Ahrensburg. Kunden beschweren sich über Terminausfall und geschlossene Recyclinghöfe. Verantwortliche bitten um Augenmaß in der Coronakrise.

Geschlossene Recyclinghöfe und jeweils ein Ausfall von Rest- und Biomüllabfuhr führen offenbar zu blank liegenden Nerven bei etlichen Bürgern. Bei der Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH), die die Entsorgung in den beiden Kreisen Stormarn und Südholstein organisiert, und der Kreisverwaltung häufen sich die wütenden Beschwerden. „Die Aggressivität in E-Mails und Telefonaten nimmt spürbar zu“, sagt AWSH-Sprecher Olaf Stötefalke.

Einschränkungen sind bundesweit kein Einzelfall

Das bestätigt auch Landrat Henning Görtz, Chef der Kreisverwaltung und in dieser Funktion auch Mitglied des AWSH-Aufsichtsrates. „Der Verzicht auf einige Leistungen bei der Abfallentsorgung scheint vielen schwerzufallen“, so Görtz in einer mit seinem lauenburgischen Landratskollegen Christoph Mager verfassten Erklärung. Ganz direkt bekommen die Müllwerker auf der Straße den Hass zu spüren. „Unsere Mitarbeiter berichten, dass sie beschimpft, bepöbelt und sogar bespuckt werden“, sagt Stefanie Conte, Prokuristin der Geesthachter Firma Grabau Entsorgung GmbH (GEG), die die grauen und braunen Tonnen leert.

Dabei sind die von der Coronakrise ausgelösten Einschränkungen bundesweit kein Einzelfall. So sind nahezu alle Recyclinghöfe in Schleswig-Holstein geschlossen, unter anderem in den Städten Flensburg, Kiel und Lübeck. Bayern hat viele Wertstoffhöfe und auch Kompostplätze ebenfalls stillgelegt, um Mitarbeiter und Kunden vor einer Virusausbreitung zu schützen. Auf anderen Anlagen ist der Betrieb eingeschränkt. Besucher werden gebeten, nur in dringenden Fällen zu kommen.

Trittauer will Konsequenzen für die AWSH-Leitung

In Nordrhein-Westfalen haben unter anderem Münster und Wuppertal alle Recyclinghöfe geschlossen, in Hessen der Main-Taunus-Kreis. Der Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover (aha) hat seine Wertstoffhöfe und Grünannahmestellen gesperrt, weil es „zu Szenen gekommen ist, die nicht mehr tragfähig waren“. Die zum Teil erheblich aggressiv vorgebrachten Ansprüche hätten nichts mit den aktuell erforderlichen echten Bedarfen zu tun.

Engpässe gibt es auch bei der Müllabfuhr. So werden im Landkreis Würzburg keine Papiertonnen mehr geleert und in der Stadt Würzburg keine Biotonnen. Nürnberg holt Biomüll nur noch zwei- statt einwöchentlich ab, außerdem gibt es Terminverschiebungen.

Trittauer vermisst plausible Begründungen für kurzfristige Absagen

Unter den Protesten, die Landrat Henning Görtz erreichen, ist auch der des Trittauers Beat Sanne. Der pensionierte Logistikmanager sieht einen „teilweisen Leistungs-Shutdown der AWSH“, deren Führung er angreift: „In der freien Wirtschaft wäre ein solches Verhalten, wie es die AWSH jetzt wiederholt gezeigt hat, nicht von eindeutigen Konsequenzen verschont geblieben.“

Beat Sanne vermisst plausible Begründungen für die kurzfristige Absage der Bio- und Restmüllabholung. Allgemeine Hinweise auf Krankheit (Grippe und Corona) und fehlende Ersatzteile für Fahrzeuge reichen ihm für einen 50-Prozent-Ausfall nicht aus. Er bemängelt, dass die Kunden sich selbst um Zwischenlagerung kümmern sollen und die AWSH keine Lösungen anbiete. Das komme „einem leitungsbezogenen Offenbarungseid sehr nahe“.

„Unüberlegtes und nicht situationsgerechtes Führungshandeln“

Eine sofortige kostenlose Verteilung von Abfallsäcken wäre in Verbindung mit einer Entschuldigung das Mindeste gewesen, was man hätte erwarten dürfen. Aus dem „Desaster von 2018“ – damals gab es wegen Kündigungen und Krankschreibungen bei GEG teilweise Wochen-Verspätungen – habe man wohl nicht oder nicht ausreichend gelernt und ein funktionsfähiges Notfallmanagement eingerichtet.

