Bargteheide. Warum die vielen Toten in der Ukraine und in Israel die neue, junge Pastorin in Bargteheide besonders erschüttern.

Der Einführungs-Gottesdienst als neue Pastorin in Bargteheide Anfang November war für Pauline Chanda wie ein großes Versprechen. „Die Kirche war voll, die Menschen begegneten mir überaus herzlich und aufgeschlossen, aber auch erwartungsvoll und neugierig. Das hat mir ein gutes, glückliches Gefühl verschafft, ich bin wirklich mit offenen Armen empfangen worden“, berichtet die 30-Jährige dieser Redaktion. Sie freue sich nach sieben Jahren Studium, dem Vikariat in Lübeck-Moisling und dem zweiten Theologischen Examen auf die kommenden drei Jahre Probedienst in Bargteheide.

Berührende Begegnungen in Transkarpatien

Aufgewachsen ist die in Wismar geborene Norddeutsche, die mit einem Webentwickler aus Sambia verheiratet ist, an der mecklenburgischen Ostseeküste, in Neubukow, einer Kleinstadt im Nordwesten des Landkreises Rostock. „Religion hat in unserer Familie immer eine bedeutende Rolle gespielt, das hat mich geprägt“, sagt Pauline Chanda.

Früh zog es die leidenschaftliche Theologin hinaus in die Welt. Nach dem Abitur lebte sie für ein diakonisches Jahr in Transkarpatien. Die Oblast im äußersten Westen der Ukraine wird nicht nur von Ukrainern bewohnt, sondern entlang der Grenze zu Ungarn auch von einer ungarischen Minderheit.

Zerbombte Plätze in Odessa und Kiew selbst besucht

„Einige der Einheimischen leben dort in einfachen, ländlich geprägten Verhältnissen, sind aber unfassbar aufgeschlossen und gastfreundlich“, berichtet Chanda. Selbst die Alten, die das Wüten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg hautnah erlebten. „Sie haben mich mit ihrem festen Glauben tief beeindruckt und haben reflektiert, dass ich einer anderen Generation angehöre“, sagt Pauline Chanda.

Die neue Pastorin der evangelischen Kirchengemeinde an ihrer neuen Wirkungsstätte in der Bargteheider Kirche.
Die neue Pastorin der evangelischen Kirchengemeinde an ihrer neuen Wirkungsstätte in der Bargteheider Kirche. © HA | Lutz Kastendieck

Deshalb liebe sie dieses Land und seine Menschen aus tiefstem Herzen. So sehr, dass sie noch Jahre später immer wieder in die Ukraine zurückgekehrt sei. Umso mehr habe sie dann der russische Überfall erschüttert: „Ich sitze oft fassungslos vor dem Fernseher, wenn Filmberichte von zerbombten Plätzen in Odessa und Kiew gezeigt werden, die ich selbst besucht habe. Und versuche dann zu begreifen, warum sich Geschichte unter anderen Vorzeichen nun wiederholt.“

Chanda hat selbst eine Ukrainerin aufgenommen

Noch immer hält die junge Pastorin engen Kontakt in die Ukraine. „Ich höre von vielen Flüchtlingen, die in den Westen des Landes geflohen sind, der vom Krieg bislang weitgehend verschont geblieben ist“, erzählt sie. Am furchtbarsten seien aber die Berichte über die vielen jungen Männer aus transkarpatischen Dörfern, die als Soldaten an die Front gezogen und dort zum Teil auch gestorben sind.

Um sich selbst in der Flüchtlingshilfe zu engagieren, hat Pauline Chanda während ihres Vikariats in Lübeck eine Ukrainerin aufgenommen, deren Söhne daheim ebenfalls die Heimat verteidigen. „Wir haben zusammen gekocht, gehofft und gebetet, bis sie eine eigene Wohnung beziehen konnte“, erzählt sie.

