Oststeinbek. 5000 Menschen mussten für die Entschärfung ihre Wohnungen verlassen. Die Polizei holte allein gelassene Kinder aus einem Haus.
Es ist 12.25 Uhr am Freitag, als es Entwarnung gibt in Form einer grünen Leuchtkugel, abgeschossen aus einer Pistole. Wenige Momente vorher haben Hans-Jörg Kinsky (57) und Mark Wernicke (40) ihren Job in Oststeinbek erledigt. Einen Fehler dürfen sie sich dabei nicht leisten. Er würde sie das Leben kosten. Die beiden Männer vom Kampfmittelräumdienst aus Kiel sind Experten im Entschärfen von Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg.
Diesmal handelt es sich um ein 250 Kilogramm schweres Exemplar. Sie gehen mit größter Sorgfalt vor, montieren den Zünder ab und sprengen diesen in einem Erdloch. Das dauert mehr als eine Stunde. Danach atmen die Bürger in der 9100 Einwohner zählenden Gemeinde sowie im benachbarten Glinde auf. Mehr als 5000 Menschen aus beiden Kommunen, die in einem 1000-Meter-Radius um den Fundort leben, dürfen wieder in ihre Häuser und Wohnungen zurück.
Bombenentschärfung in Oststeinbek: 5000 Menschen verlassen Gebäude
Der Einsatz auf einem Feld nahe dem Hof Posewang an der Möllner Landstraße ist für Kinsky in diesem Jahr bereits die 22. Bombenentschärfung. Er sagt: „Es hat sich doch etwas schwieriger erwiesen“, spielt damit auf die Beschaffenheit des Zünders an. Die Bombe lag rund 20 Zentimeter tief im Boden. „Der Landwirt hat unheimliches Glück gehabt“, so Kinsky. Beim Umpflügen des Feldes ist er mit seinem Gerät nur eine Fingerbreite an der Bombe vorbeigeschrammt – Jahr für Jahr.
Während die Entschärfer erst bei Helligkeit in Oststeinbek eintreffen, beginnt der Dienst für Sascha Könecke bereits um 6 Uhr an der Walter-Ruckert-Sporthalle. Der 19-Jährige von den Maltesern in Ahrensburg ist zuständig für die Sammelstelle, regelt, wo die Fahrzeuge vom Technischen Hilfswerk (THW) und Rettungsdienst parken. In der Halle werden an diesem Tag Bewohner aus dem Evakuierungsgebiet untergebracht, die nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen. 51 Menschen versammeln sich dort, darunter sind drei mit einer Corona-Infektion. Sie sind isoliert in einem Gymnastikraum.
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Bombenentschärfung Oststeinbek: Drei Corona-Infizierte begeben sich in Notunterkunft
Nicole Krafft ist mit ihrer Schwiegermutter in die Turnhalle gekommen. „Es ist kein schönes Gefühl, unser Haus liegt nur 300 Meter von der Bombe entfernt. Ich bin schon ein bisschen nervös“, sagt die 53-Jährige. Ihren Hund habe sie daheim gelassen. Sie berichtet von einem Sterbefall in der Familie und einer Verabredung mit dem Pastor um 15 Uhr. „Hoffentlich sind wir bis dahin wieder zurück.“ Vor Ort gibt es Getränke, Sandwich mit Wurst, Käse, Gurken und Röstzwiebeln. Der Eintopf ist für die Hilfskräfte gedacht. Sollte sich die Entschärfung bis in den Nachmittag verzögern, bekommen auch die Bürger eine warme Mahlzeit, erzählt der Leiter des Stützpunktes. In Glinde ist die Notunterkunft in der Sporthalle der Grundschule Tannenweg. Dort packt Bürgervorsteher Martin Radtke (CDU) mit an und unterstützt die Helfer.
Der organisatorische Aufwand ist enorm. 250 Personen von Polizei, Feuerwehr, THW, Katastrophenschutz des Kreises, Rettungsdienst, des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) und Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sowie aus den Rathäusern in Oststeinbek und Glinde sind im Einsatz, darunter 90 Polizisten aus Eutin. Die Zentrale der Beamten ist im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes.
Bombenentschärfung Oststeinbek: Polizei macht Lautsprecherdurchsagen in Wohngebieten
Die Ordnungshüter sperren zusammen mit Feuerwehrkräften ab 7.30 Uhr Straßen ab. Außerdem fährt die Polizei durch Wohngebiete und macht Lautsprecherdurchsagen, klingelt an Türen, wenn hinter den Fensterscheiben noch Leute erblickt werden. Eine Drohne ist zwar vor Ort, bleibt jedoch am Boden. Eigentlich soll die Entschärfung um 10 Uhr beginnen und eine Stunde später abgeschlossen sein. Doch der Plan geht nicht auf. Es kommt zu Verzögerungen.
Menschen, die hilfsbedürftig und nicht mobil sind, warten länger als geplant auf ihren Transport. Dann wird eine Familie in einer Wohnung ausfindig gemacht. Ob der Sprachbarriere habe sie nichts von der Evakuierung mitbekommen, heißt es. Um 10.20 Uhr meldet die Polizei Unfassbares: In einem Haus befinden sich Kinder, die Eltern sind nicht da. Das Alter der Minderjährigen wird nicht verraten. Der zuständige Polizeisprecher sagt, man habe den Vater auf der Arbeit in Reinbek telefonisch erreicht, dieser sei auf dem Weg, um den Nachwuchs abzuholen.
Blindgänger wird in Scheiben geschnitten und verbrannt
Wenn Bürger einer Anordnung der Gemeinde nicht nachkommen, die auch in Form einer Allgemeinverfügung kommuniziert wurde, kann ein sogenanntes Zwangsgeld verhängt werden. Allen Menschen war es untersagt, sich ab 8 Uhr im gesperrten Bereich aufzuhalten. „Wir entscheiden im Nachgang, ob das Konsequenzen haben wird“, sagt Oststeinbeks Bürgermeister Jürgen Hettwer. Wahrscheinlich wird er jedoch ein Auge zudrücken.
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Um 11.07 ist die Evakuierung endlich abgeschlossen, jetzt dürfen die Entschärfer ran an den Blindgänger. Menschen warten auf das grüne Leuchtsignal. Als es soweit ist, geht alles blitzschnell. Binnen weniger Minuten sind die Straßensperren abgebaut. Die Bombe nimmt der Kampfmittelräumdienst mit nach Kiel zur Zwischenlagerung. Von dort wird sie nach Munster in Niedersachsen gebracht, in Scheiben geschnitten und schließlich verbrannt.