Bad Oldesloe. Viele Ukrainer bringen tierische Hausgenossen mit nach Stormarn. In die Aufnahmeeinrichtung dürfen sie sie aber nicht mitnehmen.
Als russische Truppen vor fünf Wochen das Nachbarland Ukraine überfielen, setzten sie damit eine riesige Fluchtbewegung in Gang. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissariats haben etwa 4,1 Millionen Ukrainer ihre Heimat verlassen. In Deutschland lag die Zahl der registrierten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine Ende März bei etwa 278.000. Doch es kommen nicht nur Menschen zu uns, sondern auch Tiere. Denn für viele Haustierbesitzer ist es einfach unvorstellbar, ihre Lieblinge zurückzulassen.
Ukraine: Mädchen bringt Katze in einer Plastiktüte mit
Für Heike Reher, Vorsitzende des Vereins Tierschutz Bad Oldesloe, ist das nachvollziehbar. Dass die massenhafte Flucht aber auch deutsche Tierschützer vor Herausforderungen stellen würde, wurde ihr erst so richtig bewusst, als die Medien erste Bilder Geflüchteter veröffentlichten. Auf einem entdeckte sie ein Mädchen, das eine Plastiktüte in der Hand hielt. Daraus lugte eine Katze hervor. Seine Bindung zu dem Tier war offensichtlich so stark, dass es sich nicht von ihm trennen wollte. Ein Foto, das Reher zu Tränen rührte, aber auch aktiv in der Sache werden ließ. Denn ihr war klar, dass eine Trennung nach der dramatischen Flucht zusätzlichen Stress für Halter und Tier bedeuten würde.
Über soziale Medien startete sie einen Aufruf: Sie suchte Menschen, die Wohnraum für Geflüchtete plus Haustiere zur Verfügung stellen oder Tiere bei sich zu Hause aufnehmen wollten. Alle, die Interesse hatten, nahm sie in eine WhatsApp-Gruppe auf. Und führte viele Gespräche. „Das ist nie eine Sache von fünf oder zehn Minuten“, sagt die Tierschützerin, die das alles in ihrer Freizeit leistete. „Das würde meine Mitarbeiter zu sehr in Anspruch nehmen.“
Ukraine: Hund winselt nach Trennung von seiner Familie
Sie berichtet von einer fünfköpfigen ukrainischen Familie, die mit ihrem 14 Jahre alten Mischlingsrüden Boy angereist sei. Anfangs sei sie in der Gemeinschaftsunterkunft am Kurpark in Bad Oldesloe untergekommen. Nach einigem Hin und Her habe der Hund mit Einverständnis von Bürgermeister Jörg Lembke in der ersten Nacht bleiben dürfen – bis die Leiterin der Einrichtung Kenntnis davon bekommen habe. Der Hund müsse weg, habe es geheißen.
Reher gelang es, eine Pflegestelle zu finden, doch trotz liebevoller Betreuung habe der Hund nur gewinselt. Freitagmorgens um viertel vor sechs dann der erlösende Anruf: eine freie Wohnung in einem Zweifamilienhaus in Pölitz.
Ukraine: Geflüchtete müssen Antrag auf Umzug stellen
Doch das Prozedere erwies sich als gar nicht so einfach. „Die ukrainische Familie sollte zuerst einen Umzugsantrag stellen“, sagt Reher. Sie sorgte dafür, dass das Sozialamt die Miete übernimmt und organisierte den Umzug, für den es vonseiten der Stadt keine Unterstützung gab. Und weil die Familie dann in ihrem neuen Domizil auch noch an Corona erkrankte, erklärte sich eine Kollegin von Reher, die ebenfalls in dem Haus wohnt, bereit, Hund und Familie zu betreuen.
Nach Angaben der Kreisverwaltung haben bei ihrer Ankunft in Stormarn etwa fünf Prozent der Ukraine-Flüchtlinge Hunde, Katzen oder andere Kleintiere mit im Gepäck. Bei den kreiseigenen Aufnahmeeinrichtungen und vielen Gemeinschaftsunterkünften heißt es: Tiere müssen draußen bleiben.
