Ahrensburg. Wegen der Pandemie werden Kinder zu Hause betreut und unterrichtet. Abendblatt-Redakteurin beschreibt, was das im Alltag bedeutet.
Noch nie hat es sich so gut angefühlt, meinem Sohn Pausenbrote zu schmieren, wie heute Morgen. Nach fast acht Wochen Schulschließung darf er als Viertklässler endlich wieder zur Schule. Zwar nur für zwei Stunden täglich und unter strengen Auflagen. Aber es kehrt ein wenig Normalität in den von der Corona-Pandemie geprägten Alltag zurück. Auch wenn zwei Stunden nur einige Tropfen auf den heißen Stein der Doppelbelastung von Eltern sind, kommen sie mir wie ein langersehnter Regenguss vor.
Arbeitende Mütter sind krisenerprobt
Dass durch bewegliche Ferientage der Schule oder Krankheit des Kindes immer mal wieder Sand ins Getriebe einer Familie kommt, in der beide Elternteile arbeiten, ist nichts Neues für mich. Arbeitende Mütter sind krisenerprobt. Aber was das im Januar noch von den meisten in sicherer Ferne gewähnte Virus Sars-CoV-2 nun in unserem Alltag dauerhaft durcheinanderzuwirbeln vermag, das erfordert mehr als Nervenstärke und Souveränität.
Nie habe ich mir sehnlicher gewünscht, mich vorübergehend klonen zu können. Denn seit Beginn der landesweiten Schulschließungen am 16. März gilt es für mich und Millionen anderer arbeitender Mütter (und Väter), nicht nur Job, Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bekommen, sondern auch noch die Lehrer meiner Kinder zu ersetzen. Von den Kita-Kindern ganz zu schweigen, die ebenfalls täglich in anderen Familien zu Hause beschäftigt werden wollen.
Kinder können zur echten Belastung werden
Eine Herausforderung, die mit jeder weiteren Woche Schließungszeit an den Nerven zerrt – an denen der Erwachsenen und an denen des Nachwuchses. Denn zu Hause findet nicht nur der Versuch einer Fernbeschulung statt, sondern auch noch das Homeoffice vieler Eltern. Was zunächst praktisch klingt, birgt tatsächlich seine Tücken. Wenn der Job volle Konzentration erfordert, in Ruhe Telefonate oder Videokonferenzen geführt werden müssen, dann werden Kinder, die Hilfe beim Lösen von Aufgaben und weitere Ansagen benötigen oder einfach beschäftigt werden wollen, zur echten Belastung.
Mein Sohn geht in die vierte Klasse einer Grundschule, meine Tochter besucht die neunte Klasse eines Gymnasiums. Vor der Corona-Pandemie wurde mein Sohn bis 16 Uhr in seiner Schule betreut, inklusive Mittagessen und Hausaufgabenzeit. Im Anschluss holte ihn eine Freundin der Familie ab, oder er ging mit zu einem Schulkameraden nach Hause, wenn ich lange Tage in der Redaktion hatte. Meine Tochter konnte in der Schule essen oder sich gelegentlich – wenn meine Zeit es erlaubte – mit mir zum Mittagessen treffen. Heute muss ich nicht nur darüber wachen, dass beide ihr tägliches Schulpensum erfüllen, sondern auch jeden Tag dafür sorgen, dass sie eine warme Mahlzeit bekommen. Ob dafür angesichts meiner Jobanforderungen Zeit übrig ist, danach fragen die knurrenden Mägen nicht.
Homeschooling ist Spagat und Selbstfindung zugleich
Während ich innerlich fluche ob all der Zusatzaufgaben, die mir die Corona-Beschränkungen ungefragt auferlegen, testen meine Kinder, wie viel Ausnahmen in einer Ausnahmesituation eigentlich durchsetzbar sind. Meine Tochter nutzt die Gunst der Stunde, um den heimischen Schulrhythmus ihrem Bio-Rhythmus anzupassen und verlegt das Lernen meistens in die zweite Tageshälfte. Mein Sohn hingegen musste erst lernen, zu akzeptieren, dass Homeschooling mehr bedeutet als nur Hausaufgaben zu Hause zu machen. Für ihn bedeutet zu Hause sein zu können, ohne dabei krank zu sein, vor allem eines: Ferien.
