Reinbek. Gesundheitsminister Garg überreicht im St. Adolf-Stift in Reinbek einen Bescheid über eine halbe Million Euro. Geübt wird an Puppen.

Das Kind atmet ruhig, der Brustkorb hebt und senkt sich langsam wieder. An den winzigen Fingern lässt sich der Puls spüren. Dann beginnt es zu schreien, spannt die kleinen Arme hektisch an. Plötzlich dann Stille. Das Neugeborene liegt reglos da, die Atmung hat ausgesetzt. Die Wangen des Kindes laufen blau an, ein Zeichen, dass die Versorgung des Babys mit Sauerstoff unterbrochen ist, für die Geburtshelfer höchstes Alarmsignal.

Landesregierung fördert Schulungen für das Personal an Geburtskliniken

Im Ernstfall entscheiden nun Sekunden über das Überleben des Kindes, darüber, ob es bleibende Schäden davontragen wird. In diesem Fall handelt es sich glücklicherweise um eine Übung. Doch die ist täuschend echt: Auf den ersten Blick ist es kaum zu erkennen, dass es sich bei dem Neugeborenen, das Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) bei seinem Besuch im Reinbeker Krankenhaus St.- Adolf-Stift im Arm hält, um eine interaktive Puppe handelt.

An interaktiven Puppen trainieren Ärzte und Pfleger für den Ernstfall

ine Mitarbeiterin des UKSH schult Pflegekräfte der Reinbeker Geburtshilfestation in der Herzdruckmassage bei Neugeborenen.
ine Mitarbeiterin des UKSH schult Pflegekräfte der Reinbeker Geburtshilfestation in der Herzdruckmassage bei Neugeborenen. © HA | Filip Schwen

Dr. Andreas Bertomeu, Notarzt und Leiter des Simulationszentrums am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), steuert das Kind, bei dem es sich eigentlich um ein Hightech-Gerät handelt, per Fernbedienung. Normalerweise zeigt der Mediziner Pflegern und Ärzten der Geburtshilfekliniken daran, wie sie sich bei unerwarteten Komplikationen während und unmittelbar nach der Geburt verhalten sollten. Das ist Teil des neonatologischen Simulationstrainings „NeonatSim“, das das Institut für Rettungs- und Notfallmedizin (IRuN) des UKSH entwickelt hat. Mediziner und Fachpersonal lernen hier etwa, wie sie Sauerstoffmangel bei einem Neugeborenen behandeln, wie sie es beatmen, reanimieren und auf eine Verlegung vorbereiten.

Minister: „Personal muss auch an Kliniken ohne Perinatalzentrum vorbereitet sein“

Vieles sei ähnlich, einiges aber auch anders als bei älteren Patienten, sagt Bertomeu. „Das Angebot richtet sich speziell an die Level-IV-Geburtskliniken in oft eher ländlichen Regionen“, sagt der Projektleiter. Diese verfügten meist über eine eigene Geburtsstation, nicht aber über eine Kinderklinik. So ist es auch am Krankenhaus St.-Adolf-Stift in Reinbek. Dorthin war Gesundheitsminister Heiner Garg gekommen, um sich das NeonatSim zeigen zu lassen. „Im Verlauf einer Geburt kann es jederzeit zu Komplikationen kommen. Medizinisches Personal muss daher genau auf solche Fälle vorbereitet werden – und das nicht nur in größeren Krankenhäusern mit angeschlossenen Perinatalzentren“, sagt der Minister.

Landesregierung unterstützt Kurse mit einer halben Million Euro

Die Landesregierung unterstützt das Projekt. In Reinbek übergab Garg dem Direktor des IRuN einen Förderbescheid über 499.970 Euro. Bis Ende 2022 bezuschusst das Land das NeonatSim mit Mitteln aus dem Versorgungssicherungsfonds, den die Jamaika-Koalition neu geschaffen hatte. „Es braucht Schulungen mit einheitlichen Standards auf einem hohen Niveau, die sich an alle Level-IV-Geburtskliniken richten“, betonte Garg im St.-Adolf-Stift. So werde das medizinische Personal besser auf unerwartete Ereignisse vorbereitet und die Versorgungsqualität gerade im ländlichen Raum verbessert.

