Bargteheide. Am Südring sind mehr als 100 Bäume gefällt worden. Stadt sieht nach „notwendigem Pflegehieb“ dort Potenzialfläche fürs Urban Gardening.

Konsterniert steht Heike Rösch vor einem städtischen Grundstück am Südring, das bis vor Kurzem noch ein dichter Wald war. Jetzt sind dort weit mehr als 100 Bäume gefällt worden, vor allem Buchen, Lärchen und Eschen. Sie liegen auf dem rund 4000 Quadratmeter großen Areal als stumme Zeugen für einen Kahlschlag, den viele Anwohner, Spaziergänger und Politiker nur schwer nachvollziehen können. „Ich bin entsetzt, wütend und traurig“, sagt Heike Rösch, deren Grundstück direkt an den „Tatort“ grenzt. „Das ist doch fast schon Irrsinn, katastrophal und unbegreiflich in einer Zeit, in der so viel über Klimaschutz gesprochen wird, auch von der Bürgermeisterin“, fügt die 80-Jährige an.

Übriggeblieben sind ein Dutzend kräftiger Bäume

Auf dem gekennzeichneten Areal blieben nur wenige Bäume stehen.
Auf dem gekennzeichneten Areal blieben nur wenige Bäume stehen. © HA Grafik | Frank Hasse

Ende vergangener Woche hatten Mitarbeiter des Bauhofs damit begonnen, den Wald radikal zu lichten. Übriggeblieben sind gerade ein Dutzend hoher, kräftiger Bäume, sogenannte Überhälter. Laut Stadtverwaltung handelt es sich um eine „zwingend notwendige Pflegemaßnahme“.

„Das ist ein Skandal, ich bin fassungslos“, sagt Karl Dziomba, der seit Jahren als Vertreter des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) Stellungnahmen zu Bauprojekten in Bargteheide abgibt. Die Stadt lasse offenbar keine Gelegenheit aus, den für die Luftqualität so wichtigen Baumbestand weiter zu reduzieren. Immer wieder würden Flächen für Nachpflanzungen gesucht, die dann zumeist weit außerhalb der Stadtgrenzen lägen. „Und hier holzt man eine der wenigen verbliebenen innerstädtischen Waldflächen einfach so ab? Wer hat das eigentlich genehmigt? Steht schon fest, wo der Baumbestand ersetzt wird?“, fragt Dziomba.

Pflegehieb diente laut Stadt der Verkehrssicherung

Die Stadtverwaltung teilte auf Anfrage dieser Redaktion mit, die Untere Naturschutzbehörde (UNB) sei schriftlich per E-Mail am 17. September über die geplante Maßnahme informiert worden, habe aber keine Stellungnahme abgegeben. „Eine Erlaubnis seitens der UNB war auch gar nicht erforderlich, da die Stadt mit dem notwendigen Pflegehieb nur ihrer Pflicht zur Verkehrssicherung nachgekommen ist“, so Stadtsprecher Alexander Wagner.

Deshalb seien im Übrigen auch keine Ersatzpflanzungen vorgesehen. Zumal es sich bei den Bäumen, deren Stammumfang 80 Zentimeter überschritten hätte, durchweg um Nadelgehölze gehandelt habe, für die die Baumschutzsatzung sowieso nicht gelte.

Gegner der Fällungen bezweifeln Rechtmäßigkeit

Das beurteilt Dziomba gänzlich anders. Aus seiner Sicht hätte die Stadt sogar eine Erlaubnis der Unteren Forstbehörde einholen müssen. „Meines Wissens sind für solch massive Fällungen auf bestockten Flächen ab einem Umfang von 3500 Quadratmetern immer Genehmigungen notwendig“, erklärt er.

Dieser Ansicht ist auch Frank Geschke, der unweit des Kahlschlags wohnt. „Als Architekt betreue ich viele Bauvorhaben, bei denen ich immer wieder mit dem Baumschutz konfrontiert werde. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier unter Einbeziehung von Gutachtern fachgerecht vorgegangen wurde“, äußert er erhebliche Zweifel. Ganz abgesehen davon, dass die Anwohner nicht einmal vorab informiert worden seien.

Streuobstwiese, Imkerei und Kräuterschnecken geplant

„Hat die Stadtvertretung nicht vor einem Jahr einstimmig einen Klimaaktionsplan beschlossen“, fragt Carsten Schröder von der Bürgerinitiative Basta, die sich seit Jahren für den Erhalt des eh schon arg dezimierten Bargteheider Baumbestands einsetzt. Aber offenkundig seien markige Worte aus dem Rathaus wichtiger als konkrete Taten. „Und wenn Bürger kritisch nachfragen, wird oft nicht einmal reagiert“, so Schröder.

Besondere Brisanz kam jetzt in das Thema, weil Anwohner erfahren haben, die Stadt wolle das ehemalige Waldgrundstück in ein „ökologisches Parkprojekt“ umwandeln. Tatsächlich soll in der nächsten Sitzung des Umweltausschusses am kommenden Mittwoch, 16. Dezember, darüber beraten werden, das Kahlschlags-Terrain in einen „großen Schrebergarten zum Stadtgärtnern“ umzuwandeln. Laut Vorlage der Stadtverwaltung sind dort Gemeinschaftsbeete geplant, „die allen offenstehen, die Lust haben, mitzuarbeiten und zu ernten“. Zudem sollen im Zuge des gemeinschaftlichen, ökologischen und weltoffenen „Urban- Gardening“-Konzepts eine Streuobstwiese, eine Imkerei, ein Heilkräuter-Lehrpfad, Kräuterschnecken sowie Lebensräume für Insekten entstehen.

SPD-Fraktionschef sieht Akzeptanz des Projekts gefährdet

Dass dafür mehr als 100 Bäume gefällt worden sind, stößt auch in der Kommunalpolitik auf Kritik. „Die SPD unterstützt die Idee von urbanen Gemeinschaftsgärten als Orten der generationsübergreifenden Vielfalt und Begegnung durchaus, aber doch nicht so“, sagt Fraktionschef Mehmet Dalkilinc.

Wieder einmal seien ohne hinreichende Beteiligung der politischen Gremien Tatsachen geschaffen worden. Wie die Bürgermeisterin agiere, werfe viele Fragen auf und gefährde die Akzeptanz des Projekts. „Frau Kruse-Gobrecht irrt gewaltig, wenn sie glaubt, dieses Projekt per Verfügung von oben diktieren zu können“, so Dalkilinc.

Wurde die Zuständigkeit von Ausschüssen missachtet?

Wenig Verständnis für die Verfahrensweise äußert auch der Fraktionsvorsitzende der Wählergemeinschaft (WfB), Norbert Muras. „Was das Ganze mit Natur- und Klimaschutz zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Die Bäume, die große Mengen CO2 gespeichert, Sauerstoff gespendet und die Luft gereinigt haben, sind jetzt weg und können diese Funktionen nicht mehr erfüllen“, moniert er. Überdies sei zu klären, ob nicht die Zuständigkeit von Ausschüssen missachtet worden sei. Auch die Grünen betonen, es habe keinen politischen Beschluss gegeben und demzufolge „schon gar keine Zustimmung von den Grünen“, sagt Fraktionschefin Ruth Kastner.

Unterdessen teilte die Untere Naturschutzbehörde mit, ihr lägen bislang keinerlei Hinweise auf Verstöße gegen das Naturschutzrecht vor. „Verstöße nach dem Landeswaldgesetz beurteilt und ahndet die untere Forstbehörde“, sagt Fachdienstleiter Erwin Posern.