Ahrensburg/REINBEK. Gemeinschaftsschulen melden laut Gewaltmonitoring landesweit die meisten Taten. Der Kreis schneidet im Vergleich gut ab.
Die Ergebnisse des ersten landesweiten Gewaltmonitorings an Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Schulen lassen aufhorchen: Obwohl nur gut ein Viertel der Schüler Gemeinschaftsschulen besucht, kamen von hier 72,5 Prozent aller Gewaltmeldungen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien sieht darin „ein großes Problem“.
Doch das spiegelt sich an Stormarns Gemeinschaftsschulen nicht wider. Mit 31.012 Schülern hat der Kreis einen Anteil von 8,4 Prozent an den landesweiten Schülerzahlen. Sie machen mit 1,2 Prozent das geringste Meldeaufkommen von Gewaltvorkommnissen aus. Die Gemeinschaftsschulen im Kreis müssen nach eigenen Angaben nur selten Gebrauch davon machen.
Gewalt an 149 von 795 Schulen in Schleswig-Holstein
Spitzenreiter im Negativ-Ranking ist die Landeshauptstadt Kiel mit 21,9 Prozent, gefolgt vom Kreis Segeberg (zwölf Prozent) und dem Kreis Pinneberg (8,9 Prozent). Erstmals hatte das Bildungsministerium für das Schuljahr 2018/2019 Fälle von Gewalt in einer zentralen Datenbank erfasst. Erfasst wurden Fälle von Körperverletzung, psychischer Gewalt, Cybermobbing, sexuelle Übergriffen und Diebstähle, die mit Schulverweis, Suspension oder der Versetzung in eine Parallelklasse geahndet wurden.
149 von 795 Schulen in Schleswig-Holstein hatten Gewaltvorkommnisse gemeldet. Knapp die Hälfte der Meldungen (43,4 Prozent) betrafen Körperverletzung, jede fünfte Diebstahl oder psychische Gewalt. Zwei Drittel der Opfer waren Schüler, die Lehrer machten 15,7 Prozent aus.
Bei jedem fünften Fall wurde die Polizei eingeschaltet. In 54 Fällen kamen Waffen oder waffenähnliche Gegenstände zum Einsatz. Wie sich der Stormarner Anteil von 1,2 Prozent auf die unterschiedlichen Vorfälle verteilt, darüber macht das Bildungsministerium auf Anfrage keine Angaben.
Bei jedem fünften Fall wird die Polizei eingeschaltet
Landesweit werden 84 Prozent aller Taten von Jungen begangen, die meisten davon im Teenager-Alter. „Ich bin seit fünf Jahren hier“, sagt Wolfgang Jakobi, Leiter der Ahrensburger Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule (SLG). Ich habe noch keinen einzigen Fall melden müssen. Wir sind eine friedfertige Schule und haben selten gewalttätige Übergriffe.“ Ein Grund dafür könnten die Konfliktlotsen sein, die seit 20 Jahren an der Schule im Einsatz sind. Schüler des achten Jahrgangs können sich von fortgebildeten Lehrern als Streitschlichter schulen lassen, danach bei Konflikten unter den 632 Schülern regulierend eingreifen.
Dieses Prinzip greift nicht nur an der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule in Ahrensburg. Rund die Hälfte aller Schulen in Stormarn verfügt über Konfliktlotsen, darunter auch Grundschulen. „An jeder Schule gibt es ein bis drei Lehrer und Sozialpädagogen, die in der Lage sind, Konfliktlotsen auszubilden“, sagt Petra Linzbach, Kinder- und Jugendschutzbeauftragte des Kreises. „Wir halten das für wichtig. Konfliktlotsen dienen als erste Anlaufstelle für Schüler und verfügen über die kommunikative Kompetenz, Streit zu schlichten. Sie haben gelernt, wo ihre Grenzen sind und wann eine Lehrkraft dazu kommen muss.“
Infos rund um das Thema Mobbing in der Schule:
- Bei Mobbing setzt eine einzelne Person oder eine ganze Gruppe einem Kind über einen längeren Zeitraum immer wieder zu.
- Direktes Mobbing: Dazu zählen verbales Mobbing wie Drohungen, Hänseleien und Spott sowie physisches Mobbing wie Schläge, Schubsen oder Zwicken.
