Klein-Wesenberg. In unserer Serie Bank-Geheimnisse treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Rolf Granow, Gründer der Oncampus-Gmbh.
Als Rolf Granow 1993 von München auf das idyllische Grundstück an der Trave zieht, um nahe seines neuen Arbeitsortes, der damaligen Fachhochschule (FH) Lübeck, zu leben, ahnt er nicht, dass er vier Jahre später zum Pionier wird. Doch tatsächlich erschloss der heute 67-Jährige damals mit dem vom Bund initiierten Projekt „Virtuelle Fachhochschule“ im Jahr 1998 Neuland auf dem Gebiet der Digitalisierung im Bildungswesen.
Seit Ende 2018 genießt der 67-Jährige seinen Ruhestand
Im Verbund mit elf weiteren staatlichen und privaten Fachhochschulen aus sieben Bundesländern schuf der Professor für Management und Organisation im Fachbereich Maschinenbau eine Online-Plattform für Fernstudiengänge und virtuelle Lernangebote – ein Novum in der akademischen Hochschullandschaft. Die FH Lübeck wurde damit bundesweit führend im Bereich der berufsbegleitenden Online-Bildung und gewann internationale Anerkennung.
Für Rolf Granow lag der Reiz in der Möglichkeit, „mit wenig viel verändern zu können“. Er und sein Team hätten mit dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Technologie wohlwollend und konstruktiv zusammengearbeitet, erinnert sich Granow, der zuvor in der Wirtschaft tätig war und seit Ende 2018 seinen Ruhestand in Klein-Wesenberg genießt.
Granow nutzt weder Fernseher noch Streaming-Dienste
Der gebürtige Gütersloher blickt auf Meilensteine im E-Learning zurück, die er wesentlich mit ins Rollen brachte: 2003 baut er als Geschäftsführer die Oncampus GmbH auf, ein Tochterunternehmen der Fachhochschule Lübeck. Heute bietet sie online 36 Fernstudiengänge sowie 72 Fernlehrgänge in den Themenfeldern Informatik, Wirtschaft, Technik, Chemie, LifeScience und Soft Skills an. Wer beim Oncampus studiert, immatrikuliert sich bei einer der beteiligten Hochschulen des Verbunds, die den jeweiligen Studiengang anbieten und nach Abschluss den akademischen Titel vergeben. Das Prinzip ist einfach: Unter der Woche wird online gelernt, am Wochenende gibt es Präsenzveranstaltungen an der Hochschule.
Die bundesweite Vernetzung reicht dem Mann, der weder einen Fernseher besitzt noch Streaming-Dienste oder soziale Medien nutzt, nicht. Er schließt 2004 einen Kooperationsvertrag zur gemeinsamen Entwicklung und Durchführung akademischer E-Learning-Angebote mit ausländischen Hochschulen aus dem Ostseeraum, die Geburtsstunde des Baltic Sea Virtual Campus. „Der Mehrwert lag darin, internationale Lernangebote zu haben, bei denen Menschen aus verschiedenen Ländern gemeinsam lernen können.“ Bei den Kooperationen rund um die Ostsee habe sich gezeigt, dass die Deutschen die größten Bedenkenträger beim Teilen von Wissen waren. „Die Skandinavier waren offener für Innovationen. Während deutsche Partner Vorbehalte bezüglich des Datenzugangs hatten, waren die Schweden und Dänen da anders“, so Granow. „Dort steht alles öffentlich im Netz, auch jeder Steuerbescheid.“ Als ihm die Universität Danzig in Polen vor fünf Jahren für seine Verdienste im E-Learning eine Goldmedaille verleiht, präsentieren ihm Studenten ihre Abschlussprojekte. „Sie kamen zu Lösungen, die ganz anders waren als das, was unsere Studenten machten“, sagt Granow. „Dadurch, dass die Menschen beim Online-Kursus in ihrem Kontext bleiben, spiegeln sie das Gelernte viel mehr an ihrer Arbeitsumgebung.“
Online-Vernetzung ermöglicht kollaboratives Lernen
Was das Online-Studium von Anfang an vom klassischen Fernstudium unterschieden habe, sei das kollaborative Lernen gewesen. Berufstätige, die abends lernen, profitierten davon, dass sie dies mit mehreren online zusammen tun. Das helfe fürs Ergebnis und für die Disziplin.
