Reinbek. Der 72-jährige Volker Müller ist SPD-Fraktionschef in Reinbek und arbeitet auch für eine Stiftung. Zeitaufwand ist drastisch gesunken.

Normalerweise startet Volker Müller jeden Montag um 17.30 Uhr von seiner Wohnung im Reinbeker Stadtteil Neuschönningstedt und legt die Strecke zum Rathaus zu Fuß zurück. Rund 75 Minuten benötigt der 72-Jährige dafür, um sich dann im Verwaltungsgebäude mit seiner SPD-Fraktion zu besprechen, an deren Spitze er steht. In Zeiten der Coronapandemie fällt das Treffen jedoch genauso aus wie die Sitzungen der politischen Gremien. Auch hier wurde alles heruntergefahren. Die Krise bremst das Ehrenamt in vielen Bereichen aus.

Bis zu 30 Stunden pro Woche arbeitet Müller ehrenamtlich

Das gilt insbesondere für Müller, der sich an mehreren Stellen für das Gemeinwohl einbringt. Er steht aber auch exemplarisch für andere Menschen in der Region, die mannigfaltig aktiv sind. Seit Januar 1996 ist der Reinbeker Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten, besucht nahezu jeden Ausschuss. Als Vorstandsmitglied der Sönke-Nissen-Park-Stiftung mit Sitz in Glinde hat er eine weitere wichtige Aufgabe, für die er kein Geld erhält. Nicht zu vergessen sein Einsatz für die Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit (SVS).

Bis zu 30 Stunden pro Woche arbeitet Müller ehrenamtlich, mindestens aber 20. Der Großteil davon entfällt auf die Tätigkeit für die SPD. Derzeit kommt er auf acht Stunden. Und das auch nur, weil mit Silke Löbbers die Stiftungsleitung gegangen ist und einen neuen Job angetreten hat. Es gibt viel zu organisieren. „Wir beraten wegen der Coronakrise jetzt auch Selbstständige, zudem wird die Homepage überarbeitet“, sagt Müller, der dafür Tipps gegeben hat. Außerdem steht er in regem Kontakt mit den Mitarbeitern des Miniclubs – natürlich telefonisch.

Coronapandemie werde negative Folgen für die Stadt haben

Genauso ist die Kommunikation mit den Parteikollegen geregelt plus Austausch per E-Mail. Das hält sich aber in Grenzen. „Wir können derzeit ohnehin nichts bewegen“, sagt Müller. Beiseite hat er die Politik nicht geschoben, macht sich Gedanken, welche Themen demnächst angeschoben werden sollen. „Etwa neue Fußübergänge auf Straßen. Auch möchte ich über das Ärgernis sprechen, dass immer mehr Lastwagen in Wohngebieten abgestellt werden.“

Der Sozialdemokrat ist sich sicher, dass die Coronapandemie viele negative Folgen für die Stadt haben wird. „Wir müssen irgendwo einsparen und uns im Sommer mehr mit den Finanzen beschäftigen, als uns lieb ist.“ Denn die Gewerbesteuereinnahmen würden wohl sinken. Für Müller sind es vor allem zwei Projekte, an denen nicht gerüttelt werden soll: „Der Neubau der Feuerwache am Mühlenredder und die Sanierung samt Erweiterung des Schulzentrums sind Tabuthemen.“ An der Bildungseinrichtung sind schon seit Monaten Handwerker im Einsatz. Das Projekt kostet mindestens 27 Millionen Euro. Die Schule wurde im Dezember 2018 wegen eines Asbestfundes geschlossen. Als Ersatz und Übergangslösung hat die Stadt für sieben Millionen Euro einen Containercampus beim Freizeitbad gebaut.

Computergesteuerte Brille hilft Müller im Alltag

Von Langeweile ist bei Müller trotz der Einschränkungen im Ehrenamt keine Spur. Er sagt: „Ich genieße es, mich ausgiebig meinen Hörbüchern zu widmen.“ Der Reinbeker ist seit seiner Jugend nahezu blind. Retinitis pigmentosa nennen Mediziner seine unheilbare Augenerkrankung, die die Netzhaut zerstört. Angefangen hatten die Beschwerden in der vierten Klasse. Mit 17 Jahren konnte Müller dann keine Bücher mehr lesen und nicht mehr Rad fahren.

Jetzt hilft ihm die moderne Technik weiter. Um Verwaltungsvorlagen zu lesen, nutzt er einen Screenreader. Außerdem ist auf seinem Laptop ein sprachgesteuertes Programm für E-Mails installiert. Und für unterwegs hat Müller eine computergesteuerte Brille, die zum Beispiel bei Behördengängen Dokumente vorliest. Derzeit meidet der Reinbeker Orte, an denen viele Menschen zugegen sind. Die üblichen Marktbesuche am Mittwoch und Sonnabend unterlässt er. Die Einkäufe erledigt seine Tochter. Müller hört derzeit vermehrt Radio und verbringt bei Sonnenschein viel Zeit auf seiner Terrasse. „Und ich frühstücke sehr lange“, sagt der Sozialdemokrat. Außerdem habe er aufgeräumt, sämtliche alte Sitzungsunterlagen weggeschmissen.

Auch Hans-Joachim Vorbeck ist in seiner Tatenkraft gebremst

„Natürlich vermisse ich die politische Arbeit, aber noch viel mehr den Kontakt zu meinen drei Enkelkindern.“ Die beiden Jungen (acht und zwölf Jahre) sowie das Mädchen (15) leben nur sechs Häuser weiter. Weil Müller wegen seines Alters zur Risikogruppe zählt, fällt das gemeinsame Spielen flach.

Genauso wie Müller ist auch Hans-Joachim Vorbeck in seiner Tatenkraft gebremst. Der 73 Jahre alte CDU-Politiker ist seit Januar Oststeinbeker Bürgervorsteher. Er sagt: „Ich kann Aufgaben, auf die ich mich so gefreut habe, derzeit nicht nachkommen.“ Dazu zählt etwa der Besuch von Ehepaaren, die goldene Hochzeit feiern, oder von Senioren mit runden Geburtstagen. „So etwas dauert meistens länger als eine Stunde. Die Menschen geben mir in den Gesprächen auch Anregungen. Der Kontakt fehlt mir schon sehr“, sagt der Christdemokrat.

Der Politiker wünscht sich die Rückkehr zur Normalität

Seine Idee, im Mai Viertklässler ins Rathaus zu laden, ist auch nicht umsetzbar. „In der Funktion als Bürgervorsteher sind mir die Hände gebunden.“ Dafür ruht der Austausch mit den Parteikollegen nicht komplett. „Wir machen alle zehn Tage eine Fraktionssitzung über Video, das funktioniert hervorragend“, so Vorbeck.

Volker Müller erfreut sich derweil über frisch gestrichene Räume in seiner Wohnung. Der Schwiegersohn habe Hand angelegt, während er draußen an der frischen Luft gewesen sei. Der Politiker wünscht sich die Rückkehr zur Normalität, möchte dann seine Familie in ein griechisches Restaurant einladen. Der Zeitpunkt ist noch offen. Jener für eine wegweisende Entscheidung allerdings nicht: Im Januar wird sich Müller aus der SPD-Fraktion zurückziehen. „Wir brauchen neue Gesichter“, sagt der vielseitige Ehrenamtler. So ganz ohne Politik geht es für ihn 2021 aber auch nicht weiter. Zumindest im Ortsverein will sich der Reinbeker noch einbringen.