Pinneberg. Tabuthema häusliche Gewalt gegen Männer: In Pinneberg bieten Experten jetzt Hilfe. Die Zahl der Opfer ist erschreckend.

Es gibt nur wenig, was mit mehr Scham behaftet ist, als wenn ein Mann Opfer weiblicher Gewalt wird. Deshalb offenbaren sich die Betroffenen, wenn überhaupt, erst spät und widerstrebend. Weil sie sich dann als Weicheier und Schlappschwänze stigmatisiert fühlen. Tatsache ist: Rund 20 Prozent aller Männer erfahren in Deutschland Beziehungsgewalt. Jeder Fünfte also. Als er die dieser Zahl zugrundeliegende Studie des Bundesfamilienministeriums gelesen hatte, kontaktierte der CDU-Politiker Carl-Eric Pudor die Pinneberger Gleichstellungsbeauftragte Deborah Azzab-Robinson. „Ich fragte sie: Welche Ansprechpartner haben solche Männer? An wen können die sich wenden?“, sagt Pudor. „Ich musste dann feststellen, dass das ein größeres Problem ist.“ Das Ergebnis dieser Überlegungen ist nun die Gründung des Pinneberger Bündnisses „Gewaltopfer Mann“. Es ist das Erste dieser Art in Norddeutschland.

In dem Bündnis haben sich Fachleute aus der Medizin, aus Sozialverbänden, aus der Kirche, aus Wirtschaft und Politik zusammengeschlossen und eine Broschüre herausgebracht, die ab sofort auch im Pinneberger Rathaus ausliegt. Alle Mitglieder betreiben Aufklärungsarbeit und sind Ansprechpartner, die voneinander wissen und Betroffenen unbürokratisch weiterhelfen. Ihr Nahziel ist die Einrichtung einer Gewaltschutzwohnung für Männer. Was Sascha Niemann (Wendepunkt), Markus Jung (Brücke Elmshorn), Peter Svejda (Wohnungsnotfallhilfe), die Gleichstellungsbeauftragte Deborah Azzab-Robinson, Jürgen Seeba (Diakonie) und der Pinneberger Urologe Matthias Bauermeister bei ihrer täglichen Arbeit für intime Details mitbekommen, bleibt im Allgemeinen unter dem Deckel der Verschwiegenheit.

Gewalt gegen Männer wird bagatellisiert

Männer reden nicht leicht über ihre Gefühle, und noch viel schwerer fällt es ihnen, über Demütigungen, psychische und physische Gewalt zu sprechen, unter denen sie leiden. „Das zu erkennen ist das Schwierigste“, sagt Matthias Bauermeister, Androloge und Urologe in Pinneberg und Vorsitzender der Ärztegemeinschaft von Urologen im Kreis. Ein Männerarzt. Einer, dem sich ein Mann im Notfall auch mal anvertraut. Gewalt gegen Männer werde bagatellisiert, zudem gingen Frauen oft subtil vor, so Bauermeister.

„Ich bin sozusagen der natürliche, niedrigschwellige Ansprechpartner von Männern“, sagt er. Symptome wie Libidoverlust und Erektionsstörungen seien bei männlichen Gewaltopfern auch dann körperlicher Natur, wenn psychische Gewalt ausgeübt wurde. „Ich kann als Arzt Motor, Anlaufpunkt und Koordinator sein, ein Eröffnungsgespräch führen“, sagt Bauermeister. Aber danach greife die Zusammenarbeit mit den Kollegen von den Beratungsstellen. Für Ärzte gelte: „Bei den Fachkollegen muss eine Sensibilisierung stattfinden. Dort ist noch nicht angekommen, dass es so etwas gibt“, sagt Bauermeister.

