Reinfeld. Umweltminister Jan Philipp Albrecht besucht auf seiner „Green Economy“-Tour junge Unternehmen im Norden Stormarns.

In einem alten Gewächshaus am Rande von Klein Wesenberg lagert in großen Ballen, was Ostseetouristen nicht selten stört: Seegras. Allzu oft landet es auf Deponien, damit die Seebäder ihren Gästen möglichst makellose Strände offerieren können. Dabei ist das Gras eine überaus wertvolle Naturressource. „Es hat als CO2-Speicher nicht nur einen hohen ökologischen Wert, sondern ist darüber hinaus auch ein erstklassiger Dämmstoff und eignet sich hervorragend als natürliches Füllmaterial für Kissen und Polster“, sagt Jörn Hartje.

Wirtschaft muss umweltfreundlicher werden

Der Seegrashandel des Unternehmers aus Westerau war jetzt ebenso Station der „Green Economy“-Tour des Schleswig-Holsteinischen Umweltministers Jan Philipp Albrecht (Grüne) wie zwei weitere junge GreenTec-Unternehmen in Reinfeld und Börnsen sowie die E-High­way-Teststrecke in Reinfeld (siehe rechts). „Die grüne Transformation unserer Wirtschaft ist keineswegs ein Ziel, das in ferner Zukunft liegt. Sie ist im Unternehmertum Schleswig-Holsteins längst angekommen“, so der Minister.

Angesichts des Klimawandels sei es eine der drängendsten Fragen unserer Zeit, wie sich Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft besser als bisher miteinander verbinden lassen, ist Albrecht überzeugt: „Dass wir umdenken müssen, hin zu einer umweltfreundlicheren und sozialverträglicheren Wirtschaft, ist eine der großen Lehren aus der Pandemie.“

Seegras schützt vor Kälte im Winter und Hitze im Sommer

Jörn Hartje und seine Partnerin Swantje Streich sehen in der Verwertung des Seegrases einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz. Die Ökobilanz sei kaum zu übertreffen. „Es muss nicht extra angebaut werden, die Meere spülen uns Jahr für Jahr Tausende Tonnen an Land“, erklärt Hartje. Doch statt es dort schonend aufzunehmen, werde es in der Regel mit Radladern einfach zusammengeschoben und sei dann durch die starke Vermengung mit Sand kaum noch wirtschaftlich aufzubereiten.

Der studierte Ornithologe ist auf das Thema Seegras aufmerksam geworden, als er für seine Familie ein altes, 1912 erbautes Haus kaufte. Für die Sanierung empfahl ihm eine gute Freundin, die bekannte Lehmbauexpertin Renata Wendt, zur Dachdämmung Seegras. „Es eignet sich zudem zum Verfüllen von Fassaden, Zwischenwänden und Decken“, erläutert Hartje. Und es stecke auch in den immer beliebter werdenden Tiny Houses.

Deutsches Erntepotenzial beträgt 2000 Tonnen

Seegras ist ein Baustoff, der viele gefragte Eigenschaften vereint: Es schützt mit seiner außergewöhnlichen Dämmwirkung nicht nur vor grimmiger Kälte im Winter, sondern auch vor sommerlicher Hitze. Es hat sehr gute Schallschutzwerte, ist resistent gegen Schimmel und Ungeziefer und bietet auch einen exzellenten Brandschutz.

So verwundert es nicht, dass die Nachfrage beständig wächst. Für mehr als 250 Gebäude und 20 Tiny Houses konnte das Start-up von Hartje und Streich bereits Seegraslieferungen vermitteln. Da wäre noch viel mehr möglich, sind sich beide sicher. Etwa 50 Tonnen, also fünf Lkw-Ladungen, verkauften sie derzeit pro Jahr. Das tatsächliche Erntepotenzial für die deutsche Ostseeküste liege laut Hartjes Schätzungen aber bei bis zu 2000 Tonnen.

Seegras stammt von zwei Bauern aus Dänemark

„Wir könnten also eigentlich aus dem Vollen schöpfen, doch der Ertrag aus Deutschland belief sich im Vorjahr auf null Tonnen. Wir beziehen unser Seegras bislang von zwei Bauern aus Dänemark“, so Swantje Streich. Dort wird es nach der Aufnahme zum Abwettern auf Wiesen verteilt, um durch den Regen das Meersalz auszuwaschen. Nach dem Trocknen unter freiem Himmel oder in großen Biogasanlagen werden die Fasern für den Transport wie Stroh und Heu in großen Rundballen gepresst.

Das Seegras ließe sich womöglich leichter ernten, würde man es noch vor dem Anlanden aus dem Meer holen. Das aber ist in Deutschland verboten. „So müsste man in große Salzwasserkläranlagen investieren oder mobile Waschmaschinen entwickeln. Doch an dieser Hürde haben sich bislang alle Vorgänger die Zähne ausgebissen“, sagt Jörn Hartje. Der nun umso größere Hoffnungen in den Besuch des Umweltministers legte.

Umweltminister will sich für Pilotprojekt einsetzen

Albrecht betonte seine Überzeugung, dass man einen nachhaltigen und nachwachsenden Rohstoff mit solch herausragenden Eigenschaften nicht ungenutzt auf irgendwelche Halden transportieren dürfe. „Aus diesem Grund müssen wir gemeinsam mit den Kommunen und dem Bund dafür sorgen, diese Ressource bei der energetischen Sanierung viel stärker als bisher zu berücksichtigen“, sagte der Umweltminister. Für ein Pilotprojekt wäre zudem eine Anpassung des rechtlichen Rahmens und eine Einbindung in die neue Förderperiode des Fischereifonds denkbar.

Substanzielle Fortschritte noch im laufenden Jahr sind unterdessen kaum zu erwarten. Denn die nächste Seegrasschwemme wird es an der deutschen Ostseeküste erfahrungsgemäß bereits im Herbst geben.

Info: Alle Stationen der „Green Economy“-Tour

Es gibt in der Region mehrere Start-Ups, die sich der „Green Economy“, also nachhaltigem Wirtschaften, verschrieben haben, das natürliche Ressourcen schont, Umweltrisiken reduziert und zugleich Wachstum generiert.

Die Improving Earth GmbH von Simon Jost und Karsten Lutz mit Sitz in Reinfeld handelt unter der Marke „Smooth Panda“mit nachhaltigen Hygiene- und Haushaltsprodukten vom Backpapier über die Deo-Creme bis zur Zahnbürste. Begonnen haben die Gründer mit Toilettenpapier und Küchentüchern aus Bambus.

Die bereits 1949 gegründete Spedition Bode in Reinfeld beteiligt sich nicht nur am Feldversuch E-Highway mit einem elektrifizierten Hybrid-Lastwagen. Sie erprobt zudem alternative Technologien für den Schwerlastverkehr und nutzt dabei Hybrid-, Flüssiggas-und vollelektrische Lkw.

Kompostierbaren Verpackungen aus Papier, Zellulose und Stärke hat sich die Firma Superseven von Katja und Sven Seevers aus Börnsen verschrieben. Ihre Produkte sind die Lösung für Hersteller, die nach Alternativen zur Plastikverpackung suchen.