundenlange Spaziergänge am Wasser“, so die 58-Jährige.
Anja Ley und ihr Mann sind herzlich von den Einwohnern aufgenommen worden
Von der Gemeinschaft auf der Hallig seien sie und ihr Mann herzlich aufgenommen worden. Anja Ley genießt, dort nun wieder platt sprechen zu können. Beide engagieren sich in der Kirche. „Wir sind auch auf Festen und Veranstaltungen dabei und versuchen uns da einzubringen“, sagt Anja Ley. Ihr Mann helfe aktuell dabei, Glasfaser auf der Insel zu installieren. „Dadurch bekommt er auch Kontakt zu den Leuten“, sagt Ley.
Etwa 80 Menschen leben aktuell auf der Hallig Hooge. Das Gefühl, dass hier jeder jeden kenne, sei schon mehr zu spüren als auf dem Festland. Aber: „Man trifft sich doch gar nicht so oft, wie man sich das vielleicht vorstellt.“ Eine Hallig unterscheidet sich von einer Insel in der Sache, dass Halligen bei Sturmfluten überspült werden. Die Häuser dort stehen auf Warften, also Siedlungshügeln, um die Menschen vor dem Wasser zu schützen.
Auf jeder der zehn Warften stehen drei bis zwölf Häuser
„Es gibt hier zehn Warften“, sagt Anja Ley. Auf jeder Warft stehen zwischen drei und zwölf Häuser. Menschen, die weniger die Gemeinschaft suchen und auf anderen Warften leben, bekomme sie deshalb auch nicht allzu häufig zu Gesicht. Ley: „Ich würde schon sagen, dass ich mittlerweile alle Menschen hier kenne, aber manche eben nur vom Sehen.“
Ihre ersten „Land unter“ auf der Hallig hat Anja Ley bereits erlebt. „Im Herbst gab es das und im Dezember hatten wir unsere erste Sturmflut. Da war von der Schaukel nur noch die oberste Spitze zu sehen. Land unter ist etwas ganz Besonderes, die Atmosphäre kann man kaum beschreiben. Manchen Menschen macht es Angst, aber ich liebe es. Es kommt so eine Stille auf die Hallig.“
Anja Ley: „Ich habe gar nicht das Bedürfnis, aufs Festland zu fahren“
Wenn sie mal nicht arbeitet, genießt Anja Ley ihre Freizeit auf der Hallig Hooge. „Ich habe gar nicht das Bedürfnis, aufs Festland zu fahren“, sagt sie. „Die Landschaft und das Meer machen etwas mit einem. Es ist eine wahnsinnige Weite hier. Das empfinde ich als ein riesengroßes Geschenk.“ Auch die Zweisamkeit mit ihrem Mann, die früher öfter zu kurz kam, genieße sie.
Ihre Hobbys regelmäßig auszuüben, klappe mal mehr, mal weniger gut. Unter anderem hatte sich das Paar für die Insel eine Fotoausrüstung zugelegt. Außerdem singt, malt und liest Anja Ley gerne, auch Sport ist Teil ihres Lebens. „An den Wochenenden nutze ich zum Beispiel manchmal unsere kleine Turnhalle in der Schule, um dort meine Gymnastikübungen zu machen. Das ist natürlich großer Luxus. Da drehe ich dann die Musik auf und kann abschalten.“
Manchmal vermisst die Lehrerin ihr altes Schulteam in Billstedt
Bei allem, was ihr neues Leben auf der Hallig Hooge ihr geschenkt hat: „Manchmal vermisse ich mein Schulteam aus Hamburg“, sagt Ley. „Als ich neu hierhergekommen bin, wurde ich schon erst einmal kritisch beäugt und hatte kein Vorschussvertrauen. Wenn man so ein alter Hase ist wie ich, ist es schon komisch, auf dem Prüfstand zu stehen und dass sich die Leute fragen: Kann die was oder kann die nichts?“
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Um das auszuhalten, sei Selbstvertrauen wichtig. „Man muss gefestigt sein“, so Ley. Öfter habe sie von den Menschen auf der Hallig auch den Spruch gehört: „Ach, die geht doch bald sowieso wieder.“ Das sei indes keineswegs der Plan – im Gegenteil. „Für mich ist ganz klar: Ich bin jetzt hier, ich fühle mich wohl und ich möchte bleiben“, so Ley.
Anja Ley möchte mindestens bis zu ihrem Ruhestand auf der Hallig Hooge bleiben
In knapp neun Jahren wird sie in den Ruhestand gehen. „Die Jahre bis dahin möchte ich auf der Hallig verbringen. Es geht hier ja nicht nur um mich. Ich habe mit der Entscheidung für die Halligschule auch eine Entscheidung für die Menschen in dieser Schule getroffen und damit eine Verantwortung übernommen, dafür, dass diese jungen Menschen einen bestmöglichen Schulabschluss erlangen“, sagt die Lehrerin. Dafür sei Kontinuität wichtig. „Häufige Lehrerwechsel, wie es sie in der Vergangenheit schon gegeben hat, sind eine extreme Belastung für das Lernen.“
Das wolle Anja Ley vermeiden. Aber auch im Ruhestand möchte das Paar weiterhin auf der Hallig Hooge bleiben, „sofern wir hier Wohnraum finden“. Denn die Lehrerwohnung muss dann geräumt werden. Ley: „Ansonsten haben wir uns Husum als Wahlheimat ausgeguckt.“