Stormarn. In Stormarn wollen die Gleichstellungsbeauftragten, Kik-Netzwerk und Bäckereien das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.

Die Zahlen sind alarmierend. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch häusliche Gewalt getötet. Die Fälle, in denen Frauen und Kinder häusliche Gewalt erleben, sind noch viel höher. Im Jahr 2020 wurden in Schleswig-Holstein 3460 gewalttätige Übergriffe gemeldet, 171 davon im Kreis Stormarn. Und: Die Kapazitäten der Frauenhäuser reichen bei Weitem nicht aus, um alle Schutzsuchenden aufzunehmen

Bäckereien beteiligen sich zum wiederholten Mal an Initiative

Um diesen Missstand ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, beteiligen sich die Gleichstellungsbeauftragten des Kreises in Zusammenarbeit mit lokalen Bündnissen und Institutionen am „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Ausgerufen von den Vereinten Nationen, werden seit 1981 weltweit Aktionen und Veranstaltungen rund ums Thema organisiert. In Stormarn war das aus Pandemiegründen 2020 nicht möglich.

Zum wiederholten Mal beteiligt sich der schleswig-holsteinische Landesinnungsverband des Bäckerhandwerks mit der Kampagne „Gewalt kommt nicht in die Tüte“, die unter der Schirmherrschaft von Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) steht. Den Verantwortlichen ist es wichtig, wieder mehr für das Thema zu sensibilisieren.

Ahrensburger Frauenhaus hat mehr Nachfragen als Plätze

Gisela Bojer ist Koordinatorin des Kik-Netzwerks (Kooperations- und Interventionskonzept gegen häusliche Gewalt) und im Verein Frauen helfen Frauen. „Während die gemeldeten Fälle im vergangenen Jahr während des Lockdowns vergleichsweise gering waren, stiegen sie danach deutlich an.“ Das erklärt Bojer damit, dass viele Frauen während der Ausgangsbeschränkungen weniger Möglichkeiten hatten, Hilfsangebote aufzusuchen. Nicht zu vergessen: Die erfassten Zahlen zeigen immer nur die bekannt gewordenen Fälle. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist.

Besonders problematisch: Die meisten Frauen, die in Frauenhäusern Schutz suchen, müssen abgewiesen werden, wie Claudia Rattmann vom Frauenhaus Stormarn in Ahrensburg berichtet: „Mit unseren 15 Plätzen sind wir eines der kleinsten Häuser im Land. Um unserem Bedarf gerecht zu werden, bräuchten wir mindestens doppelt so viele.“

Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, damit sich was ändert

2020 war das Haus zu 96 Prozent ausgelastet – und es wäre noch mehr gewesen. Doch wegen Corona-Verdachtsfällen mussten Aufnahmestopps verhängt werden. 90 Frauen und Kinder fanden im vergangenen Jahr in der Einrichtung Schutz. 148 Frauen und 184 Kinder mussten jedoch abgewiesen werden – und das nur auf Grundlage der Anrufe, die während der Dienstzeit eingingen. Übrigens: Wer freie Plätze in einem Frauenhaus sucht, kann sich im Internet unter frauenhaus-suche.de informieren. Manchmal können Schutzsuchende in einem anderen Haus untergebracht werden, wenn die verfügbaren Plätze in dem Frauenhaus in ihrer Nähe belegt sind.

Fest steht aber trotzdem: Es muss sich etwas tun – damit sich mehr Frauen Hilfe suchen und das Thema in der Politik noch mehr Beachtung findet. Und: Öffentlichkeitsarbeit kann in dieser Sache etwas bewegen, wie Maria de Graaff-Willemsen, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Reinbek, betont: „In den vergangenen Jahren haben wir an den Infoständen erstaunlich oft Frauen getroffen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder Frauen in ihrem Umfeld kennen, auf die das zutrifft.“ Ein weiterer Beleg dafür, dass häusliche Gewalt sich stärker durch die Bevölkerung ziehe als die offiziellen Zahlen vermuten ließen. „Sie waren dankbar für die Informationsangebote.“

Hilfetelefon berät rund um die Uhr in vielen Sprachen

Claudia Rattmann hat ebenfalls positive Erfahrungen gemacht: „Zum Beispiel haben viele geflüchtete Frauen durch die Aktion überhaupt erst davon erfahren, dass es Frauenhäuser gibt. Außerdem hilft so ein Tag, Tabus zu brechen und das Thema in der Gesellschaft präsenter zu machen. Ich habe das Gefühl, da ist in den vergangenen Jahren schon einiges passiert.“

Und was passiert genau rund um den 25. November? Zum einen verteilen Bäcker in ganz Schleswig-Holstein Brötchentüten mit der Botschaft „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“. Darauf befindet sich die Nummer des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ (0800/011 60 16). Dort können sich Betroffene und Angehörige rund um die Uhr melden und bekommen in bis zu 23 Sprachen Hilfe. 44 Bäckereibetriebe geben in 300 Filialen in Schleswig-Holstein 320.000 Tüten aus. In Stormarn werden von Montag, 22. November, bis Sonnabend, 27. November, die Tüten in den Bäckereien Rohlf in Reinfeld, Hartmut Kock in Bargteheide, Leif Zingelmann in Lütjensee, in der Stadtbäckerei Henning Schacht in Ahrensburg und in der Bäckerei Baumgarten in Reinbek über den Ladentisch gehen.

Autorin berichtet in ihrem Buch über Zwangsheiraten

Außerdem sind weitere Aktionen geplant: Infostände mit den Gleichstellungsbeauftragten der jeweiligen Stadt und weiteren Vertretern von Institutionen und Netzwerken finden sich in Ahrensburg am Sonnabend, 27. November, von 10 bis um 12 Uhr auf dem Rondeel und in Reinbek am Mittwoch, 24. November, von 12 bis 13 um Uhr vor der Bäckerei Baumgarten. In Bad Oldesloe gibt es ebenfalls ein Informationsangebot am Mittwoch, 24. November, von 10 bis 12 Uhr auf dem Marktplatz.

In Glinde werden am Donnerstag, 25. November, 200 Brötchentüten bei der Glinder Tafel verteilt. Außerdem liest Autorin Rukiye Cankira am Dienstagabend, 23. November, von 19.30 Uhr an aus ihrem Buch „Das geraubte Glück – Zwangsheiraten in unserer Gesellschaft“ in der Stadtbücherei, Markt 2 (Anmeldung: stop@gutshaus-glinde.de).