Hamburg/Ahrensburg. Bank-Geheimnisse: In unserer Serie stellen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank vor. Heute: Der scheidende Propst Hans-Jürgen Buhl.
Sein Abschiedsgottesdienst muss wegen der Coronapandemie noch warten. Im Moment hätte Propst Hans-Jürgen Buhl, der am 1. Mai in den Ruhestand geht, ohnehin mehr Lust auf eine Party, wie er verrät. Buhl war acht Jahre als einer von sieben Pröpsten für den Kirchenkreis Hamburg-Ost zuständig. Zu seinen elf Gemeinden der Propstei Rahlstedt-Ahrensburg zählen die evangelisch-lutherischen Kirchen in Weststormarn.
Der 65-Jährige blickt auf anstrengende Zeit zurück
Als er 2012 das Amt übernimmt, trägt die evangelische Kirche gerade schwer an der Aufarbeitung ihres bis dahin größten Skandals sexuellen Missbrauchs. 2010 hatte sich ein Opfer des Ahrensburger Pastors Dieter K. an die damalige Bischöfin Maria Jepsen gewandt und damit eine Aufklärung der Geschehnisse aus den 1980er- und 1990er Jahren angestoßen. Buhl, der zu diesem Zeitpunkt Leiter der Organisationsentwicklung im Kirchenkreis Hamburg-Ost ist, berät die Pastorenschaft bei der Krisenbewältigung und ist Teil eines kircheninternen Krisenstabs.
„Das war von April/Mai bis kurz vor Jahresende 2010 eine sehr anstrengende Zeit“, sagt der 65-Jährige im Rückblick. „Wir haben fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, wie wir überhaupt mit dieser Situation klarkommen konnten. Dabei sind sicher auch viele Fehler gemacht worden. Wir mussten den Impuls, sich selbst als Organisation schützen oder gar negieren zu wollen, erst einmal überwinden. Das hat eine ganze Weile gedauert.“
Buhl hätte sich Verfahren gegen Hasselmann gewünscht
Dass er schon mitten im Thema steckt, trägt zwei Jahre später dazu bei, dass die Synode ihn zum Propst für Rahlstedt-Ahrensburg wählt. Bei seiner Amtseinführung hebt Bischöfin Kirsten Fehrs seinen Charme und Humor, seine Bestimmtheit und Unerschrockenheit hervor. Was davon hat ihm im Amt am meisten geholfen? „Ich glaube, dass ich sehr gut Prozesse moderieren kann und dazu gehört vieles davon. Wenn Zugewandtheit eine Methode ist, um Leute am Tisch zu halten, ist das genauso wichtig, wie nicht erschrocken zu sein, wenn Konflikte auftauchen und die Gesprächsatmosphäre zu belasten drohen. Zur Sprache kommen zu lassen, was anliegt, war ein wichtiger Teil meiner Arbeit.“
Es wundert nicht, dass es Buhl wurmt, als 2017 das Disziplinarverfahren gegen den Ahrensburger Ruhestandsgeistlichen Friedrich Hasselmann, einem Kollegen von Dieter K., eingestellt wird. Das Kirchengericht hatte sich nochmals an Zeugen gewandt, um sie zu befragen. Mitten in die Vorbereitung platzte die Nachricht vom Verfahrensende. „Die Zeugen wurden richtig stehen gelassen, das fand ich skandalös“, sagt er. „Ich hätte mir gewünscht, dass es zu einem Verfahren gegen Herrn Hasselmann gekommen wäre, bei dem wenigstens deutlich geworden wäre, dass er seine Pflichten als Pastor und Seelsorger sträflich vernachlässigt hat. Dazu hätte es andere Formen der Offenlegung geben müssen.“ Für ihn habe das gezeigt, dass ein klarer Umgang mit Missbrauch noch immer seiner Vollendung harre. Schließlich habe der inzwischen gestorbene Hasselmann seinen missbrauchenden Kollegen damals jahrelang gedeckt und damit zum Erhalt der Situation beigetragen.
Die ungeklärte Mitwisserschaft belastet die Gemeinde weiter
„Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wie gehen wir mit Situationen um, in denen ein Mensch sich eine hohe Reputation aufgebaut hat und jetzt verdächtigt wird, Missbrauch begangen zu haben? Was machen wir mit Woody Allen oder Roman Polanski?“ Zu der Verurteilung von Hollywood-Produzent Harvey Weinstein habe vor allem die #MeToo-Bewegung beigetragen. „Unsere Gesellschaft äußert sich noch wenig klar gegenüber solchen Menschen.“
In welch gefährdeter Lage eine Institution sei, wenn ein Missbrauchender oder Pädophiler versuche, seinen Neigungen nachzugehen, sei ein Lernprozess für die Kirche gewesen. Mancher Graben, der sich auch heute noch zwischen Opfern und Kirchenvertretern, aber auch zwischen Gemeindegliedern in Ahrensburg ziehe, sei der ungeklärten Mitwisserschaft und unterlassenen Hilfe geschuldet. Es schwebe noch immer die Frage im Raum: „Wie konnten geschulte, seelsorgerisch tätige Menschen nicht aktiver in dieses Geschehen eingreifen?“ Sein kritischer Blick auf die Vergangenheit der Ahrensburger Gemeinde trug ihm nicht nur Beifall ein.