Pastorin kann sich in sieben Sprachen verständigen

In dieser Zeit sei ihr einmal mehr bewusst geworden, wie sehr Sprachen verbinden und in doppeltem Wortsinn dafür sorgen, einander zu verstehen: „Sprachen ermöglichen einen ganz anderen Zugang zu Menschen, eröffnen neue Welten, weiten den eigenen Horizont. So viele Sprachen du sprichst, so viele Menschen bist du selbst, heißt es doch.“

Pauline Chanda vor dem Portal der Kirche.
Pauline Chanda vor dem Portal der Kirche. © HA | Julius Jordan

Das gilt für Pauline Chanda in besonderem Maße. Neben Englisch, Französisch, Spanisch und Ungarisch hat sie sich im Verlaufe ihres Theologie-Studiums auch Latein, Altgriechisch und Hebräisch angeeignet. Unter anderem in Jerusalem, wo sie 2017 ein ganzes Jahr an der Hebräischen Universität studiert hat.

Weltreligionen sorgen in Heiliger Stadt für magische Melange

„Natürlich ist die Heilige Stadt dreier Weltreligionen, die ich zuvor auch privat mehrfach besucht hatte, ein ganz wichtiger Ort in meinem Leben. Jerusalem hat mir jeden Tag gezeigt, dass das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen möglich ist. Beim Einkaufen auf dem Markt hat es überhaupt keine Rolle gespielt, ob du Jude, Muslim oder Christ bist“, sagt Chanda.

Die islamischen Gebetsrufe des Muezzins, das Läuten zum jüdischen Schabbat, die Glocken der christlichen Kirchen, das alles habe für sie eine magische Melange ergeben, der man sich nur schwer entziehen könne und ein Leben lang nachhalle. Dennoch sei sie sich des schwelenden Nahost-Konflikts immer bewusst gewesen.

Zivile Opfer in Gaza dürfen nicht ausgeblendet werden

Der brutale und durch nichts zu rechtfertigende Überfall der radikal-islamischen Hamas auf israelische Siedlungen jenseits des Gazastreifens habe sie dennoch geschockt. Er sei ein „herber Rückschlag“ im zähen Ringen um eine friedliche Lösung, bei der das Existenzrecht Israels nicht infrage gestellt werden dürfe.

Irritierend finde sie indes das oft einseitige Beklagen der Opfer, die es schließlich auf beiden Seiten gebe. „Die Opfer sind immer Menschen, egal ob es sich dabei um Israelis oder Palästinenser handelt, da sollten keine Unterschiede gemacht werden“, sagt Chanda. Trotz der vielen Toten in Israel dürften die zahlreichen zivilen Opfer im Gazastreifen und das Leid dessen Bewohner nicht ausgeblendet werden.

Kriegerische Konflikte taugen nicht für Pauschalisierungen

„Völker und Nationen taugen in solch einem Konflikt nicht für Pauschalisierungen“, ist Chanda überzeugt. Jenseits der schlimmen Bilder in den Medien gebe es ihrer Ansicht nach auf beiden Seiten eine große Sehnsucht nach Frieden. Dafür müssten aber alle Optionen betrachtet und abgewogen werden. Selbst in Israel würden schließlich Siedlungspolitik und Justizreform von immer mehr Menschen kritisch hinterfragt.

Angesichts der opferreichen kriegerischen Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten freut sich Pauline Chanda umso mehr auf die bevorstehende Adventszeit und Weihnachten. „Es ist eines der wichtigsten christlichen Feste überhaupt: Gott wird Mensch durch Christi Geburt, das hat eine große gesellschaftlich und kulturell prägende Kraft, daraus erwachsen Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft“, beschreibt sie die besondere Bedeutung.

Die will sie besonders Kindern durch das Fortführen der Weihnachtskoffer nahebringen, ein Herzensprojekt ihres Vorgängers Jan Roßmanek. Gefüllt sind sie mit Figuren und Spielzeug zur Weihnachtsgeschichte. „Die schulkooperative Arbeit, zu der künftig auch wieder vier Schulgottesdienste pro Jahr gehören sollen, liegt mir besonders am Herzen“, sagt Bargteheides neue Pastorin.

Mit ihrem Kollegen Julius Jordan wird sie auch den Gottesdienst mit viel festlicher Musik am ersten Weihnachtsfeiertag gestalten, der diesmal von NDR Info am 25. Dezember ab 10 Uhr sogar live übertragen wird. „Darauf freue ich mich schon sehr, denn die Kirche wird dann bestimmt wieder voll sein. Weil Religion und Glaube immer Relevanz haben und das Resonanzversprechen auf eine lebendige Gottesbeziehung in dieser Zeit besonders groß ist“, sagt Pauline Chanda.