Reinbek. Immer öfter huschen die Nager auch tagsüber über die Straßen rund um die Wohnstraße. Anwohner sind genervt. Ist Müll das Problem?

Rolf Woyde ist froh, dass seine Wohnung an der Bogenstraße in Reinbek im dritten Stock liegt. So kann sich der 79-Jährige unbesorgt auf den Balkon setzen. „Viele, die in den Erdgeschosswohnungen drum herum leben, können das nicht“, sagt der Rentner. „Denn die haben Angst davor, dass ihnen eine Ratte über den Schoß läuft“, weiß Woyde aus vielen Gesprächen mit den Nachbarn. Schon allein der Gedanke daran, ruft Ekel hervor.

Die Angst kann Woyde verstehen. „Hier gibt es ein echtes Rattenproblem“, sagt er. Und das schon länger. Seit über einem Jahr sieht er täglich Ratten über die Straße, auf den Gehwegen und zwischen den Büschen entlang huschen. „Die Tiere halten sich bei den Mülltonnen auf und verschwinden dann in die Kanalisation“, sagt Woyde.

Ekel-Alarm rund um den Buchenweg: Ratten auf den Straßen und im Haus

Von hier hatte im Frühjahr eine Ratte den Weg vermutlich über einen offenstehenden Abfluss in die Waschküche des Mehrfamilienhauses gefunden und sich in einer Matratze eingenistet. „Nachdem der Schädlingsbekämpfer im Haus war, ist das Problem aber gelöst“, sagt Woyde erleichtert. Vor dem Haus und auf der Straße aber nicht. So hat er letztens sogar gesehen, wie ein Müllwerker beim Öffnen der Tonne von einer Ratte angesprungen wurde.

Verärgert und angeekelt von den unsauberen Zuständen rund um die Buchenstraße: Anwohner Rolf Woyde.
Verärgert und angeekelt von den unsauberen Zuständen rund um die Buchenstraße: Anwohner Rolf Woyde. © Gerullis | Undine Gerullis

„Diese Dichte an Ratten ist schlimm“, sagt auch Partnerin Ulrike Hanif. Beide Senioren vermeiden es mittlerweile, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen, aus Angst einer Ratte zu begegnen. Laut Infektionsgesetz des Landes Schleswig-Holstein sind Bürger dazu aufgerufen, Rattenbefall dem Ordnungsamt zu melden. Denn Tiere gelten zum einen als Nahrungsmittelschädlinge und verbreiten zudem Krankheitserreger. Woyde ist sich der Gefahr, die von den Tieren ausgeht, durchaus bewusst – zumal die Bogenstraße ein beliebter Weg von Kindern zur Klosterbergenschule ist. Der Rentner hat schon mehrfach das Ordnungsamt eingeschaltet. „Doch geändert hat sich wenig“, sagt Woyde enttäuscht.

Stadt wird den vielen Ratten nicht Herr

Im Reinbeker Ordnungsamt ist das Rattenproblem durchaus bekannt. „Wir werden dem aber nicht Herr“, sagt Jenny Laue, Ordnungsamtsleiterin, offen. Die Stadt vergibt regelmäßig Aufträge zur Bekämpfung an Fachfirmen. Wie viel und wie oft, dazu gebe es aber keine genauen Zahlen, heißt es in einer Presseantwort. Grundsätzlich ist es aber so, dass Hauseigentümer für die Rattenbekämpfung auf ihren Grundstücken selbst zuständig sind. Auf diese Pflicht verweist auch das Ordnungsamt.

Inwiefern der Verwalter der Eigentumswohnungen – in diesem Fall die Industria mit Sitz in Frankfurt am Main – ihrer Pflicht nachkommt, war nicht in Erfahrung zu bringen. Unter der angegebenen Servicenummer meldete sich kein Mitarbeiter, einen Pressekontakt gibt es nicht. Während die Mieter also in Endlosschleifen warten, vermehren sich die Ratten fröhlich weiter.