Dabei gibt es für ihn täglich einiges zu tun in Deutsch, Mathe und Sachkunde. Und auch wenn das Üben von Englisch freiwillig ist, soll es als neue Fremdsprache nicht völlig in Vergessenheit geraten. Ihn dabei zu begleiten und gleichzeitig gut im Job zu performen, ist ein täglicher Spagat.
7.15 Uhr: Der erste Kaffee mit der Lektüre des Hamburger Abendblatts ist der einzige ruhige Moment des Tages.
8.15 Uhr: Das gemeinsame Frühstück findet nur zu zweit statt, meine Tochter schläft noch. Ich bespreche mit meinem Sohn, welche Schulaufgaben für diesen Tag anstehen.
9 Uhr: Mein Telefon klingelt. Der Redaktionsleiter bittet mich, um 14 Uhr zur Pressekonferenz der Kreisverwaltung zu fahren. Ein Pflegeheim in Rümpel ist vom Coronavirus befallen. Ob ich mich vorher wohl noch in Rümpel umhören könne, wie die Menschen die Situation empfinden. Klar, Chef! Ich fange an, zum Pflegeheim zu recherchieren.
9.45 Uhr: Die morgendliche Online-Redaktionskonferenz beginnt. Ich bitte meine Kinder, mich nicht zu stören. Meine Tochter taumelt stumm verschlafen durchs Bild.
10 Uhr: Sobald ich mich aus der Redaktionskonferenz mit meinen Arbeitsaufträgen verabschiede, ruft mein Sohn das erste Mal um Hilfe. Während ich versuche, ihm die schriftliche Multiplikation mit dreistelligen Zahlen zu erklären, klingelt mein Telefon erneut. „Wir brauchen für das Schulthema unbedingt noch eine Optik. Kannst du da noch ein Bild von einer Unterrichtssituation zuliefern?“, fragt der Blattmacher. „Sobald mein Sohn hier allein weitermachen kann“, möchte ich antworten. Stattdessen sage ich: „Kümmere ich mich gleich drum.“ Und spüre, wie meine Ungeduld wächst, weil es in Mathe nur schleppend vorangeht.
11 Uhr: Ich versuche, einen Ortstermin in einer Schule zu vereinbaren. Meine Tochter passt eine Telefonpause ab und bittet mich um meine Aufmerksamkeit. Ihre Klassenlehrerin hat die Zulieferung einer genauen Buchzusammenfassung bis morgen Abend angefordert. Die Frist kommt überraschend. Vor den Ferien hieß es, das Buch werde nach der Lyrik-Einheit bearbeitet und müsse bis dahin gelesen werden. Von einer konkreten Deadline war keine Rede gewesen. Meine Tochter und ihre Mitschüler sind irritiert, die Lehrerin hingegen ist empört, dass die Schüler die Frist infrage stellen. Und ich denke: Solche Diskussionen brauche ich jetzt nicht auch noch! Das Homeschooling offenbart schonungslos, welche Lehrer und Schulleitungen gut und gern kommunizieren – und welche eben nicht. Das ist ein Lernprozess für alle Beteiligten.
12 Uhr: Ich muss los nach Rümpel. Und dann zur Pressekonferenz nach Bad Oldesloe. Meiner Tochter fällt der Job zu, sich um das Mittagessen zu kümmern. Noch offene Fragen meines Jüngsten zu seinen Schulaufgaben muss sie beantworten. Ich bin raus.