Weil Männer fürchten, alles zu verlieren, schweigen sie

„Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen“, sagt Sascha Niemann, der beim auf Traumafolgen spezialisierten Verein Wendepunkt in Elmshorn eine Männersprechstunde anbietet. „Gemeinsam mit dem ratsuchenden Mann entwickeln wir konkrete Schritte, um die Gewaltspirale zu stoppen. Wir hatten mit Männern zu tun, die massive Gewalt erfahren haben, massiv geschlagen wurden, auch lebensbedrohlich“, sagt Niemann. „Es ist ein langer Weg. Wir sind noch lange nicht bei der Gleichberechtigung angekommen.“

Männer, die so etwas erlebten, fragten sich: „Wer glaubt mir, wenn ich zur Polizei gehe, dass nicht ich der Aggressor bin?“ Außerdem fürchteten sie, alles zu verlieren, auch den Kontakt zu den eigenen Kindern. Deshalb schwiegen viele und ließen sich viel zu lange alles gefallen. „Es gibt eine große Hemmung, sich Hilfe zu holen. Aus Angst, verlacht zu werden“, so Niemann.

Beratungsstelle zeigt Wege aus der Beziehungsfalle

Jürgen Seeba von der Diakonie stellt fest, „dass das ein schleichender Prozess ist. Männer werden von ihren Partnerinnen immer stärker abgewertet und erniedrigt. Und nach jedem Vorfall fühlen sie sich etwas kleiner. So etwas findet über Jahre statt.“ In seiner Beratungsstelle gehe es in solchen Fällen darum, diese Männer zu stärkern und ihnen Wege aus der Beziehungsfalle aufzuzeigen. „Wenn die Frau über Jahre Täterin ist, macht das keinen Sinn, sie einzubeziehen. Meistens laufen solche Beratungen auf Trennung hinaus“, sagt Seeba. Das sei dann als Erfolg zu werten.

Steht eine Trennung an, gelte im Allgemeinen die Regel: Wer schlägt, geht, sagt Peter Svejda von der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie im Kreis. „Männer mit Gewalterfahrung brauchen einen Ort, wo sie zur Ruhe kommen und eine Perspektive entwickeln können. Deshalb fordern wir eine Männer-Schutzeinrichtung.“ In ganz Deutschland gebe es gerade mal neun solcher Institutionen mit insgesamt 27 Plätzen. „Die nächste ist in Oldenburg“, so Svejda. Habe ein Mann keine Kontrolle über die Finanzen, sei es für ihn nahezu aussichtslos, eine Wohnung zu finden, denn kein Amt erkenne eine Trennung als Grund an. Das sieht auch Matthias Bauermeister so. „Diese Männer brauchen Hilfe, um wieder in einer geordneten Struktur zu landen.“

Beziehungsgewalt gibt’s in allen Gesellschaftsschichten

Die Vorstellung vom Idealmann entspricht noch immer einer Art James Bond. Er soll allerdings auch die Spülmaschine ausräumen und die Kinder wickeln. Frauen sollen dagegen Karriere machen, zugleich aber eine gute Mutter sein, den Haushalt wuppen und eine Granate im Bett sein – Überforderung auf beiden Seiten. „Der Mann ist in seiner neuen Rolle noch nicht angekommen“, stellt Matthias Bauermeister fest. „Ich sehe eine Identifikationskrise beim Mann. Deshalb ist es auch so schwierig für ihn, aus problematischen Bindungen herauszukommen.“ Deborah Azzab-Robinson sagt dazu: „Weil wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben, ist das Thema für Männer so schambesetzt“.

Auf die Frage, ob das Phänomen Beziehungsgewalt soziologisch einer bestimmten Schicht, Altersgruppe oder den Angehörigen eines bestimmten Kulturkreises zuzuordnen sei, verneinen alle Anwesenden. Prügeln und Drangsalieren – das gibt es bei Arm und Reich, Deutsch und Nichtdeutsch, Jung und Alt.

Kontakte für Männer, die Opfer von Gewalt sind: Diakonisches Werk, 04101/845 04 30. Wendepunkt, 04121/47 57 30. Netzwerk Urologie, Matthias Bauermeister, T. 04101/20 86 22.