Sülfeld. Früherer Sülfelder Pastor berichtet von ambivalentem Verhältnis zur kirchlichen Obrigkeit und seinem Kampf gegen Diskriminierung.
Ob im Superman-T-Shirt, Anzug mit Fliege oder Talar: Pastor Steffen Paar (42) fällt in vielerlei Hinsicht auf und aus dem Rahmen. 2015 war der aus Böblingen stammende Geistliche mit seinem Lebenspartner ins Pastorat der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Sülfeld eingezogen. Paar versuchte Menschen auch außerhalb der Kirche auf unkonventionelle Weise zu erreichen mit Formaten wie „Pastor to go“, „Brunch & Gottesdienst“, einem Gottesdienst im Supermarkt, Klönschnack auf dem Marktplatz, fantasievolle Installationen im Gotteshaus und vieles mehr. Nach acht Jahren als Gemeindepastor zieht es Paar weiter nach Itzehoe, wo er am 1. März seine neue Stelle als Propst im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf in Itzehoe antritt. Im Interview mit dem Abendblatt berichtet er von den Erfahrungen nach seinem Outing, von Anfeindungen durch Rechtsradikale, aber auch ganz besonderen Momenten wie seiner eigenen Trauung.
Hamburger Abendblatt Wie kam es dazu, dass Sie sich für den Beruf des Pastors entschieden haben?
Steffen Paar Ich hatte einen ganz tollen Konfirmationspastor. Er hat es geschafft, innerhalb des Kirchenraums einen weiteren, spirituellen Raum zu öffnen. Hinzu kam die Verbindung über die Musik: Meine Klavierlehrerin, die Organistin war, nahm mich mit in die Kirche. Als Jugendlicher war der Glaube für mich wie eine Brille, durch die ich die Welt wahrgenommen habe. Ich hatte dieses Selbstbewusstsein, dass ich etwas zu geben habe, und wollte das auch leben. Ohne den Beruf ist mein Glaube nicht zu denken.
Sie haben evangelische Theologie in Neuendettelsau, Jena, Tübingen und Bonn studiert. Was hat Sie ausgerechnet in ein schleswig-holsteinisches Dorf verschlagen?
Gegen Ende der Probezeit in Baden-Württemberg habe ich mich geoutet. Ich wollte gegenüber der Hierarchie deutlich machen: Ich möchte von euch nicht nur als Arbeitskraft, sondern als Mensch gesehen werden. Doch für die Landeskirche war es undenkbar, dass ich mit meinem damaligen Freund ins Pfarrhaus eingezogen wäre. Gleichzeitig gab es kirchliche Personen, die mich als Sünder und Abschaum bezeichnet haben. Als Schwuler wurde ich dort offensichtlich nicht gewollt. Also ging ich zunächst nach Hessen. Dann habe ich meinen Mann, einen Lehrer aus Schleswig-Holstein, kennengelernt. Das war der Anlass, mich auf die vakante Pfarrstelle in Sülfeld zu bewerben.
Inzwischen sind Sie verheiratet. Wie wichtig war dieser Schritt für Sie?
Im Grunde haben wir mit der Lebenspartnerschaft 2015, der kirchlichen Trauung im Sommer 2016 und der Eheschließung 2017 drei Daten. Aber für mich persönlich war die kirchliche Trauung am wichtigsten. Das hat etwas damit zu tun, gesegnet zu werden. Wir haben mit circa 300 Gästen gefeiert, den Leuten im Dorf, Familie und Freunden. Der Kirchengemeinderat hatte ein Café organisiert und es gab Musik. Viele haben Anteil genommen, das war ein großartiger Support und so ein toller Flow. Das ist für uns beide etwas Unvergessliches, was uns für immer mit der Kirche und dem Ort verbindet. So soll es sein: Menschen, die kommen, weil sie sich lieben. Die Nordkirche war schon immer eine progressive Kirche.
Können Sie nachvollziehen, dass gerade homosexuelle Menschen sich von der Kirche abwenden?
Ich habe einen Freundeskreis mit lesbischen und schwulen Menschen, die sagen, wir wollen euren Segen gar nicht. Es ist viel passiert, lang wurde nur eine bestimmte Form der Liebe gesegnet. Doch nicht die Kirche definiert, was Liebe ist, das macht die Liebe schon selbst. Ich lerne von Jesus, der schaut hin und begegnet Leuten dort, wo sich die Liebe und das Leben abspielen.
Diese Nähe hat man als Propst nicht.