Reinbeker Krankenhaus gehört zu den ersten teilnehmenden Kliniken

Das Reinbeker Krankenhaus ist eines der ersten, das an dem Programm teilnimmt. „Wir haben nicht dauerhaft Kinderärzte im Kreißsaal“, sagt Prof. Dr. Jörg Schwarz, Chefarzt der Frauenklinik am St.-Adolf-Stift. „Wir arbeiten eng mit dem Kinderkrankenhaus Wilhelmstift zusammen“, sagt der Mediziner. Eine Verlegung in die 20 Kilometer entfernte Fachklinik dauere jedoch etwa eine halbe Stunde. Schwarz: „Mehr als 90 Prozent aller Geburten verlaufen ohne Komplikationen.“ Im vergangenen Jahr seien in Reinbek 781 Kinder zur Welt gekommen, nur bei 13 davon hätte es so starke Komplikationen gegeben, dass sie ins Wilhelmstift hätten verlegt werden müssen. „Bei sechs war eine Reanimation erforderlich, das sind unter ein Prozent aller Neugeborenen.“

Es bedarf regelmäßigen Trainings, damit im Ernstfall alles reibungslos geht

Gerade weil schwerwiegende Komplikationen so selten seien, benötigten die Mitarbeiter der Geburtsstation die Schulungen. „Das ist wie bei der Feuerwehr. Damit im Ernstfall alles möglichst schnell und reibungslos geht, bedarf es regelmäßigen Trainings“, so der Chefarzt. Gerade deshalb sei das Schulungsangebot des UKSH so wichtig.

Schulung umfasst Elemente von Geburtshilfe, Neonatologie und Teambuilding

Garg (M.) lässt sich von Leonie Hannappel und Dr. Andreas Bertomeu vom UKSH den Neugeborenen-Intensivtransportwagen erklären.
Garg (M.) lässt sich von Leonie Hannappel und Dr. Andreas Bertomeu vom UKSH den Neugeborenen-Intensivtransportwagen erklären. © HA | Filip Schwen

Das NeonatSim-Training beinhaltet Elemente der Geburtshilfe, der Neonatologie (Neugeborenenmedizin) und des Teambuildings. Geübt wird nicht nur an lebensechten interaktiven Puppen von Mutter und Neugeborenem, mit denen die Dozenten verschiedenste Notfälle und Erkrankungen simulieren können, auch theoretische Schulungen und Vorträge gehören zum zweitägigen Programm. „Im Abstand von einem Jahr wird es einen Aufbaukursus geben, bei dem zusätzlich die Transportvorbereitung, -organisation und -begleitung trainiert wird“, sagt Bertomeu. Dafür steht dem IRuN ein spezieller Baby-Intensivtransportwagen zur Verfügung. „Im Gegensatz zu normalen Rettungswagen ist er mit Geräten ausgestattet, die auf die Größe eines Säuglings abgestimmt sind und verfügt zusätzlich über einen Brutkasten“, sagt Bertomeu.

Minister lobt: „Konzept steigert Handlungsfähigkeit unserer Ärzte und Pflegekräfte“

Für das Simulationstraining ist das Fahrzeug mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet. „Dadurch wird die Übungskünstlichkeit minimiert“, so Bertomeu. Denn wie im Ernstfall befänden sich nur die Beteiligten im Wagen, alle anderen könnten von draußen zusehen und von den Kollegen im Fahrzeug lernen. „Alles wird aufgezeichnet, sodass wir den Einsatz im Anschluss gemeinsam analysieren können“, sagt der Projektleiter. Der Gesundheitsminister zeigte sich von dem Konzept beeindruckt. „Es trägt wesentlich dazu bei, die Handlungsfähigkeit unserer Ärzte, Pflegekräfte und Hebammen zu steigern“, lobte Garg.