Bargteheide. Bargteheider Fraktionschefs treffen sich jeden Dienstag zur Videokonferenz. Gemeindevertretung Großhansdorf wendet Proporzverfahren an.
Verschoben, abgesagt, fällt aus – so steht es dieser Tage in vielen kommunalpolitischen Terminkalendern im Kreis Stormarn. Eine verlässliche Planung ist kaum mehr möglich, seit die Coronakrise weitreichende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit erforderlich gemacht hat. Diverse Stadt- und Gemeindevertretungen haben daraufhin ihren Sitzungsbetrieb auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Dennoch müssen Fraktionen miteinander im Gespräch bleiben und den unverzichtbaren Kontakt zu den Rathäusern halten. Wie das möglich ist, beweisen derzeit Politik und Verwaltung in Bargteheide.
Anfang April gab es erstes virtuelles Zusammentreffen
„Es gibt drängende Themen, die einfach nicht auf die lange Bank geschoben werden können, erst recht nicht in einer Ausnahmesituation wie dieser Coronapandemie“, sagt CDU-Fraktionschef Mathias Steinbuck. Schließlich müsse eine Kommune handlungsfähig bleiben. Das seien die gewählten Volksvertreter und die Mitarbeiter der Verwaltung den Bürgern der Stadt schuldig.
Deshalb hat Mathias Steinbuck, der zugleich Erster Stadtrat ist, den Vorsitzenden der anderen Fraktionen in einer Telefonkonferenz vorgeschlagen, sich einmal in der Woche zu einer Videokonferenz zu treffen. Als Unternehmer arbeitet er seit geraumer Zeit mit der Plattform GoToMeeting und organisierte schließlich Anfang April das erste virtuelle Zusammentreffen.
Entscheidung zu Kita-Gebühren dulde keinen Aufschub
Seitdem hocken Steinbuck und seine Pendants in den anderen Parteien nun jeden Dienstag um 18 Uhr vor ihren heimischen Bildschirmen, um die wichtigsten Themen und aktuellen Erfordernisse zu beraten. Nicht immer reibungslos, wie Steinbuck zugibt. Doch seien die Dissonanzen in den meisten Fällen eher technisch bedingt. Gegen die schwache Internetverbindung in jenen Teilen von Bargteheide und dem benachbarten Tremsbüttel, die noch nicht an das leistungsstarke Glasfasernetz der Vereinigten Stadtwerke Media angeschlossen sind, könne man sich letztlich kaum wappnen.
„Dabei ist es bei etlichen kniffligen und dringenden Themen so wichtig, einander in die Augen schauen zu können“, sagt Steinbuck. Als prägnantes Beispiel nennt er den Gebührenerlass für Eltern von Kitakindern. „Solche Entscheidungen sind für viele Familien in solch einer Krise angesichts Kurzarbeit und finanziellen Nöten von existenzieller Bedeutung und dulden deshalb keinen Aufschub“, sagt Steinbuck zum Abendblatt.
Neue Eintracht im Angesicht der schweren Coronakrise
Wie finanzielle Fragen in den Beratungen der Fraktionschefs derzeit überhaupt eine besondere Rolle spielten. „Wenn es um Bedarfe wichtiger Institutionen wie der Tafel oder dem Frauenhaus geht, sind kurze Drähte in die Verwaltung gerade in diesen Wochen eminent wichtig, da darf es keinen Verzug geben“, sagt der Christdemokrat.
Norbert Muras, Fraktionschef der Wählergemeinschaft, schätzt ebenso wie Mehmet Dalkilinc (SPD) und Gorch-Hannis la Baume (FDP) den intensiven Informationsaustausch. „In dem modernen Format blühen zudem neue Ideen und eine ungeahnte Gemeinsamkeit auf“, sagt Dalkilinc. Es sei tatsächlich bemerkenswert, wie einträchtig das nicht selten von Differenzen geprägte Gremium agiere, findet auch Steinbuck. So starteten die Fraktionschefs einen gemeinsamen Aufruf zur Unterstützung des örtlichen Handels und bedankten sich samt Gruppenfoto geschlossen bei den Bürgern für die tatkräftige Unterstützung, deren Verständnis für die oft schwierige Situation und das Einhalten der Corona-Schutzmaßnahmen.