12.30 Uhr: Gerade als ich aus dem Auto steigen will, meldet sich mein Sohn auf dem Handy. Er hat Fragen zu den Verkehrserziehungsaufgaben in Sachkunde. Weil meine Tochter gerade in einer Videokonferenz mit ihrer Mathelehrerin weilt, will er meine Hilfe. Ich bitte ihn, sich zu gedulden und später seine Schwester zu fragen. Und hege den frommen Wunsch, dass seine Lehrerin eine Hotline bereit hielte.
15 Uhr: Die Pressekonferenz geht zu Ende. Ich fahre direkt in die Redaktion. Das kostet weniger Zeit. Fotos und Infos müssen zügig verarbeitet werden, der Bericht ist als Aufmacher eingeplant. Es wird ein langer Arbeitstag, weil der Heimleiter erst spät Zeit für ein Telefoninterview hat.
19 Uhr: Als ich nach Hause komme, sitzt meine Tochter noch an ihren Französischaufgaben. Mein Sohn hat seinen Tagesplan geschafft.
Schülern und Lehrern fehlt persönliches Miteinander
Ich bin gespannt auf meinen Ortstermin an der weiterführenden Schule. An der Schule meiner Tochter durften bislang nur die Abiturienten für ihre Abschlussprüfungen ins Schulgebäude. Nun werde ich auf Neunt- und Zehntklässler an einer Gemeinschaftsschule treffen.
Schüler und Lehrer beschreiben mir ihre Sicht aufs Homeschooling. Beiden Seiten fehlt das persönliche Miteinander. Videochats können die direkte Begegnung nicht ersetzen. Obwohl sich für sie nun die Art des Unterrichts vor Ort stark verändert hat, weil die sonst üblichen Partner- und Gruppenarbeiten nicht mehr möglich sind, ziehen sie das echte Schulleben dennoch dem virtuellen vor. Das geht mir im Homeoffice fern der Kollegen genauso. Es ist ein Live-Experiment, das wir alle gerade erleben. Und auch wenn die Digitalisierung einen kräftigen Schub nach vorn erhält und Lehrer wie Schüler sich in der Anwendung neuer Technologien und Formate ebenso üben müssen wie arbeitende Eltern, so leidet das Zwischenmenschliche.
Kindern vermissen die gleichaltrigen Kontakte
Mir fehlt der Austausch mit den Kollegen, Kindern und Jugendlichen fehlt der direkte Kontakt zu Freunden und Mitschülern – gleichzeitig belastet der Zusatzjob als Aushilfslehrer das Verhältnis von Eltern und Kindern. Wer einmal mit einem Grundschüler Schulaufgaben gemacht hat, darf erleben, wie stark sich Kinder an der Vorgehensweise ihrer Lehrer orientieren und jede Abweichung davon beim Homeschooling zu erheblichen Protesten führt.
Arbeitgeber und Schule erwarten gleichermaßen, dass wir funktionieren. Unser Job zu Hause ist sozusagen per se systemrelevant, unabhängig von der Profession. Wie sollen die Kinder sonst weiterkommen? Meine Tochter wird weiter im Homeschooling bleiben. Frühestens ab 25. Mai käme ein phasenweiser Präsenzunterricht infrage, heißt es aus der Schule. Das gilt auch für die Klassenstufen 7 und 8. Auch in der Redaktion werden wir das Arbeiten von zu Hause weiter schwerpunktmäßig fortführen, um Ansteckungsrisiken zu minimieren.
Haus dient als Arbeits- und Freizeitstätte
Was passiert, wenn in der Arbeitsgruppe meines Sohnes in den kommenden Wochen ein Mitschüler positiv auf das Coronavirus getestet wird, weiß ich nicht. Vermutlich bedeutet das dann Quarantäne für uns, bis wir getestet wurden. Dass unser Haus für uns gleichzeitig Arbeits- und Freizeitstätte ist, kennen wir bereits. Dann kämen eben weitere Einschränkungen hinzu. Doch eine Erkenntnis ist für mich bereits jetzt offenkundig: Alle Pflichten und Funktionen ins Häusliche zu verlagern, kann keine Dauerlösung sein.