Glinde. Retter werden zum Einsatz gerufen, brechen Wohnungstür auf und machen eine schreckliche Entdeckung. Sarah W. wurde nur 36 Jahre alt.

Michael Weidemann hat als Ehrenamtler schon viele Situationen erlebt, die ihm nahegegangen sind. Der 53-Jährige ist seit 2004 Wehrführer in Glinde. Er und seine Kameraden haben Schwerverletzte aus Autos herausgeholt, bei Verkehrsunfällen auch Leichen gesehen – Fahrradfahrer, die von Lastwagen erfasst wurden und dabei ums Leben kamen.

Doch der Einsatz an jenem Sonnabendabend vor eineinhalb Wochen hat ihn emotional noch mehr berührt. Das sagt er heute mit Rückblick auf die Geschehnisse am 15. Oktober, als Weidemann und seine Mitstreiter wieder retten wollten – die Hilfe aber zu spät kam. Sie fanden Sarah W. tot auf in deren Wohnung an der Straße Groothegen unweit der Sportanlage. Sie war ihre Kameradin.

Die Leiche wurde in der Rechtsmedizin Lübeck obduziert

„Es war schon ein mulmiges Gefühl, wenn man am Türschild den Namen erblickt“, sagt Weidemann. Sarah W. lebte im vierten Geschoss eines Mehrfamilienhauses mit ihrem Sohn und dem Lebenspartner. Sie wurde nur 36 Jahre alt. Ein Bekannter hatte sich Sorgen gemacht, weil er die Frau nicht erreichen konnte, kontaktierte die Polizei. Der elfjährige Sprössling war bei den Großeltern, ihr Partner auf Kurzurlaub in Berlin. Die Ordnungshüter fragten im Altenheim Haus Togohof nach, dort war die Glinderin als Pflegeassistentin tätig. Anzutreffen war sie in der Einrichtung nicht.

Kurz darauf alarmierte die Rettungsleitstelle die Glinder Wehr. 18 Kräfte machten sich von der Wache am Oher Weg auf. Es sind nur wenige Hundert Meter Luftlinie bis zum Zielort. Rettungsdienst und Polizei waren ebenfalls zugegen. Um sich Zugang zur Wohnung zu verschaffen, musste die Wehr die Tür gewaltsam öffnen mithilfe eines Spreizers. Laut Weidemann war der Eingangsbereich durch einen verschlossenen Querriegel doppelt gesichert. Im Schlafzimmer erblickte er seine Kameradin. Sie lag im Bett und sei bereits tot gewesen. Einen Suizid schließt Glindes Wehrführer aus. „So etwas hätte sie schon allein wegen ihres Kindes nie gemacht“, sagt Weidemann.

Der Fall ist bei der Kriminalpolizei in Reinbek angesiedelt unter der Vorgangsnummer 693660. Die Leiche wurde inzwischen in der Rechtsmedizin in Lübeck obduziert. Den Beamten in Stormarns zweitgrößter Stadt wurde bislang kein Ergebnis übermittelt.

Sarah W. kümmerte sich um Brandschutzerziehung

Mitgliedern der Glinder Wehr war aufgefallen, dass Sarah W. in diesem Jahr viel Gewicht verloren hatte. Und zwar in einem Maß, dass sie sich sorgten. Ihr Gesundheitszustand war alles andere als optimal. 2020 infizierte sich die Ehrenamtlerin als erste Person der Organisation mit dem Coronavirus. „Nach einiger Zeit wurden bei ihr kardiologische Probleme diagnostiziert. Diese führten dazu, dass sie dem aktiven Einsatzdienst, insbesondere unter Atemschutz, noch nicht vollends wieder zur Verfügung stand“, sagt Feuerwehrsprecher Tom Reher.

Michael Weidemann spricht von einer bedrückten Stimmung innerhalb der Feuerwehr. „Sarah war sehr stark engagiert, alle mochten sie. Wir sind zutiefst erschüttert und traurig.“ Sofort nach dem Einsatz wurden die Kräfte von geschulten Kollegen psychologisch betreut.

Sarah W. hatte sich verdient gemacht in der Freiwilligen Feuerwehr Glinde mit ihren rund 200 Mitgliedern. Von 1999 bis 2004 war sie in der Jugendabteilung, wurde später Löschmeisterin und engagierte sich seit 2007 in der Brandschutzerziehung sowie -aufklärung. Sie besuchte dafür Schulen und Kindertagesstätten, vermittelte den Jungen und Mädchen Wissen. Ihr oblag kurzfristig zudem die Betreuung der Kinderwehr. 2013 wurde der Frau das Flut-Ehrenzeichen verliehen.

Kreisfeuerwehrverband plant Spendensammlung für Sohn

Auch ihr Sohn ist in der Jugendwehr aktiv. „Wir werden alles geben, um ihn aufzufangen“, sagt Reher. Der Schüler lebte bislang einige Tage in der Woche beim Vater in Glinde. Die Eltern hatten sich vor acht Jahren getrennt. Laut Reher plant der Kreisfeuerwehrverband eine Spendensammlung für den Jungen. „Damit die Berufsausbildung finanziell abgesichert ist.“

Befreundete Wehren aus Frankreich, Finnland, Ungarn, Berlin sowie Bacharach haben inzwischen ihr Mitgefühl ausgesprochen und kondoliert. Delegationen aus der Hauptstadt und Rheinland-Pfalz haben sich zudem für die Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung angekündigt. Die Freiwillige Feuerwehr Glinde will dabei Ehrenwache halten, berichtet Reher.

Die Trauerfeier ist für Mittwoch, 9. November, geplant und findet ab 11 Uhr in der Friedhofskapelle Glinde am Willinghusener Weg statt. Neben der Glinder Pastorin Anna Benkiser-Eklund wollen auch Kameraden der Verstorbenen kurze Ansprachen halten. Im Anschluss gibt es in der Feuerwehrwache am (Oher Weg 8) Kaffee und Kuchen.