Neben der aktuellen Belastung gebe es auch Neuaufbrüche
Kollegen und Kirchengemeinderat fühlten sich von ihm teilweise angegriffen. „In Ahrensburg habe ich die Grenzen meiner Tätigkeit und Möglichkeiten gespürt. Wenn von bestimmten Personen die Autorität eines Propstes nicht anerkannt wird, weil er sich in ihren Augen in einer Missbrauchsangelegenheit nicht richtig verhalten hat, dann habe ich schlechte Karten – und das ist auch bei einigen Personen so geblieben.“
Inzwischen gab es zahlreiche Pastorenwechsel in Ahrensburg. Gerade wurden zwei neue Pastorinnen gewonnen, die im Sommer ihre Arbeit aufnehmen. Der Vorstellungsdienst habe bereits unter Coronabedingungen stattgefunden. Noch dürfe er aus formellen Gründen keine Namen nennen. Doch für ihn zeige es: „Es gibt neben der schwebenden Belastung auch Neuaufbrüche. Der Kirchengemeinderat versucht wirklich, in Ahrensburg eine Neuausrichtung hinzubekommen. Und das freut mich sehr.“ Dass er überhaupt eine Laufbahn in der Kirche einschlug, lag an seiner Beziehung zu einer Pastorentochter am Ende der Schulzeit. Geboren in Uetersen, wächst Buhl mit zwei Brüdern in Hamburg-Wandsbek auf und kommt durch seine Freundin erstmals mit einem Pastorenhaushalt in Berührung. „Als ich die Gottesdienste des Pastors erlebte, dachte ich: Nee, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Aus dieser Anti-Haltung entstand die Idee, Theologie zu studieren, um herauszufinden, was es damit auf sich hat.“ Am Ende des Studiums an der Universität Hamburg ist für ihn klar, dass er Pastor werden will.
Seine Jazzgottesdienste setzt er auch im Ruhestand fort
Er tritt eine Stelle in Rahlstedt an, das zu diesem Zeitpunkt zum Kirchenkreis Stormarn gehört, und ist elf Jahre lang Stormarner Pastor. Zu seiner Ursprungsgemeinde in Hohenhorst, „einer Enklave zwischen Jenfeld und Rahlstedt“, hält Buhl bis heute Kontakt. Kraft schöpft Buhl, der mit Lebensgefährtin Pastorin Cornelia Blum im Pastorat der St. Thomasgemeinde in Hamburg-Rothenburgsort lebt, aus dem Jazz. Seit 35 Jahren spielt er Saxofon und hört mit Leidenschaft den Jazz der 1960er-Jahre von John Coltrane sowie Free Jazz. „Aus dieser Musik schöpfe ich Verständnis für meinen Glauben.“ Die Hamburger Jazzgottesdienste, die er mit vier Kollegen vor fast 16 Jahren ins Leben rief, sind für ihn „Lebenselixier und Ausgleich des bisherigen beruflichen Lebens“, die er auch im Ruhestand fortführen wird.
Seine Abschiedstour durch die Kirchengemeinden konnte Buhl noch im Februar abschließen. Von zwei Kapellen musste er vorher im Amt für immer Abschied nehmen, in Witzhave und Todendorf. Bis 2026 will der Kirchenkreis Hamburg-Ost ein Drittel seiner 138 Kirchen und 140 Gemeindehäuser aus Kostengründen schließen. Mancherorts regte sich deshalb Widerstand, zum Beispiel in Ahrensburg für den Erhalt der St. Johanneskirche. „Die Orte haben manchmal symbolische Kraft. Und weil Symbole auch kräftig sind, können sie schwer losgelassen werden. In Ahrensburg war es auch eine Machtdemonstration gegenüber dem Kirchenkreis.“
„Ein neuer Mensch hört neu hin“
Mit dem Loslassen hat Hans-Jürgen Buhl weniger Probleme. Der Ruhestandsgeistliche will Patentante, Cousins und Cousinen in Kanada besuchen, an den Ort seines Sabbaticals vor zehn Jahren, ins japanische Kyoto, zurückkehren und vielleicht sogar einen Teil des Pilgerwegs Shikoku gehen. Seinem Nachfolger Axel Matyba, den er für die Übergabe in Paris besucht hatte, wo Matyba bislang als Pastor der deutschen Gemeinde tätig war, riet er, schnell Kontakt zu den Pastoren der Propstei aufzunehmen: „Ein neuer Mensch hört neu hin.“