Oststeinbek. Früherer Gemeindearchivar Karlheinz Schmidt forscht über die Kratzmanns, durchstöbert Taufregister. Die waren nicht nur Landwirte.

Das Dokument ist 23 DIN-A4-Seiten dick. Verfasst hat es der frühere ehrenamtliche Oststeinbeker Gemeindearchivar Karlheinz Schmidt. Er widmet sich darin der Geschichte der Familie Kratzmann. In der Region ist sie den meisten Menschen durch Tätigkeit in der Landwirtschaft bekannt. Der Hobby-Historiker hat diverse Quellen durchstöbert wie zum Beispiel alte Taufregister und herausgefunden, wie der Clan zu Reichtum kam. Unter anderem waren Vorfahren Generalzolleinnehmer und betrieben eine Gastwirtschaft.

Jetzt übergab der 83-Jährige seinen Aufsatz, an dem er seit 2004 in Etappen gearbeitet hat, an Gerhard Otto Kratzmann und Bürgermeister Jürgen Hettwer. Der Rentner sagt: „Ich will mit dem Werk dazu beitragen, dass Bürger den Kratzmannschen Hof beleben.“ Die Immobilie gegenüber dem Rathaus ist inzwischen im Eigentum der Gemeinde. Im großen Saal sind Sitzungen der politischen Gremien, in einem Anbau gibt es ein Restaurant. Der Pächter unterhält zudem eine Pension im ersten Stock des früheren Bauernhofs und vermietet vier Zimmer. Nebenan ist der Bereich für Trauungen. Unten hat die Gemeinde das Büro der Jugend- und Familienberatung. Räume werden auch von der Laienspielgruppe genutzt.

Schmidt wünscht sich Ausstellung über Geschichte der Familie

Schmidt reicht das nicht: „Die Geschichte der Kratzmanns muss hier in einer Ausstellung dargestellt werden, eine Würdigung der Ehrenbürger per Text und Bild ist aus meiner Sicht ebenfalls wünschenswert. Allgemein würde ich gern wechselnde historische Präsentation in dem Gebäude sehen, es müssten vermehrt Musikveranstaltungen wie Kammerkonzerte organisiert werden.“

Im Obergeschoss des Kratzmannschen Hofes in Oststeinbek befindet sich eine Pension. Eigentümer der Immobilie ist die Gemeinde.
Im Obergeschoss des Kratzmannschen Hofes in Oststeinbek befindet sich eine Pension. Eigentümer der Immobilie ist die Gemeinde. © René Soukup

Hettwer will Schmidts Ansinnen jetzt an die Politik weiterleiten, zuerst mit den Fraktionsvorsitzenden darüber sprechen. Er sagt, die Sache könne später auch Thema im Kultur-, Sozial- und Jugendausschuss werden. Der Verwaltungschef verweist aber auch darauf, dass die Gemeinde zwecks Nutzung schon die Bevölkerung im Auge hat. „Der Bürgersaal kann von Oststeinbekern zum Beispiel für Privatfeiern gemietet werden.“ Das ortsprägende Haus ist laut Hettwer als erhaltenswert eingestuft, stehe aber nicht unter Denkmalschutz.

Gerhard Otto Kratzmann hat hier früher gelebt. Der 68-Jährige ist zwar Rentner, unterstützt seinen Sohn aber immer noch im Betrieb. Der Hof der Familie befindet sich jetzt an der Straße Willnbrook in der Feldmark. Sie verpachtet auch Ackerland. Vor einigen Jahren hat sie an der Grenze zu Glinde ein Feld erschlossen und Grundstücke verkauft. Das Wohngebiet heißt Grünes Tal. Bürger leben dort in Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern. Es sind Dutzende.