Ukraine: Einige Besitzer nächtigen neben ihren Haustieren
Landrat Hennig Görtz erläutert, warum das so ist. Er sagt: „Wenn eine Turnhalle mit 200 Menschen voll belegt ist, können da nicht noch Hunde und Katzen aufgenommen werden.“ Zumindest für die drei Aufnahmeeinrichtungen in Bad Oldesloe, Ahrensburg und Braak stand schnell eine Lösung fest.
Frank Brinker, Chef des Stormarner Veterinäramts, sagt: „Das Katastrophenschutzteam hat veranlasst, dass dort im Vorwege Zelte für die Unterbringung der Tiere aufgebaut wurden.“ Diese seien beheizt, mit Strom und Licht ausgestattet, es stünden Boxen, Tiernäpfe und Futter bereit. Und es gebe auch solche Fälle: „Manche Heimtierbesitzer wollen ihr Tier nachts nicht allein im Zelt lassen und übernachten neben ihm.“
Ukraine: Wegen der Tollwutgefahr wird Quarantäne verhängt
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft weist auf seiner Website darauf hin, dass für die Einreise mit Heimtieren aus der Ukraine derzeit erleichterte Bedingungen gelten. „Die Ukraine ist nicht tollwutfrei, Deutschland jedoch weitgehend“, sagt Brinker. Unter normalen Bedingungen müssten die Tiere 21 Tage in Quarantäne. Die dürfen sie jetzt stattdessen bei ihren Besitzern im neuen Zuhause verbringen.
Doch zuvor werden sie nach ihrer Ankunft in den Aufnahmeeinrichtungen von Tierärzten untersucht, geimpft, mit einem elektronischen Chip versehen, und es wird ein Haustierausweis erstellt. „Damit wissen wir genau, wo die Tiere verbleiben, denn sie haben erst nach drei Wochen den entsprechenden Impfschutz aufgebaut.“ Geflüchtete, die auf eigene Faust mit Haustier anreisten, müssten es beim Veterinäramt melden. Brinker lobt die Zusammenarbeit mit den Tierheimen und Tierärzten im Kreis. Er sagt: „Die Unterstützung ist großartig, und ich bin richtig stolz darauf, wie gut das funktioniert.“
Ukraine: Tierärzte steuern ihre Arbeitszeit zum Nulltarif bei
Das Veterinäramt werde informiert, wenn ein neuer Bus mit Geflüchteten ankomme, und setze sich dann mit den Tierärzten in Verbindung. Der Kreis übernehme die Materialkosten für die Behandlungen, „damit die Ärzte zumindest kein Minusgeschäft machen“, die Arbeitszeit steuerten die Tierärzte zum Nulltarif bei. Vier sind es derzeit. „Wir nehmen liebend gern weitere Tierärzte auf, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir erst am Anfang stehen.“
Heike Reher hat inzwischen eine Liste der Unterkünfte zusammengestellt und diese an Frank Brinker weitergeleitet. Etwa 25 Angebote sind zusammengekommen, beispielsweise aus Bargteheide, Großensee, Bad Oldesloe, Stubbendorf und Groß Boden bis hin zur dänischen Grenze. Brinker: „Wir sammeln alle Infos.“ Die Kommunen hätten eigene Listen. „Es muss sich erst noch einspielen, wie wir das sinnvoll einsetzen können.“ Sollten die Kommunen irgendwann an ihre Kapazitätsgrenzen kommen, „dann müssen wir gemeinsam mit ihnen eine gute Lösung finden“.
Ukraine: Geflüchtete sammelten auf Weg herrenlose Katzen ein
Das Tierheim Großhansdorf hat drei Katzen und einen kranken Hund aufgenommen. Tierheim-Sprecherin Monika Ehlers berichtet, dass die Katzen „unterwegs von Flüchtlingen aufgesammelt und gerettet worden sind“. Vermutlich seien sie ihren Besitzern auf der Flucht entwischt. Den Hund hätten dessen Halter nicht mitnehmen können. Das Tierheim kümmert sich um die Aufnahmeeinrichtung in Ahrensburg, um die in Bad Oldesloe der Tierschutz und die in Braak wird von der Reinbeker Tierrechtsorganisation Einhorn betreut.
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„Dazu suchen wir dringend Hundetransportboxen, Frotteehandtücher und kleine Decken“, sagt Ehlers. Als Spende oder leihweise – für all die Tiere, die noch kommen werden.