Bargteheides Organisation sei kreisweit ziemlich einmalig
Der ebenfalls eingebundene, fraktionslose Stadtvertreter Klaus Mairhöfer sieht derweil gute Synergieeffekte im Austausch mit dem Rathaus: „Wir können unsere wichtigsten Fragen vorbereiten und adressieren, die dann in der Telefonkonferenz mit Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht am Folgetag gleich besprochen werden.“ Das habe sich als sehr effizient erwiesen.
Geschätzt werde zudem deren Rückkopplung wichtiger Zahlen, Daten und Fakten rund um die Coronakrise, einschließlich notwendiger Beschaffungsmaßnahmen und Probleme, die die Verwaltung zeitnah lösen muss. „Ich denke, mit diesem Setting aus Videokonferenz am Dienstag und folgender Telefonkonferenz mit der Bürgermeisterin am Mittwoch sind wir sehr gut aufgestellt, um auch in dieser schwierigen Gesamtlage beschluss- und damit handlungsfähig zu sein“, sagt die Fraktionschefin der Grünen, Ruth Kastner. Nach allem, was sie wisse, sei es kreisweit ziemlich einmalig, wie sich Politik und Verwaltung in Bargteheide organisiert haben.
Verfassungsrechtler fordern die Rückkehr der Parlamente
Spätestens am Donnerstag, 7. Mai, soll es dann aber auch wieder die erste öffentliche Sitzung geben. Vorgesehen ist eine Sitzung des Finanz- und Wirtschaftsausschusses, in dem unter anderem über außerplanmäßige Ausgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit befunden und der Nachtragshaushalt für 2020 beraten werden soll.
Solch grundlegende Themen müssen öffentlich diskutiert werden, mahnen namhafte Verwaltungsrichter unisono. Die Versammlungsfreiheit müsse auf allen Ebenen hinreichend berücksichtigt werden, weil sie essenziell sei für den demokratischen Prozess. Nur so könne gewährleistet werden, wieder in den „demokratischen Normalzustand“ zurückzukommen.
Gemeindevertretung wurde erst verschoben und dann abgesagt
Das beurteilt auch der Bürgermeister von Großhansdorf, Janhinnerk Voß, so. Gerade hat er eine „historische“ Telefonkonferenz mit dem Ältestenrat organisiert, dem neben den Fraktionsvorsitzenden auch die Bürgervorsteher angehören. Künftig will man sich jeden Donnerstag auf diesem Weg besprechen, bis eine dauerhafte Rückkehr zu den regulären Sitzungen der Ausschüsse und der Gemeindevertretung möglich ist.
Letztere war für den 14. April anberaumt, wurde aber auf den 23. April verschoben und dann abgesagt. „Letztlich haben wir das Verfahren zur Erstattung der Kinderbetreuungskosten für April und Mai mühsam per Mail und Telefon beraten und entschieden. Das muss aber eine Ausnahme bleiben“, sagt der Großhansdorfer Verwaltungschef (siehe dazu Bericht auf Seite 20).
Sitzungen werden vorerst in den Waldreitersaal verlegt
Die Beteiligung der Öffentlichkeit sei ein hohes Gut, das nicht bedenkenlos geopfert werden dürfe. „Nicht nur die Verkündung einer Entscheidung selbst ist wichtig, sondern auch deren Zustandekommen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bürger eine Debatte verfolgen können“, erklärt Voß.
Um das zu ermöglichen, werden bis auf Weiteres sämtliche Sitzungen in den Waldreitersaal verlegt. Jenen der Fachausschüsse mit sieben und neun Mitgliedern könnten unter Wahrung der coronabedingten Abstandsregeln mindesten zehn Bürger beiwohnen. Kommt die Gemeindevertretung zusammen, der regulär 25 Mitglieder angehören plus Vertreter der Verwaltung, würde es allerdings schon eng. Deshalb habe sich das Gremium auf ein Proporzverfahren mit freiwilliger Selbstbeschränkung verständigt, um die Teilnehmerzahl auf 13 Abgeordnete zu beschränken.
Ansonsten bleibe es aber vorerst dabei, nur zusammenkommen, wenn es um wirklich wichtige Themen gehe. Das ist unter anderem am 11. Mai der Fall, wenn der Sozialausschuss über die Auswirkungen der Kitarefom diskutiert.