Ahrensburg/Börnsen. Zwei Öko-Start-ups setzen auf nachhaltige Produkte. Unternehmertum auf dem Land? Passt zum Konzept. IHK unterstützt.
Wer hat’s erfunden? Ein Schweizer – natürlich. Jacques E. Brandenberger hieß der Chemiker, der 1908 die Verpackungsindustrie mit einer durchsichtigen Folie aus natürlichen Pflanzenfasern überraschte. Die Marke Cellophan war geboren. Ein revolutionäres Produkt, das allerdings schon in den 1950er-Jahren wieder in Vergessenheit geriet, als erdölbasierte Kunststoffe die ganze Welt verzauberten. Ein halbes Jahrhundert später hat sich die Erde weitergedreht. Wer heute „Plastik“ hört, denkt an die Weltmeere, an verschmutzte Strände, Mikroplastik in Mägen von Fischen.
Sven Seevers (49) sitzt in seinem Büro im Gewerbegebiet der beschaulichen Gemeinde Börnsen in der Nähe von Reinbek. In der Hand hält er eine durchsichtige Folie, die aus Abfallprodukten der Holzwirtschaft gewonnen wurde. Cellophan im 21. Jahrhundert. „Ein zukunftsträchtiges Material“, sagt Seevers, vor allem aus ökologischer Perspektive.
Mit seiner Frau Katja hat er 2017 in Wentorf das Start-up-Unternehmen Superseven gegründet und am Rande Stormarns gute Bedingungen vorgefunden: Ruhe, preiswerte Gewerbemieten und eine gute Anbindung an Hamburg. Im Februar haben sie die Räume in Börnsen bezogen, das knapp hinter der Grenze zum Kreis Herzogtum Lauenburg liegt: 120 Quadratmeter für derzeit sechs Mitarbeiter. In Berlin sitzt Partner Hannes Füting mit zwei Kollegen. Die Firma will weiter wachsen.
Erfahrener Gründer geht bedacht vor
Sven Seevers, der jahrelang in einer Agentur in der Hamburger Innenstadt gearbeitet hat, genießt die Lage, sagt: „Ein ruhiges und konzentriertes Umfeld.“ Das passe auch zu ihrer Unternehmensphilosophie: „Mit 25 Jahren Berufserfahrung stürzt man nicht einfach drauf los. Wir gehen sehr bedacht vor. Für die Branche und das, was wir machen, hat sich das als genau richtig erwiesen.“
Unter dem Markennamen „Repaq“ bietet Superseven Firmen Verpackungen an, die sich im besten Falle im eigenen Garten kompostieren lassen – TÜV-geprüft. Drei Standards haben sie entwickelt: Der höchste verrottet in der Natur, der mittlere muss dafür in industrielle Anlagen, der niedrigste lässt sich durch Recycling wiederverwerten. Nach erfolgreichem Start schauen die Gründer in eine positive Zukunft.
Erfolgsgeschichten wie diese freuen Nils Thoralf Jarck, der bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck zu den Themen Existenzgründung und Unternehmensförderung berät. In die Ahrensburger Geschäftsstelle kommen Unternehmer mit ihren Ideen. Jarck und Kollegen beraten, führen Einzelgespräche und bieten Grundkurse etwa für Existenzgründer oder zur Finanzierung an. Wie viele Start-ups es inzwischen in Stormarn gibt, kann Jarck nicht sagen und begründet das so: „Der Begriff wird inflationär benutzt.“ Auch die Übernahme eines Unternehmens könne den Charakter eines Start-ups haben. „Stormarn“, sagt Nils Thoralf Jarck, „besticht durch Wirtschaftsfreundlichkeit und die perfekte Lage. Immer wieder kommen Unternehmer aus Hamburg zu uns.“
Unternehmertum soll stärker gewürdigt werden
Existenzgründungen gebe es vor allem im Dienstleistungsbereich und in der Beratung. „Nachhaltigkeit ist auch ein großes Thema“, sagt Jarck, „sowie das wachsende Online-Geschäft.“ Die IHK wünsche sich ein positiveres Bild vom Unternehmertum. „Gerade in vielen Filmen kommen Unternehmer schlecht weg“, sagt Jarck, „die Realität sieht anders aus.“ Er selbst habe höchsten Respekt vor Menschen, die aus der Komfortzone treten und etwas bewegen.
Katrin Taylor Voss (55) ist vor einem guten halben Jahr aus ihrer Komfortzone in die Existenzgründung getreten. Bad Seeds Company heißt das Unternehmen, das sie seit September 2018 mit zwei weiteren Inhabern aus Südtirol führt. Auch bei dem Start-up der Ahrensburgerin geht es um die Neuentdeckung einer alten Tugend: Kleidung aus Hanf.
Katrin Taylor Voss hat für eine amerikanische Investmentbank gearbeitet, war für eine Wirtschaftsprüfung im Einsatz und hat international Einkaufszentren vernetzt. Jetzt will sie ihre eigenen Ideen umsetzen. „Ich mache jetzt etwas, hinter dem ich wirklich stehe. Da kann mir keiner reinfunken, und wir können zeigen, dass es tatsächlich geht“, sagt sie.
Geschäftsleute unterstützen sich gegenseitig
Mit externen Dienstleistern und mehreren eigenen Start-ups, die ein Netzwerk aus neun Personen aus Italien und Deutschland derzeit gründen, wollen Voss und Mitstreiter das Modegeschäft nachhaltig verändern, von der Saat bis zum Versand alle Schritte in die eigene Hand nehmen. 30 Tonnen Hanfsamen sind bereits gekauft, Ende April sollen sie auf einer Fläche von 60 Hektar in Italien gesät werden. „Der Stoff ist im nächsten Jahr fertig“, sagt Voss.
Auch die weiteren Bestandteile der Pflanze sollen verarbeitet werden: Die Blüte, die Cannabidiol und Cannabis (THC) enthält, helfe der Medizin, aus den Stämmen und Wurzeln ließen sich Biokunststoffe herstellen. Die Modebranche sei einer der schuldigsten Wirtschaftszweige, wenn es um das Thema Umweltverschmutzung geht, sagt Voss: „Das meiste wird für die Tonne produziert.“ Nicht so die Kleidung der Ahrensburgerin: Neben der Jeansmode aus Hanf, auf die es zehn Jahre Garantie gibt, verkauft die Firma im Netz auch Kleidung aus recycelten Baumwollstoffen: „2ND LIFE“ heißt die Linie – ein zweites Leben für abgetragene Hosen. Passt irgendwie zu Voss’ beruflicher Vita.