Ahrensburg/Reinbek. Weiterführende Schulen setzen auf Online-Plattformen. Kinder und Jugendliche müssen sich Aufgaben selbst einteilen. Eltern gefordert.
Es ist Donnerstagmorgen, Stefanie Krickhahn sitzt mit ihren beiden Söhnen Alexander und Jonas im Wohnzimmer. Auf dem Esstisch vor den acht Jahre alten Zwillingen liegen Hefte, Stifte und Bücher. Stefanie Krickhahn sitzt mit ihrem Laptop daneben. Normalerweise wären Alexander und Jonas um diese Zeit in der Schule, die beiden besuchen die zweite Klasse der Grundschule Am Reesenbüttel in Ahrensburg. Doch seit Schleswig-Holsteins Landesregierung infolge der Corona-Pandemie die Schließung aller Schulen angeordnet hat, lernt Stefanie Krickhahn mit ihnen jeden Morgen am Wohnzimmertisch.
Besonders die Eltern von Grundschülern sind gefordert
„Meine Große geht in die sechste Klasse und erledigt ihre Aufgaben selbstständig, aber die beiden Kleinen brauchen es, dass jemand daneben sitzt und sie antreibt“, sagt Krickhahn. Vier Tage in der Woche arbeitet die Ahrensburgerin als Apothekerin. Bevor sie morgens aus dem Haus geht, vereinbart sie mit Alexander und Jonas, welche Aufgaben sie bearbeiten sollen. „Zum Glück habe ich meine Schwester, die oft kommt und einen Blick auf die beiden hat“, sagt Krickhahn.
Aufgaben hat sie per Mail von der Klassenlehrerin erhalten. „Die Menge kommt hin“, sagt die Ahrensburgerin. Eine Stunde am Tag lernt sie mit den beiden, danach sollen sie 15 Minuten lesen üben. „Gleich morgens um kurz nach acht setzen wir uns ran, gegen Mittag lässt die Konzentration nach“, sagt Krickhahn. Sie betont: „Das ist schon eine Herausforderung. Ich kann nicht das leisten, was Lehrer schaffen, allein von der Didaktik und vom Pensum.“ Krickhahn gibt zu bedenken: „Nicht in allen Haushalten hat ein Elternteil Zeit, die Kinder zu unterstützen.“
Jeder Tag sei für Christin Voss Improvisation
Auch Christin Voss fühlt sich durch das Homeschooling stark gefordert. „Für die Kinder war die Umstellung schwer“, sagt die Reinbekerin. Jeden Tag unterstützt die alleinerziehende Mutter ihren Sohn (9), der in die dritte Klasse der Grundschule Mühlenredder geht, vormittags bei den Schulaufgaben. Auch mit dem Nachbarsjungen, der dieselbe Klasse besucht, lernt sie. „Seine Mutter arbeitet im Lebensmittelsektor und ist dort derzeit stark gefordert“, sagt Voss.
Sie selbst ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg und als Sozialpädagogin beim Kinder- und Jugendzentrum Oststeinbek tätig, arbeitet derzeit im Homeoffice. „Ich erstelle Videos und Podcasts, um dem Kontakt zu den Jugendlichen zu halten und muss die Hausarbeiten meiner Stundenten für das vergangene Semester korrigieren“, sagt die Reinbekerin. Da das Homeschooling den Vormittag einnehme, setze sie sich meist abends an den PC, um zu arbeiten. Voss: „Jeder Tag ist Improvisation.“
Weiterführende Schulen verlangen mehr Eigenständigkeit
Anja Gudges Töchter Marie (10) und Sophie (8) besuchen die vierte und zweite Klasse der Johannes-Gutenberg-Grundschule in Bargteheide. „Unterrichtsinhalte lassen sich von Eltern viel schwerer annehmen als von Lehrern“, meint sie. Während Anja Gudges und ihr Mann im Arbeitszimmer im Homeoffice arbeiten, sitzen Marie und Sophie daneben, bearbeiten ihre Aufgaben. „Zum Glück sind die beiden sehr selbstständig“, sagt die Bargteheiderin. „Allerdings werden die Aufgaben nicht von den Lehrern kontrolliert, das machen wir Eltern.“ Auch Gudges setzt auf feste Lernzeiten. „Nach dem Frühstück fangen wir direkt an.“ Gudges betont, dass das Lernen zu Hause einseitiger sei, Partner- und Gruppenaufgaben fielen weg.
