Ahrensburg. War ein „neurologischer Notfall“ Ursache der Irrfahrt eines 84-Jährigen auf den Schienen? Der Vorfall bei Ahrensburg befeuert eine Debatte.

Es ist ein kurioser Vorfall, der einen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt: Am Montagabend ist ein 84 Jahre alter Hamburger mit seinem Hyundai vom Ahrensburger Ostring auf das nahe U-Bahn-Gleis geraten. Und damit nicht genug: Der Senior setzte seine Fahrt auf den Schienen fort und legte noch rund 500 Meter zurück. Der Zugführer einer Bahn der Linie U1 bemerkte das Auto, das ihm entgegenkam, und reagierte geistesgegenwärtig. Er bremste und konnte gerade noch rechtzeitig eine Kollision verhindern. Die sieben Fahrgäste in der Bahn blieben unverletzt.

Es ist ein Vorfall, der auch die gerade entbrannte Debatte um Fahrtauglichkeitsprüfungen für ältere Verkehrsteilnehmer befeuern dürfte. Er ereignete sich auf dem Abschnitt zwischen den U1-Stationen Schmalenbeck und Ahrensburg Ost. Während der Bergungsarbeiten war die Strecke zwischen den Haltestellen Ahrensburg-West und Großhansdorf gesperrt. Ein Ersatzverkehr mit Bussen und Taxis war bis zum Betriebsschluss eingerichtet worden.

Kurioser Unfall im HVV: Senior fährt auf U-Bahn-Gleise und legt etwa 500 Meter zurück

Die Feuerwehr Ahrensburg war mit rund 30 Einsatzkräften vor Ort. „Als wir ankamen, standen das Auto und die U-Bahn einander fast direkt gegenüber“, sagt Einsatzleiter und Ortswehrführer Jan Haarländer. Der Senior und der Zugführer standen beim Eintreffen der Feuerwehr laut Haarländer im Gleisbett. Der ältere Herr sei ansprechbar gewesen. Er wurde dem Rettungsdienst übergeben.

Die Bahnfahrgäste wurden von den Feuerwehrleuten zu Fuß zur U-Bahn-Station Schmalenbeck begleitet. Haarländer: „Danach haben wir geprüft, ob wir als Feuerwehr das Auto aus dem Gleis bergen können. Das stellte sich aber als nicht möglich heraus.“ Gegen 20.30 Uhr rückte die Feuerwehr wieder ab.

Der Zugführer der U-Bahn konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, um eine Kollision zu verhindern.
Der Zugführer der U-Bahn konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, um eine Kollision zu verhindern. © Leimig

Für die Bergungsarbeiten wurde eine private Firma beauftragt. Die Arbeiten dauerten bis 4 Uhr am Mittwochmorgen an und gestalteten sich schwierig, weil das Auto verkantet war. Mit einem Kran wurde es aus dem Gleisbett gehoben. Auf dem Streckenabschnitt war zuvor der Strom abgeschaltet worden.

Es entstanden keine schwerwiegenden Schäden im Gleisbereich, sodass nach Bergung der U-Bahn-Verkehr zum Betriebsbeginn wieder aufgenommen werden konnte“, sagte Hochbahn-Sprecherin Constanze Salgues auf Anfrage unserer Redaktion.

U-Bahn-Zugführer handelte geistesgegenwärtig und konnte Kollision verhindern

Dass eine Kollision verhindert werden konnte, ist laut Salgues einem Zusammenspiel von achtsamem Handeln des Zugführers und technischen Gegebenheiten zu verdanken. „Unser U-Bahn-System verfügt über mehrere Sicherheitseinrichtungen wie zum Beispiel Gleisfreimelde- und Signalanlagen. Gleichzeitig werden Zugfahrerinnen und Zugfahrer während ihrer Ausbildung immer auch für mögliche Vorfälle sensibilisiert und fahren grundsätzlich vorausschauend – unterstützt von der Zugsicherungstechnik. Diesem Verhalten ist es zu verdanken, dass bei dem Vorfall niemand zu Schaden kam“, so die Sprecherin.