Weil 2021 die Firma Willi Damm den Auftrag von GEG übernimmt, befürchtet Sanne weitere Probleme bis zum Jahresende. Seine Recherchen wiesen darauf hin, das „hier ein sehr konkretes Versagen des Managements auf beiden Seiten vorliegen muss, welches man mit der Auftragsbeendigung seitens AWSH zu überdecken versucht“. Ein weiteres Indiz für „unüberlegtes und nicht situationsgerechtes Führungshandeln“ der AWSH seien die Schließungen der 23 Recyclinghöfe. Warum nur fünf wieder eröffnet wurden, erschließe sich nicht.

Landrat erinnert an den einmaligen Ausnahmezustand

Jetzt seien die Landräte gefordert, so Sanne. Sie müssten erklären, wann Kunden mit garantierten Entsorgungen rechnen können und welche finanziellen Konsequenzen zu erwarten sind.

Das möchte auch der Glinder Hanns-Christian Nicken wissen, der seine E-Mail an Landrat Görtz auch dem schleswig-holsteinischen Innenministerium zugeleitet hat. Unter dem Betreff „Das Versagen“ schreibt Nicken: „Leider kann die AWSH ihren rechtlichen Verpflichtungen aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetzt nicht nachkommen – und wie passend, dass man dazu angebliche Coronafälle als Ausrede nutzen kann.“ Das scheine ebenso nicht zu stimmen wie die fehlende Ersatzteilversorgung. Sowohl der Fahrzeughersteller als auch der Hersteller der Pressen habe dem Glinder mitgeteilt, dass es keine Rückstände in der Belieferung gäbe. Sein Fazit: „Leider scheint der Kreis Stormarn und damit die AWSH mit der Aufgabe überfordert zu sein.“

Der AWSH-Aufsichtsrat werde ständig auf dem Laufenden gehalten

Der Landrat bittet um etwas mehr Verständnis und Augenmaß. „Wir alle befinden uns im Ausnahmezustand, das sollte man nicht vergessen“, sagt Henning Görtz zum Abendblatt. In vielen Betrieben gebe es größere Einschränkungen. Beispielsweise bereite auch die Deutsche Post starke Einschnitte vor.

Der AWSH-Aufsichtsrat werde ständig auf dem Laufenden gehalten, und man habe durchaus reagiert. „Erstens sind fünf Recyclinghöfe wieder geöffnet, um unaufschiebbare Dinge zu erledigen. Zweitens verringern wir die Entgelte, sodass Bürger keinen finanziellen Schaden haben. Drittens kann in Härtefällen wie bei Familien mit Windeln zum nächsten Restmülltermin ein blauer Abfallsack zur Tonne dazugestellt werden.“

Viele der Mitarbeiter seien in häuslicher Quarantäne

AWSH-Sprecher Olaf Stötefalke ergänzt, dass das Unternehmen (die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg halten jeweils 25,5 Prozent, die Service Plus GmbH 49 Prozent) an weiteren Ersatzlösungen arbeite. „Sachliche Fragen kann man immer haben“, sagt er, „Anfeindungen und Unterstellungen bringen aber niemand weiter.“

GEG-Prokuristin Stefanie Conte sagt, auf einen in dieser Jahreszeit üblichen Erkältungsausfall personell vorbereitet zu sein. „Aber das übersteigt jetzt den normalen Krankenstand“, sagt sie. Mitarbeiter seien in häuslicher Quarantäne, zwei Corona-Verdachtsfälle warteten zudem auf das Testergebnis. Andere Kollegen hätten große Probleme mit der Kinder-Notfallbetreuung.

Stefanie Conte wünscht sich für ihre Kollegen mehr Respekt

Im Unterschied zu anderen Branchen könne man nicht mit Kurzarbeit oder Homeoffice reagieren. Im Gegenteil: „Durch die vielen Neubaugebiete ist die Arbeit seit sechs Jahren mehr geworden.“ Zusätzliches Personal sei schwierig zu finden. Bundesweit fehlen laut Verbandsangaben schon mehr als 60.000 Lastwagenfahrer. Die Fahrzeuge lasse GEG in einer Vertragswerkstatt reparieren, die Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen habe. Die Iveco-Stalis-Müllfahrzeuge werden in Spanien gefertigt, dem neben Italien vom Coronavirus am stärksten betroffenen Land.

Für ihre Kollegen draußen auf den Straßen wünscht sich Stefanie Conte mehr Respekt. Bei allen Beleidigungen gebe es auch positive Ausnahmen: „Gerade hatte ein Kunde Dankeschön-Schokolade auf seine Mülltonne gelegt.“