Die weiterführenden Schulen verlangen mehr Eigenständigkeit. „Schon vor einem Jahr haben wir Iserv bekommen, das nutzen die Lehrer jetzt“, sagt Benjamin Frahm (16), Elftklässler am Eric-Kandel-Gymnasium in Ahrensburg. Bei der Lernplattform können Dokumente, Bilder und Videos in virtuelle Klassenzimmer hochgeladen werden, dazu gibt es einen Chat. „Die Lehrer stellen Aufgaben rein“, sagt der Schüler. „Die Lösungen müssen wir per PC aufschreiben und hochladen oder per Hand und dann ein Foto davon machen.“
Oberstufeninhalte zu erklären, bringe Eltern an ihre Grenzen
Für Benedict Teichmann war das Lernen im Homeoffice eine Umstellung. „Die ersten Tage war es schon ungewohnt“, sagt der 17-Jährige, der die elfte Klasse des Eric-Kandel-Gymnasiums besucht. Er sagt: „Sich zu motivieren, ist zu Hause schwieriger.“ Daher versuche er, die Schulaufgaben immer am Vormittag zu erledigen. Der Schüler sieht aber auch Vorteile: „Man kann sich einteilen, wann man was macht, muss nur sehen, dass man die bearbeiteten Aufgaben rechtzeitig abgibt“, sagt er.
Mutter Annette sieht das Homeschooling skeptischer. Sie sagt zum Abendblatt: „Es wird viel vertieft. Wenn neuer Stoff kommt, wird das ein Problem.“ Die Oberstufeninhalte zu erklären, bringe viele Eltern an ihre Grenzen. Sie gibt zu bedenken: „Nicht alle Fächer lassen sich zu Hause bewältigen.“ Gerade bei den Fremdsprachen falle die praktische Anwendung weg.
Elternbeirat beklagt diverse technische Probleme
Lotta Hermann (17) hat sich einen Lernplan für die kommenden Wochen erstellt. Die Zwölftklässlerin des Eric-Kandel-Gymnasiums sollte eigentlich bereits eine Abiturklausur geschrieben haben, doch wegen der Coronakrise sind die Prüfungstermine ungewiss. „Man wurde komplett aus der Routine gerissen“, sagt die Abiturientin. „Man muss sich die Zeit jetzt selbst einteilen und ein Gleichgewicht zwischen Lernen und Freizeit finden.“ Das sei gerade deshalb schwierig, weil es zu Hause zahlreiche Dinge – etwa ein klingelndes Handy – gebe, die ablenken könnten. „Und man hat in der Abivorbereitung nicht die Möglichkeit, den Lehrern persönlich Fragen zu stellen, das fehlt schon“, sagt sie.
Der Kreiselternbeirat der Gymnasien sieht beim Homeschooling Probleme. „Wegen diverser technischer Schwierigkeiten oder weil Eltern Bedienungsprobleme haben, versende ich täglich Mails mit Aufgaben im PDF-Format“, sagt Beiratsmitglied Katrin Jarck. „Unterschiedliche technische Ausstattungen – nicht jeder Fünftklässler hat einen eigenen Rechner – sind ein großes Problem“, so die Glinderin, deren Tochter die sechste und Sohn die neunte Klasse des Gymnasiums Glinde besuchen. „Außerdem ist die Unterstützung durch die Eltern sehr unterschiedlich. Nicht jeder hat selber das Gymnasium besucht.“
Von den Problemen berichtet auch Andrea Aust, Kreisvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. Sie sagt: „Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Elternhäuser mit Druckern ausgestattet sind, zumal auf Dauer auch nicht unerhebliche Kosten für Papier und Patronen anfallen.“ Es bestehe die Gefahr, dass „die soziale Spaltung bei der Digitalisierung einen Graben reißt.“ Aust: „Außerdem kommen nicht alle Eltern mit der Homeschooling-Situation zurecht, es kann schnell Streit geben.“ Dies könne Familien stark belasten.