Granow treibt die weltweite Vernetzung für die akademische und berufliche Ausbildung stetig voran. 2005 besucht er das erste Mal eine private Hochschule im äthiopischen Addis Abeba, wo Oncampus eine Reihe von Informatik-Kursen einführt. Zunächst noch mit vielen Präsenzzeiten, weil niemand sicher gewesen sei, wie viel die äthiopischen Studenten am Ende beherrschen würden. „Tatsächlich konnten sie hinterher ungefähr das, was die deutschen Studenten auch konnten“, stellt Granow fest. Dann sei der Gedanke gewesen: „Wenn wir jetzt schon nicht mehr persönlich dahin müssen, warum beschränken wir unser Angebot noch auf Addis? Bieten wir die Kurse doch einfach im Netz an.“
Er entwickelte eine Reihe spezifischer Kurse
Fortan hätten bei Oncampus Europäer und Afrikaner gemeinsam gelernt. „Wir haben die Konditionen für Afrika angepasst und die Kurse fünf Mal günstiger angeboten.“ Als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, nutzt Granow den Oncampus zur Integration. „Unsere Erfahrung zeigte, das syrische Studenten projektbezogenes und eigenständiges Arbeiten erst lernen müssen. Wenn wir sie im Netz lernen lassen, erwerben sie eine Qualifikation, die für ihre gewohnte Arbeitsumgebung ausreicht. Aber damit kennen sie noch nicht die westeuropäische Organisation und Struktur, die Unterschiede in Fragen der Arbeitssicherheit, Gleichstellung oder Hierarchie“, so Granow.
Deshalb entwickelte er eine Reihe spezifischer Kurse, um zu vermitteln: Was ist hier anders? Und wie funktioniert die Organisation hier? Sein integration.oncampus.de bietet Geflüchteten seitdem auf mehreren Sprachen, darunter Arabisch und Farsi, überwiegend kostenfreien Zugang zu Bildungsthemen, um sich auf Job oder Studium vorzubereiten. Besonders großen Zustrom erfahre die Plattform aus Nordafrika.
In den letzten beiden Jahren seiner Tätigkeit habe er festgestellt, dass die Digitalisierung zunehmend die Fallstudien der Studenten präge. „Das war plötzlich keine akademische Aufgabenstellung mehr, sondern ein echtes Projekt, das über das Semester hinaus weiterlief. Ich hatte zwei Studenten aus der Entwicklungsabteilung von Beiersdorf, bei denen es um die Frage von Social Media Marketing für den B2B-Bereich ging. Erst hieß es, das mache die PR-Abteilung, wir kommunizieren doch nicht im Netz“, so Granow gegenüber dem Abendblatt.
Das Land verlieh ihm 2018 einen Verdienstorden
Da dies im Social Media Marketing aus Authentizitätsgründen gar nicht immer durch Dritte möglich sei, mussten seine Studenten klassische Funktionsstrukturen aufbrechen und verstehen lernen, dass sie auch selbst kommunizieren müssen. Über Grenzen hinweg anteilig zusammenarbeiten zu können, sei heute eine notwendige Grundkompetenz. Durch die fortschreitende Digitalisierung werde sich das weiter verstärken, ist Granow überzeugt.
Im letzten Jahr seiner Berufstätigkeit würdigte das Land Schleswig-Holstein Rolf Granow mit einem Verdienstorden für seine Leistungen. „Ein sehr hohes Zeichen von Wertschätzung für das, was ich im Bereich der Digitalisierung getan habe, und über das ich mich sehr gefreut habe.“ Zu tun gebe es indes noch genug auf diesem Gebiet, meint Granow. Die Transformationsgeschwindigkeit in Deutschland sei noch zu gering, auch wenn er in Klein-Wesenberg schon seit 2013 über einen Glasfasernetzanschluss verfügt. So hätten Familienangehörige seiner Frau, die bei Osnabrück leben, noch kein Internet mangels Zugang. „Durch die Digitalisierung werden Dinge ganz anders. Und man muss eigentlich dieses Andere gestalten. Wenn man zu lange an Altgewohntem festhält, verliert man den Blick dafür, wo Neues entstehen kann.“
Das Leben in Stormarn habe einen hohen Mehrwert
Im Alltag bereitet ihm die digitale Transformation neben dem Online-Shopping am meisten beim Lesen Freude. „Ich nutze überwiegend das Tablet zum Lesen, denn dann kann ich gleich auf Sekundärquellen zugreifen, erklärende Videos anschauen, auf Google oder Wikipedia etwas nachschlagen. Das macht die Lektüre interessanter.“ Wenn er noch ein Druckexemplar liest, renne er ständig zum PC, um zwischendurch etwas online zu recherchieren. Es sei schöner, das direkt beim Lesen zu erledigen. „Ein Tablet ist kein Buchersatz, aber es macht ein Buch eigentlich überflüssig. Wenn ich chatten würde, könnte ich mich über das Gelesene auch gleich mit anderen austauschen. Das hat einen hohen Mehrwert.“
Einen hohen Mehrwert hat für den Pensionär auch das Leben in Stormarn. Von der hölzernen Plattform am Ende seines Gartens geht Granow im Sommer morgens in der Trave schwimmen, abends rudert er mit seiner Frau Gundel noch ein wenig den Fluss aufwärts und lässt sich dann wieder zurücktreiben. Etwas, was er von der Digitalisierung nie sagen würde. Die dürfe nur schnell vorwärts gehen.