Raiffeisenbank wurde 1908 in Gastwirtschaft der Kratzmanns gegründet

Geschäftstüchtig waren viele Ahnen. Schmidts Recherche geht bis ins 17. Jahrhundert zurück und beginnen in Glinde, wo eine Elsabe Kratzmann am 30. Oktober 1659 einen Bauernvogt geheiratet hat. In Verbindung mit Oststeinbek wird der Name erstmals vier Jahre später erwähnt in dem Aufsatz, wieder ging es um eine Hochzeit. Schmidt hat einen Stammbaum mit Verästelungen skizziert, nennt einen Johann Gerhard Kratzmann, der ein erfolgreicher Kaufmann war und 1789 im Alter von 34 Jahren die Domhorster Mühle per Erbpacht kaufte.

Ein Carsten Kratzmann wurde wiederum Generalzollpächter in den Ämtern Trittau und Reinbek, ein Andreas übernahm diese Aufgabe 1837. „Durch die Tätigkeiten als Generalzollpächter und Zolleinnehmer waren einige Zweige der Oststeinbeker Dynastie Kratzmann reich geworden“, schreibt Schmidt.

Den Kratzmanns gehörten im 19. Jahrhundert nicht nur drei Bauernhöfe in Oststeinbek, sie waren auch in der Gastronomie erfolgreich und sind eng verbandelt mit den Schwarzenbecks. Der gleichnamige Gasthof im Ortsteil Havighorst war eine Institution. Nach 143 Jahren wurde der Betrieb 2020 eingestellt. Am Anfang stand auch hier der Name Kratzmann. Als Inhaber wurde zum Beispiel ein Gustav geführt. In seiner Zeit wurde in dem Haus die Raiffeisenbank gegründet – im Februar 1908. Gustav Kratzmann gehörte auch dem Aufsichtsrat des Geldinstituts an.

Was ist noch bekannt? Schmidt schreibt etwa über das Gelände der Auferstehungskirche. Jenes wurde von Robert Kratzmann übereignet, im Gegenzug erhielt er Land in Glinde. „Die Familie war mit ihren drei Höfen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Ort und ein großer Arbeitgeber, der die Bevölkerung ernährt hat“, so der Verfasser. Gerhard Otto Kratzmann sagt, Schmidt habe eine wahnsinnige Arbeit gemacht. „So tief wie er habe ich nicht gegraben. Das mit dem Zoll war mir unbekannt.“ Zur Übergabe des Dokuments kam er mit dem Rad. Kratzmann ist keiner, der protzt und über seine Besitzverhältnisse redet. Der Mann kommt bodenständig daher. Zum Thema Reichtum sagt er lediglich: „Ich habe Glück gehabt, gewisse Entwicklungen mitzunehmen.“ Der Oststeinbeker hat zwei Geschwister: der Bruder lebt in Jersbek, die Schwester in Wakendorf im Kreis Segeberg.

Zuletzt löste der Hobby-Historiker Rätsel um Absturz von US-Bomber

Karlheinz Schmidt hat für Oststeinbek schon einiges geleistet, etwa die Festschrift zum 50. Geburtstag des Sportvereins geschrieben und Blätter zur Ortsgeschichte. Ein sogenanntes Totenbuch mit Opfern der beiden Weltkriege hat der Jurist ebenfalls angelegt. Der Umfang: 130 Seiten. Es befindet sich in der Oststeinbeker Kirche. Auch für das Stormarn-Lexikon hat der Ruheständler, der beim Zoll unter anderem Pressesprecher gewesen ist, Artikel beigesteuert.

Vor wenigen Monaten löste Schmidt in Zusammenarbeit mit Julián Péter, einem Hobby-Historiker aus Hamburg, das Rätsel um den Absturz eines US-Bombers im Zweiten Weltkrieg. Wie berichtet, war das Flugzeug am 30. Oktober 1944 in der Oststeinbeker Feldmark zerschellt. Sie erforschten die Umstände, konnten die Geschehnisse lückenlos rekonstruieren. Inzwischen sind Wrackteile aufgetaucht. Eine Zielvorrichtung wird vom 6. bis 16. November als Mahnmal in der Oststeinbeker Kirche aufgestellt.