Ahrensburg/Kiel. Kultusministerin Karin Prien wirbt für einen „Lernsommer 2020“. Philologenverband bezweifelt Zeitressourcen und Effizienz.

Nur zwei Wochen nach der schrittweisen Öffnung der Schulen ist die Probezeit zur Einhaltung der coronabedingten Abstandsregeln und Hygienevorschriften zumindest für Schleswig-Holsteins Grundschüler vorbei. Ab Montag werden sie bis zum Ende des Schuljahres in drei Wochen wieder im regulären Klassenverbund unterrichtet. Doch damit nicht genug. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat jetzt dafür geworben, dass alle allgemeinbildenden Schulen auch in den Sommerferien Lernangebote unterbreiten.

Corona: Kostenfreie Lernangebote in Sommerferien

„Trotz des großen Einsatzes während der Corona-Pandemie ist aufgrund der unterschiedlichen Lern- und Arbeitsbedingungen davon auszugehen, dass in diesen Wochen nicht alle Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen in dem Maße erweitert und vertieft haben, wie dies im kontinuierlichen Präsenzunterricht möglich gewesen wäre“, schrieb die Ministerin in einem Rundbrief, der dieser Zeitung vorliegt.

Explizit angesprochen werden sollen vor allem Schüler, die „zusätzliche Motivation, Förderung und Stärkung“ benötigen oder ohnehin sonderpädagogischen, sozialen und sprachlichen Förderbedarf haben. Um ihnen den Start ins neue Schuljahr zu erleichtern, sollen in den Ende des Monats beginnenden Sommerferien verbindliche, kostenfreie Lernangebote unterbreitet werden.

Kompetenzen in Kernfächern sollen gestärkt werden

Die Teilnahme an dem „Lernsommer.SH 2020“ getauften Projekt ist für alle Lehrkräfte und Schüler freiwillig, betonte Prien. Finanziell unterstützt werde es nicht nur durch das Kultusministerium des Landes, sondern auch durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern neue Wege in der Bildung“, warb Prien für die Initiative. Sie sei „ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit“.

So sollen vor allem die Kompetenzen in den Kernfächern Deutsch, Englisch, Mathematik gestärkt und entstandene Lernlücken geschlossen werden. Dabei gehe es nicht nur um gemeinsames Lernen in der Schule. Möglich seien auch Kooperationen zwischen benachbarten Schulen sowie die Nutzung von Angeboten externer Partner, etwa von Musik- und Volkshochschulen, Kulturvermittlern, Kunstschaffenden, dem Landesjugendring, sowie den Universitäten in Kiel und Flensburg.

Ministerium verlängert Frist zur Interessenbekundung

Laut Prien lagen bis Donnerstag bereits Zusagen von 30 Schulen vor. Zudem seien zahlreiche Vorschläge und Konzepte für diverse Lernangebote eingegangen. „Sie stimmen uns zuversichtlich, dass viele Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler in den Ferien unterstützen werden“, so Karin Prien.

Dennoch hat das Ministerium in Kiel die am Freitag ausgelaufene Frist zur Interessenbekundung an dem Projekt bis kommenden Freitag, 12. Juni, verlängert. Lehrer der teilnehmenden Schulen werden ab 15. Juni gezielt jene Schüler ansprechen, die die Lernangebote in den Ferien möglichst nutzen sollten. Interessierte Eltern können sich zugleich an die Klassenlehrer ihrer Kinder wenden.

Risiko einer Covid-19-Infektion steige an

„Gerade haben sich alle auf den Unterricht in Lerngruppen an bestimmten Wochentagen eingestellt, da ruft das Ministerium die Rückkehr zum Normalbetrieb an den Grundschulen aus. Das hat bei vielen Eltern für Verwirrung und Unverständnis gesorgt“, sagt Stefan Scheuermann, Vorsitzender des Kreiselternbeirats für Grundschulen.

Zumal in drei Wochen die Ferien beginnen. Wenn die Kinder jetzt wieder in Klassenstärke unterrichtet würden, steige damit automatisch das Risiko, sich mit dem Covid-19-Virus zu infizieren. „Die Leute lechzen nach den langen Beschränkungen nach Urlaub. Ihn auf diese Weise zu gefährden, ist nur schwer zu vermitteln“, so Scheuermann.

Gewerkschaft kritisiert zu viele Kurswechsel ad hoc

Genau für diese Familienzeit jetzt auch noch zusätzliche Lernangebote zu unterbreiten, sei zwar durchaus löblich, dürfte für viele aber nur schwer umsetzbar sein. „In diesem zweiten Halbjahr ist sehr viel Stoff versäumt worden. Diese Defizite sind mit einigen freiwilligen Lerneinheiten in den Ferien nicht zu beheben“, glaubt Scheuermann.

Für Astrid Henke, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist der „Lernsommer.SH“ prinzipiell zwar eine gute Idee. „Aber doch nicht so“, sagt sie. Es seien innerhalb kurzer Zeit zu viele Kurswechsel ad hoc vorgenommen worden. Diese Initiative hätte das Kultusministerium deutlich früher kommunizieren müssen.

„Erhebliche Zweifel“ an der Effizienz des Projekts

„Viele Lehrkräfte sind nach der Doppelbelastung Homeschooling und Präsenzunterricht am Limit. Sie brauchen die Ferien zum Durchatmen und Kraftschöpfen“, so Henke. Außerdem gebe es berechtigte Zweifel, dass man ausgerechnet in der Ferienzeit jene lernschwachen Kinder in die Schule locken könne, die Nachhilfe am nötigsten hätten. Auch den kurzfristig anberaumten „Normalbetrieb“ an den Grundschulen sieht Astrid Henke kritisch: „Böse Zungen behaupten, das könne vielleicht aus epidemiologischer Sicht etwas bringen. Der pädagogische Wert bleibe jedoch begrenzt.“

Das beurteilt der Philologenverband Schleswig-Holstein ebenso. „An den Gymnasien gibt es viel zu wenig Zeitressourcen, um solch einen Lernsommer wirkungsvoll zu planen und zu gestalten“, sagt der Verbandsvorsitzende Jens Finger. Deshalb gebe es „erhebliche Zweifel“ an der Effizienz des Projekts.