Rattenplage war vorherzusehen

Bis Ende 2010 machte die Stadt den Tieren das Leben noch schwerer. Da kümmerte sich die Stadt um die Rattenbekämpfung, auch auf Privatgrundstücken. Bis dahin war die Population der Ratten auch unter Kontrolle. Nach einer Rundverfügung des Kreises Stormarn aber, wonach Eigentümer für die Bekämpfung der Ratten auf privaten und landwirtschaftlichen Grundstücken selbst verantwortlich sind, hat die Stadt die Verträge mit der Schädlingsbekämpfungsfirma gekündigt. Rund 9200 Euro ließ sich die Stadt 2010 den Service kosten.

Schon damals prophezeite der Schädlingsbekämpfer bald „Zustände wie in Großstädten, wo drei Ratten auf einen Einwohner kommen“. Dann könne es sein, dass man die nachtaktiven Tiere abends durch Büsche huschen sieht, sagte der damals gegenüber unserer Zeitung.

Eine Ratte kommt auf 600 Nachkommen pro Jahr

Diese Zustände sind längst erreicht. Bis abends muss man in den Straßen rund um den Täbyplatz gar nicht warten. Hier sieht man die Tiere auch tagsüber. „Dann ist der Befall schon massiv und ein Zeichen dafür, dass die Ratten auf Futtersuche für den Nachwuchs sind“, sagt der professionelle Schädlingsbekämpfer Torsten Kindschuh.

Eine weibliche Ratte bringt es – Kinder- und Kindeskinder eingeschlossen – auf ungefähr 600 Nachkommen pro Jahr. Angesichts dieser hohen Reproduktionsrate scheint der Kampf gegen den Nager aussichtslos. „Eine Stadt wird nie ganz rattenfrei sein“, sagt Kindschuh, der schon öfter nach Reinbek gerufen wurde. „Aus einzelnen, lokalen Abschnitten kann man den Nager aber schon raushalten“, weiß der Schädlingsbekämpfer. Aktuell aber sei das Rattenproblem massiv, nicht nur in Reinbek. „Fast alle Aufträge drehen sich momentan um Ratten“, sagt der Schädlingsbekämpfer.

Über die Gründe kann er nur mutmaßen: „Das gute Wetter und viele Grillfeste könnten einer sein“, sagt Kindschuh. Die Nagetiere haben einen ausgesprochen guten Geruchssinn und riechen Abfälle meterweit. Ratten sind beim Essen nicht wählerisch, sind Allesfresser, sehr anpassungsfähig und lieben Hausabfälle.

Hauptproblem: Mülltonnen quellen über, Unrat steht daneben

Müll und Unrat sei das Hauptproblem, sagt auch Rolf Woyde. Die Tiere werden von den Mülltonnen der Häuserreihen am Friesenweg und dem Dithmarscher Weg angezogen. Denn die Tonnen hier quellen zum einen oft über, zum anderen stellen die Bewohner der Häuser ihre vollen Tüten neben den Tonnen ab. Manchmal aus Not, weil Müllwerker die Tonnen wegen Falschbefüllung nicht leeren. Auch aktuell klebt ein orangefarbener Aufkleber mit der Aufschrift „Ich durfte nicht mit“ auf der Gelben Tonne.

Auch interessant:

Das illegale Abstellen wiederum zieht Ratten an und sorgt dafür, dass Müll und Verpackungen in die Beete und Grünanlagen in der Nachbarschaft fliegen. Für Woyde ein großes Ärgernis. Seit 54 Jahren lebt er in der Bogenstraße und sieht, dass sich die Nachbarschaft über die Jahre stark verändert hat und einige das Mülltrennsystem noch nicht verinnerlicht haben.

Abfälle und Essensreste locken die Ratten an

„Unwissenheit ist ein Problem, wogegen wir permanent anarbeiten“, bestätigt auch Olaf Stötefalke, Sprecher der Abfallwirtschaft Südholstein. Dass Tonnen stehen gelassen werden, passiere aber nur in sehr seltenen Fällen. Da müsse bei der Befüllung schon grundlegend etwas falsch laufen, sagt Stötefalke. Eine Häufigkeit der Beschwerden liege ihm für das Reinbeker Objekt aber nicht vor.

Abfälle und zurückbleibende Essensreste sind für Ratten ein gefundenes Fressen. Da nützten dann auch die besten Fallen nicht. „Die Bekämpfung muss Hand in Hand gehen, und alle Seiten müssen mitarbeiten “, sagt Kindschuh. Damit er aber aktiv werden kann, braucht er einen Auftrag – von den Eigentümern oder von der Stadt.