Bargteheide. Politik und Verwaltung sehen in Aktion der Initiative „Jugend für Jugend“ Straftat. Die fühlt sich zu Unrecht kriminalisiert.
Der Konflikt um die Villa Wacker in Bargteheide hat offensichtlich eine neue Eskalationsstufe erreicht. Das marode Gebäude hinter dem Bahnhof ist seit 2013 im Besitz der Stadt und verfällt seitdem zusehends. Nach Angaben der Initiative „Jugend für Jugend“, die sich schon lang für einen eigenen Treffpunkt einsetzt, gäbe es in der Villa Wacker geeignete Räumlichkeiten. Doch bei den Gesprächen mit den politischen Gremien und der Stadt fühlen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen, sondern vielmehr hingehalten.
Deswegen hatte eine kleine Gruppe der Initiative nach einer friedlich verlaufenen Demonstration am Freitag, 7. Oktober, Räume im Hauptgebäude der Villa besetzt und diese nach einem Ultimatum durch die Stadt nach rund 24 Stunden wieder verlassen. Die Aktion sorgt immer noch bei vielen Politikern für große Empörung. Bürgermeisterin Gabriele Hettwer ließ in einer Mitteilung verlauten, die Jugendlichen hätten „eine Straftat begangen, um ihre Forderungen zu bestärken“.
Ein Keller sei nach Überschwemmung nie leer gepumpt worden
Die Initiative beklagt, dass keine Spur von Verständnis für ihr Anliegen zu erkennen sei. Zudem fehle auf der Gegenseite die Bereitschaft, kritisch das eigene Verhalten zu hinterfragen. Denn dass es so weit gekommen sei, dürfe wohl kaum nur einer Seite zuzurechnen sein.
Pressesprecher der Initiative ist Jonas Bewig (18). Er sagt: „Unsere Initiative gibt es zwar erst seit einem Jahr, der Kampf um die Jugendräume existiert aber schon sehr viel länger.“ Laut Bewig wird seit rund 40 Jahren in Bargteheide für ein Jugendzentrum gekämpft. Darin zeige sich schon die Problematik, dass die Gruppe nicht ernst genommen werde. „Wir haben von allen Seiten Zugeständnisse bekommen, die sich im Nachhinein aber als reine Lippenbekenntnisse herausgestellt haben“, so Bewig.
Nässe im Keller habe zur Schimmelbildung im Anbau geführt
Der 18-Jährige ist überzeugt: „Die Villa Wacker hat für die Stadt keinen Wert.“ Als Beispiel führt er eine Überschwemmung im Keller an. Der Keller des Anbaus sei nie leer gepumpt worden, was zu Schimmelbildung im Gebäude geführt habe. Statt dessen sei ein Teil des Gebäudes abgesperrt worden. Von einem Politiker habe er erfahren, dass eine afghanische Flüchtlingsfamilie, die dort untergekommen sei, daraufhin ausziehen musste.
Im Bauausschuss sei eine sparsame, langsame Sanierung des Gebäudes beschlossen worden, damit es vom Verein Bunte Vielfalt, der aktuell als Einziger noch einen Raum zur Abstellung von Fahrrädern und Material nutzen darf, und dem Streetwork-Projekt von der Hilfsorganisation Tohus verwendet werden könne.
Ein Schlichtungsgespräch führte zu einer weiteren Eskalation
Tohus habe die mittlere Etage renoviert und sogar eingerichtet. „Als sie einziehen wollten, begann Corona, deswegen und wegen der Brandschutzbestimmungen durften sie es dann nicht nutzen“, sagt Jonas Bewig. Auf der Website von Tohus ist der „Treffpunkt Villa Wacker“ noch mit „dienstags von 14 bis 20 Uhr“ aufgeführt. Streetworker Fabian Josten wollte sich zum derzeitigen Stand auf Anfrage unserer Redaktion nicht äußern.
Dass die Reaktion der Stadt harsch ausfallen kann, hat Martin Cornehl-Schönberg von der Fahrradwerkstatt der Bunten Vielfalt erfahren. Bei einer Begegnung mit den Jugendlichen fragt er sie, wie sie ins Gebäude gelangt seien. Denn der Verein ist selbst ins Visier geraten. „Uns wurde unterstellt, dass wir euch die Fenster geöffnet haben“, sagt der Ehrenamtler aufgebracht. Die Gruppe wiederum sagt, dass man ihr unterstellt habe, gewaltsam ins Gebäude eingedrungen zu sein. Das sei mitnichten der Fall, es sei zu keinerlei Sachbeschädigung gekommen.
Gruppe will was bewegen, stößt immer wieder auf Ablehnung
Die Gruppe hatte in Zusammenarbeit mit Tohus in handwerklicher Arbeit aus gespendeten Paletten auch eine Bank und eine große Vogelskulptur gebaut, um das Gelände zu verschönern. Auch das missfiel der Stadt. Sie ließ die Jugendlichen wissen, dass beides umgehend verschwinden müsse.
Dafür habe es einst ganz positiv für die Initiative ausgesehen. Nach Angabe von Bewig hatte sich der Fraktionsvorsitzende der SPD, Mehmet Dalkilinç, dafür ausgesprochen, dass die Jugendlichen einen Schlüssel für das Gebäude und damit einen Zugang erhalten sollten. Doch dann habe eine Nachfrage bei der Verwaltung ergeben, dass dies nicht vorgesehen sei. Sogar Bürgermeisterin Hettwer habe sich überrascht gezeigt, dass sie keinen Schlüssel bekommen hätten, so Bewig.
Nur Bürgermeisterin, JfJ und SPD gaben Stellungnahmen ab
Nachdem die Bürgermeisterin von der Besetzung erfuhr, versuchte sie, die jungen Leute vor Ort zum Aufgeben zu überreden. Nachdem die sich weigerten, berief sie die Fraktionsspitzen zu einer Dringlichkeitssitzung ein. Am Folgetag kam es zu einem gemeinsamen Gespräch mit Vertretern von JfJ im Ratssaal, in dem weitere Verhandlungen vereinbart wurden. Konkrete Zusagen erfolgten nicht.
Bei dem Gespräch soll es nach Aussage der Jugendlichen auch zu Unterstellungen und Beleidigungen seitens einiger Politiker gekommen sein. So ließ ihre Reaktion auf die anschließend von der Bürgermeisterin veröffentlichte Stellungnahme nicht lange auf sich warten. Auch die SPD wandte sich mit einem Statement an die Öffentlichkeit. Darin heißt es: „Wir weisen die in der Stellungnahme von JfJ gemachten Vorwürfe entschieden zurück.“ Die SPD setze sich seit Jahren für die Kinder und Jugendlichen der Stadt ein. Es sei den Sozialdemokraten jedoch sehr wichtig, „dass hierbei Regeln und geltendes Recht eingehalten werden“.