Oststeinbek. Früherer Gemeindearchivar Karlheinz Schmidt überarbeitet Zeittafel von Oststeinbek. Er hat Gemeinsamkeiten mit einer Fußball-Legende.
Er ist ein Nostalgiker. Das sagt Karlheinz Schmidt über sich selbst. Davon zeugt in seinem Arbeitszimmer ein eingerahmtes Bild an der Wand. Zu sehen ist Fritz Walter, der die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1954 als Kapitän zum WM-Titel führte. Die Legende starb 2002. Beide Männer eint nicht nur das Geburtsdatum, der 31. Oktober. Sie sind in Kaiserslautern geboren. Walter hielt seinem Verein, dem FCK, mehr als 30 Jahre lang die Treue und gewann mit dem Team zwei Meistertitel. Schmidt jubelte ihm auf dem Betzenberg zu. Noch heute ist er Fan des Traditionsclubs, der inzwischen in der Dritten Liga kickt. Der 82-Jährige lebt seit 1973 in Oststeinbek und arbeitet die Vergangenheit der Gemeinde auf. Jüngst hat er eine Zeittafel auf Vordermann gebracht, ein chronologisch geordnetes Gerüst von historischen Daten und Geschehnissen, die ortprägend waren.
Das Dokument will er demnächst Bürgermeister Jürgen Hettwer übergeben. Es soll für jedermann zugänglich sein. Schmidts Ziel ist es, das Interesse an der Geschichte von Oststeinbek samt des Ortsteils Havighorst zu wecken. Er sagt: „Mit der Zeittafel können viele Begebenheiten wieder in das Bewusstsein der Einwohner gerückt werden. Insoweit stellt sie ein Erinnerungstableau dar.“ Der Inhalt erhebe jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Verbesserungen und Fortschreibungen seien erwünscht. „In etlichen Archiven gibt es noch viel Material über beide Orte, welches darauf wartet, durchforstet zu werden.“ Insbesondere für die vergangenen 20 bis 30 Jahre gebe es noch Lücken.
Recherche umfasst Gespräche mit Hunderten Oststeinbekern
Schmidt war zwischen 2000 und 2006 ehrenamtlicher Gemeindearchivar und hatte seinerzeit begonnen, eine umfangreiche Dokumentensammlung mit den Kategorien Haupt-, Familien-, Firmen- und Fotoarchiv aufzubauen. Als Vorbild nennt er Glinde. Bei seinen Recherchen sprach der Senior mit Hunderten Oststeinbekern, Bauern- und Handwerkerfamilien. Für die Zeittafel stöberte er jetzt wieder im Landesarchiv Schleswig-Holstein, hat rund drei Monate an der Aktualisierung des Werks gearbeitet. Es umfasst 27 DIN-A4-Seiten. Zu lesen ist unter anderem, dass in der Zeit zwischen 4200 und 1800 vor Christus erste Besiedlungen in Oststeinbek nachweisbar sind durch Bodenfunde in der Gemarkung. Oder auch, dass die Gemeinde einen großen Teil ihres Gebiets 1936 an Glinde verkauft hat.
Erwähnt ist zudem der 31. März 1945 mit dem Absturz einer Lancaster in Billstedt und der Notlandung eines Insassen mit seinem Fallschirm in Oststeinbek. Der Luftwaffensergeant Kevin Clark, ein 21 Jahre alter Australier, verhedderte sich dabei in einer Stromleitung an der Möllner Landstraße. Er wurde vom Bürger Waldemar Evensen befreit und in Sicherheit gebracht. Schmidt fand heraus, dass der junge Mann später bei der Überstellung nach Altona auf Glinder Gebiet von zwei SA-Männern des Depots hinterrücks ermordet wurde. Diese Tat wurde zuerst Oststeinbek zugeschrieben. Mithilfe des englischen Verschwisterungsvereins Caddington gelang es dem Stormarner, das zu widerlegen. Auch sein Antritt als Gemeindearchivar im Januar 2000 ist vermerkt.