Ich bleibe ja Pastor und Christenmensch. Ich habe keine Angst, den Kontakt zur Basis zu verlieren. Es ist meine Aufgabe, ihn zu suchen. Natürlich ist die Gefahr größer, weil ich nicht im täglichen Kontakt bin. Es ist sicherlich so, dass der administrative Part größer wird, aber es kommt darauf an, wie man das Amt lebt.
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Sie stehen Hierarchen doch eher kritisch gegenüber. Und jetzt steigen Sie selbst in der Hierarchie auf.
Es stimmt, dass ich eher ein gebrochenes Verhältnis zu Hierarchien und Karriere habe. Als ich von der Stelle erfuhr, habe ich zuerst überlegt, warum spricht mich das an, und mit meinem Mann darüber gesprochen. Es war ein Prozess von einigen Wochen, bevor ich mich bewusst dafür entschieden habe. Es hat mich einfach gereizt, strukturell und strategisch zu arbeiten. Immer mehr Leute treten aus der Kirche aus. Diese unerquickliche Situation wird uns lang begleiten. Mein Job ist es, Prozesse zu begleiten, mein Fokus ist dabei nah bei den Menschen. Wenn Gemeinden fusionieren, macht das etwas mit ihnen. Es geht um Veränderung: Faktoren müssen analysiert und Mut gefasst werden, sich Dinge bewusst zu machen und die Frage zu stellen: Welchen Zopf schneide ich ab, weil wir den nicht mehr brauchen? Es geht auch darum, Menschen und Ressourcen zu schützen und zu überlegen, wo sich Strukturen erhalten lassen. Ich bin überzeugt, dass ich bei dieser Aufgabe meine Haltung einbringen und meinen Beitrag leisten kann.
Sie beziehen auch politisch Stellung. Als Rechtsradikale sich in Sülfeld breitmachten, haben Sie sich deutlich positioniert.
Im Herbst 2019 wurden Dorfbewohner von Nazis angegriffen. Als ich mich mit persönlichen Statements eingeklinkt habe, kam es zu Anfeindungen und Drohungen. Es macht etwas mit einem, wenn man so im Fokus steht. Aber andere haben gesagt, wir passen auf dich auf. Man hat sich zum Beispiel zum Spazierengehen verabredet. Wir wurden von der Polizei geschult, auf was man achten muss, und es wurden Sicherheitssysteme installiert. Am Ende waren sich alle in der Politik und Gemeinde einig, dass etwas gegen die Faschisten unternommen werden muss. Das bewusste Zusammenstehen hat gegen die Angst geholfen und neben Corona dazu beigetragen, dass die rechten Umtriebe erstickt wurden.
Was bedeutet Glaube für Sie?
Ich bin überzeugt, dass Glaube als Haltung etwas ist, was gut ist. Er hält mich wach und hat mir Kraft gegeben, mich in der Institution Kirche zu behaupten. Er war das kritische Gegenüber der kirchlichen Hierarchie. Manchmal war er auch echt eine Bürde. Wenn ich wie meine Eltern bei Daimler wäre, wäre das alles kein Thema gewesen.
Wie schaffen Sie einen Ausgleich zu ihrem anstrengenden Berufsalltag?
Es ist schon ein sehr arbeitsintensiver Beruf. Man muss Grenzen setzen. Eine große Freiheit bedeutet auch eine große Selbstverantwortung. Man kann nur gut für andere da sein, wenn man gut für sich sorgt. Das ist ja auch eine religiöse Haltung: den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Entspannen kann ich mich beispielsweise beim Backen, da bin ich richtig gut drin. Und ich liebe süße Sachen.
Auf Ihrer Homepage steht zu lesen: „Das Leben ist kurz. Fang mit dem Nachtisch an!“ Ist das so etwas wie ein Lebensmotto?
Paulus hat sinngemäß einmal gesagt, dass man mit dem anfangen soll, was einem Freude macht. Laut Ordnung kommt erst die Vorspeise, dann der Hauptgang und zum Schluss folgt der Nachtisch. Warum nicht mal mit dem Nachtisch anfangen? Damit, dass ich solche Konventionen hinterfrage, diene ich meiner Berufung, der Liebe und Gott.
Vor Kurzem wurden Sie mit einem Gottesdienst verabschiedet. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Es war ein sehr berührendes Erlebnis in einer vollen Kirche, die aus allen Nähten geplatzt ist. Es gab ganz viele tolle Begegnungen, Tränen und Dankbarkeit. Ich war acht Jahre lang mega gern in Sülfeld. Jetzt gehe ich dankbar weg und bin superneugierig auf das, was da kommt.