Glinde. Glinder Parteienvertreterinnen ziehen an einem Strang. Sie bieten Schnupperstunden für Frauen in den Fraktionen an.

27 Personen zählt das Glinder Stadtparlament, neun davon sind weiblich. Zu wenig – finden Petra Grüner (61), Marlies Kröpke (71), Barbara Bednarz (73) und Gönke Witt (65), die allesamt in dem Gremium mitarbeiten und zudem im Frauenforum organisiert sind. Ein überparteilicher Treff, der sich für Gleichstellung einsetzt. Das Quartett will mehr Mitstreiterinnen in der Politik gewinnen und hat schon einige Anstrengungen unternommen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Das soll sich ändern. Die Parteienvertreterinnen bieten unter anderem Schnupperstunden in den Fraktionen an.

„Das ist eine Art Mentoringprogramm und Tandembildung. Man trifft sich alle zwei Wochen. Wenn es gewünscht ist, nehme ich die Bürgerinnen auch zu den Ausschusssitzungen mit“, sagt Grüner, die Fraktionsvorsitzende der Grünen ist und die erste in Glinde in einer größeren Partei. Sie ermuntert Frauen, auf Probe mitzumachen und die eigene Meinung zu Themen kundzutun. „Es gibt niemanden, der mit seiner Partei völlig einverstanden ist. Man muss bei uns keinem nach dem Mund reden.“ Wer noch unentschlossen ist, diesen Schritt zu gehen, kann als Vorbereitung auch das Frauenforum besuchen. Die Gruppe, der Klimaschutzmanagerin Lisa Schill und die Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Schoneboom angehören, hat rund ein Dutzend Mitglieder, trifft sich in der Regel einmal pro Monat im Rathaus. Feste Termine gibt es nicht.

Petra Grüner ist die erste Fraktionschefin einer größeren Partei in Glinde

Bei der Zusammenkunft ist Fairplay angesagt. Die Politikerinnen werben nicht direkt um Mitglieder für ihre Parteien. Es geht um den Austausch und das Wecken von Begeisterung. „Uns ist egal, ob sich Interessentinnen für Schwarz, Rot, Grün oder Gelb entscheiden. Hauptsache, die Frauen sind dabei“, sagt Kröpke, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Sie ist stets bemüht, unter der Flagge des Frauenforums Nachwuchs zu rekrutieren – zum Beispiel an Informationsständen auf dem Marktplatz. Auch hat die Gruppe zur Landtagswahl Karten drucken lassen mit dem Slogan „Landtag statt Muttertag“ sowie dem Aufruf „Mitmachen und Politik gestalten“. Kindertagesstätten und die Feuerwehr wurden angeschrieben, Aushänge gemacht. Die Resonanz war niederschmetternd.

„Ich habe Nachbarn und Bekannte angesprochen. Einigen Frauen ist die Kinderbetreuung im Weg, denn Sitzungen sind oft von 19 bis 22 Uhr“, sagt Kröpke. Laut Witt ist es möglich, Betreuungsgeld für die Kleinen während der Anwesenheit in den Gremien zu beantragen, das wüssten die meisten jedoch nicht. „Politik ist vielfältig, man kann den eigenen Horizont erweitern“, sagt die Seniorin, die für die Grünen aktiv ist. Ihre Parteikollegin Grüner hat registriert, dass sehr wohl Frauen zu den Ausschüssen kommen, wenn Kita-Gebühren oder Tempo 30 auf der Tagesordnung stehen. „Und sie halten sehr gute Redebeiträge, weil es oft um die eigenen Interessen geht. Leider machen sie dann nicht den letzten Schritt, sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl zu engagieren.“

Die vier Frauen sind auf unterschiedlichem Weg in die Kommunalpolitik gelangt. Grüner sagt, sie sei während der Studentenzeit politisiert worden. Die Lehrerin hatte sich damals der Friedensbewegung angeschlossen, organisierte zum Beispiel Großveranstaltungen in der Dortmunder Westfalenhalle. Für sie war es folgerichtig, sich dann auch in ihrem Wohnort einzubringen. 2008 fing Grüner an. Die Erinnerungen an ihre ersten Ausschusssitzungen beschreibt sie so: „Das Selbstbewusstsein der Männer im Allgemeinen war groß, das war für mich schon einschüchternd.“ Inzwischen zeigt sie klare Kante und geht keiner Diskussion aus dem Weg. Ihr Mann ist ebenfalls Mitglied der Stadtvertretung. Demnächst ziehen die beiden nach Oststeinbek und machen dort weiter Politik für die Grünen. Ziel ist es, mit der Partei ins Gemeindeparlament zu kommen. Im Mai 2023 sind Kommunalwahlen.

Alle Ausschüsse in Glinde werden von Männern geführt

Genauso lange dabei wie Grüner ist Witt, die jedoch kein Parteibuch hat. „Ich bin über einen Aufruf der Grünen dazugestoßen, weil sie keine Leute hatten.“ Das Interesse war schon davor vorhanden. Witt machte von 1997 bis 2000 ein Weiterbildungsstudium an der Universität Hamburg, schrieb ihre Abschlussarbeit über Kommunalpolitik in Glinde. Die Grünen-Fraktion ist mit Blick auf den Frauen-Anteil übrigens bestens aufgestellt. Sechs von acht Mitgliedern sind weiblich.

Davon kann Kröpke nur träumen, die zwölfköpfige SPD-Fraktion zählt zehn Männer. Die gelernte Krankenschwester kam über einen Skatabend zu den Sozialdemokraten. Sie war lange Betriebsrätin des Kirchenkreises Hamburg-Ost und ist bekannt für ihre soziale Ader. Kröpke mischt in ihrer dritten Legislaturperiode mit. Sie sagt: „Frauen machen anders Politik als Männer. Sie erzeugen ein anderes Klima.“

Bednarz votiert seit 2018 für die FDP, ist ebenso wie Witt kein Parteimitglied. Sie besuchte die Stadtvertretung, wurde dort vom Liberalen Jan Lont angesprochen und entschloss sich zur Mitarbeit. Die Rentnerin verteilt in Ausschusssitzungen immer Süßigkeiten an alle, engagiert sich nicht nur in der Politik. Bednarz ist Schatzmeisterin des Glinder Sozialverbands, unterstützt das Deutsche Rote Kreuz und organisiert die Suppenküche.

Auffällig ist, was alle des Quartetts betonen, dass sämtliche Ausschüsse in Glinde von Männern geführt werden. Auch hier würden sich Grüner, Kröpke, Bednarz und Witt eine Änderung wünschen. Was ganz nach ihrem Geschmack ist: Als erste Kommune im Kreis signierte Glinde durch Bürgermeister Rainhard Zug im Oktober 2020 die Europäische Charta für Gleichstellung. Unterzeichner entwickeln innerhalb von maximal zwei Jahren einen sogenannten Gleichstellungs-Aktionsplan. In ihm sind Ziele formuliert, die dann umzusetzen sind. Ob der Plan des Frauenforums aufgeht, ist ungewiss. Als sicher gilt: Kröpke und Co. haben in Sachen Rekrutierung einen langen Atem.