Erst das Abitur mit 1,6 und im Anschluss ein Studium der Rechtswissenschaften
Wenn Schmidt über die Historie Oststeinbeks erzählt, schwingt Begeisterung in seinen Worten. Er ist ein wandelndes Lexikon. Man merkt, dass ihm diese Arbeit Spaß macht. Er sagt: „Man kann aus der Geschichte für das tägliche Leben lernen.“ Schmidt berichtet von mühsamer Recherche für den Abschnitt Ende der 40er-Jahre. Doch locker zu lassen, das ist nicht sein Ding. Er kennt Details über jede Person, deren Name eine Straße im Ort ziert. Wäre es nach ihm gegangen, hätte die Gemeinde unter den Schildern jeweils ein weiteres angebracht zwecks Erklärung. „Die Politik hat das leider abgelehnt. Oststeinbek tut sich schwer mit Geschichte“, sagt Schmidt, der schon immer ein Faible für das Schreiben hatte.
Ein schlaues Köpfchen ist der gebürtige Pfälzer schon in der Schule. Er macht sein Abitur mit 1,6 – in Geschichte hat er natürlich die beste Note. Es folgt ein Studium der Rechtswissenschaften in Mainz. Der Volljurist geht aber in keine Kanzlei. Sein Wunsch: ein Job in der Verwaltung. Das funktioniert. Beim Zoll hat Schmidt führende Positionen, ist unter anderem Pressesprecher. „Ich habe mich immer als Organisator verstanden“, sagt er im Rückblick auf seine beruflichen Tätigkeiten. Nach der Wende verlässt er Oststeinbek für 14 Monate, baut bis Dezember 1991 die Zollverwaltung in Dresden mit auf. „Das habe ich auch beim Deutschen Zollmuseum in Hamburg gemacht“, sagt Schmidt. Rund zehn Jahre sei er bei diesem Projekt eingebunden gewesen – gegen Widerstände von Vorgesetzten. „Ich bin aber einer, der sich nicht viel sagen lässt.“
Der Jurist hat auch für das Stormarn-Lexikon geschrieben
1998 geht Schmidt, der mit seiner Frau in einer Eigentumswohnung nur wenige Meter von der Landesgrenze entfernt lebt, in den Ruhestand. In jenem Jahr feiert der Oststeinbeker SV 50. Geburtstag. Schmidt verfasst die Jubiläumsschrift, das Heft hat 56 Seiten. Auch die Blätter zur Ortsgeschichte sind mit seinen Texten gefüllt. Doch damit nicht genug: Er hat ein sogenanntes Totenbuch mit Opfern der beiden Weltkriege angelegt mit 130 Seiten. Es befindet sich in der Oststeinbeker Kirche. Und für das Stormarn-Lexikon hat der Rentner ebenfalls Artikel geschrieben.
In seinem Wohnzimmer steht eine Schrankwand mit Dutzenden Büchern. Früher waren es sogar mehr, er hat inzwischen aussortiert. Schmidt geht auf den Balkon, zeigt auf einen Baumgürtel am Ortseingang. Es ist ihm wichtig, darüber zu reden. Das Gehölz hat der frühere Bürgervorsteher Helmut Landt (CDU) pflanzen lassen. Drei Jahre nach dessen Tod wurde 1999 die Grundschule nach ihm benannt. Er ist Rektor der Einrichtung gewesen, hatte einen Schulwald mit rund 10.000 Bäumen angelegt. Schmidt ist der Meinung, dass Landts Wirken auf den schulischen Bereich reduziert und seiner Lebensleistung nicht gerecht wird. Deswegen wollte er, dass das Gehölz den Namen des Ehrenbürgers bekommt. 2014 schrieb er die Fraktionen an. Die Politiker folgten seinem Vorschlag nicht.
Bei den Erzählungen darüber ist ihm die Enttäuschung anzumerken. Er redet aber nicht schlecht über die Parteien. Der geschichtsbegeisterte Mann mit dem großen Herzen für Oststeinbek hat Besseres zu tun. Er erfreut sich lieber an seinen zwei Töchtern, den sechs Enkeln und zwei Urenkeln. Ein richtiges Buch hat Karlheinz Schmidt übrigens noch nicht geschrieben.