- Indirektes Mobbing: Darunter versteht man unter anderem Ausgrenzung und Beschädigung des Rufs.
- Ursachen für Mobbing unter Kindern: Wut, Langeweile, Unzufriedenheit, Neid, geringe Konfliktfähigkeit, geringes Selbstwertgefühl.
So ist klar geregelt, dass etwa Mobbingfälle, die landesweit 7,1 Prozent der Meldungen ausmachen, nicht von Konfliktlotsen gelöst werden. „Wir haben seit mindestens sechs Jahren an jeder Schule einen Anti-Mobbing-Experten“, sagt Linzbach. „Kreisweit wurden dafür 20 Lehrkräfte vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen (IQSH) fortgebildet, das auch über ein Zentrum für Prävention verfügt.“
Über Höhe der Dunkelziffer lässt sich nur mutmaßen
An der Reinbeker Gemeinschaftsschule Mühlenredder zählen Cybermobbing und Raufereien unter den Schülern zu den häufigsten Vorkommnissen. Doch auch davon gebe es nur wenige, sagt Schulleiter Dirk Böckmann. 2018 habe die Schule drei Fälle melden müssen, weil sie einen Verweis mit Schulausschluss nach sich zogen. Es seien Einzelfälle, sagt Böckmann, der an seiner rund 730 Schüler zählenden Einrichtung noch keine Konfliktlotsen im Einsatz hat.
Wie hoch die Dunkelziffer an Vorfällen ist, lässt sich nur mutmaßen. Denn erst, wenn Übergriffe eine schulische Ordnungsmaßnahme nach sich ziehen, finden sie Eingang in die Datenbank fürs Gewaltmonitoring. In der Regel melden sich Klassenlehrer zunächst beim Schulsozialarbeiter, um Konflikte zu lösen. In einer Klassenkonferenz werden Täter, Opfer und auch Eltern befragt, anschließend Maßnahmen abgestimmt.
„Dann wird abgewogen, ob der Täter zum ersten Mal auffällig wurde, wie schlimm die Tat ist und wie er sich danach verhalten hat“, sagt Stormarns Schulrat Michael Rebling. „Eine Ermahnung oder schriftliche Missbilligung gelten noch nicht als Ordnungsmaßnahme.“ Wenn es zur Ordnungsmaßnahme wie zum Beispiel einer Suspendierung kommt, so Rebling, würde diese von pädagogischen Maßnahmen begleitet. Dazu zählten ein Anti-Gewalt-Training, Anti-Mobbing-Training, Sozialdienste oder Gespräche mit dem Opfer unter Einbindung der Schulsozialarbeit.
Schulleiter wünscht sich mehr Personal für Sozialarbeit
Mit der zentralen Erfassung von Gewaltvorkommnissen kann das Bildungsministerium ab sofort jene Fälle in Zahlen messen, die unterhalb von Straftatbeständen und damit außerhalb der Kriminalitätsstatistik liegen. Die Ergebnisse wertet das Ministerium mit der Schulaufsicht und den Schulleitungen aus.
Ziel sei es, so Bildungsministerin Karin Prien, eine neue Kultur im Umgang mit schulischer Gewalt zu erreichen. Dafür würden neben dem IQSH auch Träger und externe Experten hinzugezogen. Auf Basis der Datenauswertung will das Land den Schulen passgenaue Präventions- und Interventionsangebote machen.
Gleichwohl sei es erst in zwei bis drei Jahren verlässlich möglich, anhand des Gewaltmonitorings Entwicklungen an den Schulen zu erkennen, wie Ministerin Prien jüngst im Landtag erklärte. Das beste Mittel gegen Gewalt sei die Kommunikation, meint Wolfgang Jakobi von der SLG. Gespräche mit Kindern und Eltern ebenso wie die Thematisierung im Klassenrat im Vorfeld bewirkten viel.
„Es würde helfen, wenn jede Schule eine Schulpsychologin und eine Schulsozialarbeiterin hätte. Eigentlich hätte die Politik das schon viel früher erkennen müssen.“ Die Schulsozialarbeiterin an der SLG sei mit 28 Wochenstunden stets „voll ausgebucht“, so Jakobi, „wir brauchen mehr Personal.“