Reinbek. Die Nager breiten sich in der Stadt munter weiter aus. Schuld daran könnten die vielen falsch befüllten, übervollen Mülltonnen sein.

Müll und Ratten – das ist in Reinbek offenbar nicht nur ein Problem rund um den Buchenweg. Nach unserem Bericht meldeten sich nun weitere Reinbeker, die über große Probleme mit den kleinen Nagern klagen. So betont eine Facebook-Nutzerin in einer Reinbek-Gruppe, dass die Tiere überall sind, insbesondere rund ums Freizeitbad und den Sportpark. Andere berichten von Sichtungen in Hinschendorf.

In unserer Redaktion meldete sich Matthias Ahrens, Anwohner am Eichenbusch. „Auch bei uns ist das Rattenproblem immens“, sagt der 68-Jährige.

Überquellende Mülltonnen ziehen Ratten an – Mieter fühlen sich alleingelassen

Seit 40 Jahren lebt der Reinbeker in einem der Wohnblocks aus den 60er-Jahren und fühlte sich die allermeiste Zeit wohl hier. Vor rund zwei Jahren aber änderte sich das. „Unser allergrößtes Problem ist der Müll“, sagt Ahrens. Und meint damit überquellende Tonnen, auch weil sie wegen Falschbefüllung nicht abgeholt werden – so wie an diesem Freitagmorgen.

Als Nächstes werde wohl die braune Tonne stehen bleiben, vermutet Ahrens, als er einen Blick hineinwirft und Plastiktüten entdeckt. „Die nächsten Tage werden die Leute dann ihre Mülltüten wieder auf die Tonnen legen und daneben stellen. Das zieht Krähen und Ratten an“, weiß Ahrens. Ein Teufelskreis, den der Mieter zusammen mit anderen Nachbarn gern durchbrechen will, aber nicht weiß wie. Sie fühlen sich alleingelassen.

Im August hatten die Tiere, die Krankheiten übertragen, genügend Zeit, sich zu vermehren, denn da war das Nahrungsangebot groß. „Fünf Wochen lang wurde da der Müll nicht abgeholt“, sagt Ahrens. Und das, obwohl bereits ein durch die Verwaltung beauftragter Abfallmanager regelmäßig einen Blick in die Tonnen wirft. „Doch wenn kurz vor der Abholung eine Mülltüte wieder in der falschen Tonne landet, dann ist die ganze Überwachung hinfällig“, sagt Ahrens, der es als ungerecht empfindet, wenn wenige den Müll nicht ordentlich trennen, aber alle bestraft werden.

In großen Wohnanlagen wird Müll öfter falsch sortiert

Den Unmut der Anwohner könne er gut verstehen, sagt Jens Göhner, Geschäftsführer der Firma Willi Damm, die im Auftrag der Abfallwirtschaft Südholstein die Entsorgung in Reinbek übernommen hat. Dass Tonnen stehen gelassen werden, komme immer mal wieder vor, sagt Göhner, weil der Müll sonst nicht durch die Sortieranlage passt. Erst wenn sie nachsortiert wurden, werden die Tonnen auch entleert. Dafür allerdings sind nicht seine Müllwerker, sondern die Eigentümer selbst verantwortlich. Zwischen zehn und 30 Prozent der Müllmengen, so ganz genau könne er das nicht sagen, landen in der falschen Tonne.

In großen Wohnanlagen trete das Problem häufiger auf, denn hier fehle es durch die Anonymität an sozialer Kontrolle. Zudem stellen die Verwalter meist zu kleine Mülltonnen für immer weiter steigend Abfallmengen auf. Allein an Verpackungsmüll (grüner Punkt) sammeln seine Müllwerker 1900 Tonnen im Kreis Stormarn und Kreis Herzogtum-Lauenburg pro Jahr ein.

Anonymität ist das eine Problem, Unwissenheit und Gleichgültigkeit aufseiten der Nachbarn das andere. Wie schon am Buchenweg hat sich die Mieterstruktur in den vergangenen Jahren verändert, haben viele Geflüchtete hier ein neues Zuhause gefunden. „Ich vermute, dass die das komplizierte deutsche Mülltrennsystem noch nicht verstanden haben“, sagt Ahrens. Eine Vermutung, die bereits Rolf Woyde aus dem Buchenweg geäußert hat, als er auf das Rattenproblem aufmerksam gemacht hat.

Deutsches Mülltrennsystem spielt in Integrationskursen kaum eine Rolle

Dass den Deutschen Sauberkeit viel bedeutet, lernen die Teilnehmer in den Reinbeker Integrationskursen. Aktuell rund 100 Geflüchtete aus der ganzen Welt, vor allem aber aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine, lernen in der Volkshochschule neben der deutschen Sprache auch einiges über das Leben in Deutschland, sagt Simon Bauer, Leiter der Volkshochschule. „Mülltrennung spielt bisher aber nur eine ganz kleine Rolle und nimmt maximal eine von 100 Stunden ein.“ Der Mülltrennung mehr Zeit einzuräumen, sei aber durchaus eine Überlegung wert, wenn es der Integration und dem friedlichen Miteinander hilft.

Ein Ansatz, den Mieter Ahrens sehr begrüßen würde. Er schlägt vor, Infoblätter in verschiedenen Sprachen in den Hausfluren aufzuhängen. Das allerdings sei Aufgabe des Verwalters.

Mieter fühlen sich alleingelassen: Verwalter nicht erreichbar

Und das ist das nächste und wohl größte Problem bei den Wohnanlagen in Reinbek-West: einen Ansprechpartner zu finden. Das ist – wie im Buchenweg ebenfalls – die Industria Wohnen in Frankfurt am Main. „Da allerdings erreicht man niemanden, bleiben Mails unbeantwortet“, sagt Ahrens entnervt. Eine erneute offizielle Presseanfrage ließ das Unternehmen unbeantwortet.

Der beauftragte Hausmeisterservice, der Dienstleister Gunter aus Hamburg, will sich zum Müll- und Rattenthema gegenüber der Presse nicht äußern und verweist wiederum an die Industria Wohnen. „Und die Stadt hält sich aus allem raus und pocht auf die Pflicht der Eigentümer. Frustrierend ist das“, sagt Ahrens, der sich eigentlich nicht damit abfinden will, dass das einst so vorzeigbare Wohnviertel verkommt und sich die Ratten immer mehr ausbreiten.

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Wie berichtet, war das bis Ende 2010 noch anders. Da war die Rattenbekämpfung noch kommunale Aufgabe, konnten auch Privateigentümer auf Kosten der Stadt einen Kammerjäger suchen. Nach einer Verordnung des Kreises stellte die Stadt diesen Service ein, vermutlich um Kosten zu sparen (9200 Euro) und hat die Pflicht der Rattenbekämpfung den Grundeigentümern auferlegt.

„In unseren Augen war das ein gravierender Fehler. Die jetzige Rattenplage ist ein „Übel mit Ansage“. Es reicht schon, wenn ein einziger Grundeigentümer dieser Pflicht nicht nachkommt und quasi eine „Rattenzucht“ zulässt, dann haben im großen Umkreis die anderen drumherum keine Chance, die von dort immer wieder neu nachkommende Ratten wirksam zu bekämpfen“, schreibt ein Leser, der anonym bleiben möchte, und spricht damit vielen Reinbekern aus dem Herzen.