Die Feuerwehr Ahrensburg war mit etwa 30 Einsatzkräften vor Ort.
Die Feuerwehr Ahrensburg war mit etwa 30 Einsatzkräften vor Ort. © Leimig

Wie es zu dem Unfall kommen konnte, ermittelt nun die Polizei. Derzeit gehe sie von einem neurologischen Notfall aus. „Das war die erste Einschätzung des Personals im Krankenwagen vor Ort“, so Sandra Kilian, Sprecherin der Polizeidirektion Ratzeburg. „Das bedeutet konkret, der Mann könnte verschiedene Ausfallerscheinungen gehabt haben, zum Beispiel verwirrt gewesen sein oder nicht gewusst haben, wer er ist.“

Der 84 Jahre alte Mann aus Hamburg wurde ins Krankenhaus gebracht

Der Mann wurde ins Krankenhaus gebracht. Wie es ihm aktuell geht, dazu konnte Sandra Kilian auf Anfrage unserer Redaktion keine Angaben machen. Auch zu seinem Zustand vor dem Unfall – ob er gesund war oder unter Beeinträchtigungen wie Demenz litt – liegen der Polizei laut Kilian keine Informationen vor.

Die Feuerwehr Ahrensburg konnte das Auto nicht bergen, weil es zu stark verkantet war. Die Hochbahn beauftragte eine Firma mit den Arbeiten.
Die Feuerwehr Ahrensburg konnte das Auto nicht bergen, weil es zu stark verkantet war. Die Hochbahn beauftragte eine Firma mit den Arbeiten. © Leimig

Welche Konsequenzen auf den Mann zukommen und ob ihm der Führerschein entzogen wird, ist laut Kilian noch völlig unklar und Gegenstand der laufenden Ermittlungen. „Die Polizei wird untersuchen, wie es dazu kommen konnte, dass der Mann auf die Gleise gefahren ist“, so Kilian. Daraus ergeben sich die Konsequenzen.

Polizei ermittelt: Verliert der Mann seinen Führerschein?

„Wenn der Mann zum Beispiel an einer Krankheit leidet und seine Medikamente einmal nicht eingenommen hat, handelt es sich um einen kurzfristigen Ausfall, der noch nicht automatisch zum Verlust des Führerscheins führt“, so Kilian. Sollte der Mann dauerhaft unter Aussetzern leiden und dies nun durch den Unfall bekannt geworden sein, könne die Führerscheinstelle ihn zu einer Untersuchung einbestellen, während der dann die Fahrtauglichkeit geprüft wird. Kilian: „Das ist aber nicht Aufgabe der Polizei, sie liefert nur Hinweise.“

Auch sei noch unklar, ob gegen den Mann ein Verfahren eingeleitet wird. „Es kann sein, dass er absichtlich auf die Gleise gefahren ist, er kann aber auch geblendet worden sein, unter Stress gestanden haben oder gesundheitlich beeinträchtigt gewesen sein“, so Kilian. „Das alles wissen wir erst, nachdem wir mit ihm haben sprechen können. Das ist schwierig, solange er noch im Krankenhaus ist.“

Dass der Mann fahrlässig gehandelt habe, sei aktuell ebenso denkbar wie dass er nichts für den Unfall kann. „Aus der Unfallursache ergeben sich weitere Maßnahmen“, so Kilian.

Europäische Union will Fahrtauglichkeitstests für Senioren ab 70 Jahren einführen

Der Vorfall wirft erneut die Frage auf, ob Senioren sich ab einem bestimmten Alter einer Fahrtauglichkeitsprüfung unterziehen sollten. Die Europäische Union hat Mitte des Jahres entsprechende Pläne vorgestellt, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen und die Zahl der Verkehrstoten zu senken. Demnach sollen sich Inhaberinnen und Inhaber eines Führerscheins ab einem Alter von 70 Jahren alle fünf Jahre einem Fahrtauglichkeitstest unterziehen.

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Den Mitgliedsstaaten soll überlassen bleiben, ob sie den Vorschlag umsetzen und ob die Tests freiwillig oder verpflichtend sind. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprach sich zuletzt gegen die Pläne der EU aus. Er traue es den Senioren zu, sich ohne Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinanderzusetzen.

In Deutschland ist der Führerschein bislang ein Leben lang gültig

Bislang ist der Pkw-Führerschein in Deutschland ohne Auffrischung ein Leben lang gültig. Das ist in vielen anderen europäischen Nachbarländern anders. Regelmäßige Fahrtauglichkeitsüberprüfungen im Alter sind in den Niederlanden, Dänemark, Italien, Spanien, Portugal, Tschechien und der Schweiz Pflicht.

Hierzulande verbietet kein Gesetz Senioren das Autofahren. Das Straßenverkehrsgesetz enthält aber einen Paragrafen zur Fahreignung. Demnach darf nur Auto fahren, wer „die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“ Wer nachweislich ungeeignet ist, dem kann der Führerschein entzogen werden.